Das kann man jetzt auf verschiedene Arten verstehen, einige davon recht grotesk
. Ich versuchs mal so, du meinst daß in einer Gesellschaft ohne Schamanen die sog. "Hexe" dessen Aufgaben wahrnimmt? Damit könnte ich jetzt fast leben, leider sieht die Praxis nicht so aus, als würden beispielsweise im modernen D oder Ö sich selbst als solche bezeichnende Hexen Spezialisten für Trancetechnik und Anderswelthandling sein. In anderen Gesellschaften ähnlich.
ciao,
Delphinium
Nein, so wie ich verstehe, dass du es oben schreibst, meine ich es nicht. Der Schamane hat in Gesellschaften, die Schamanen als Teil ihrer Kultur und/oder Religion anerkennen meist einen gehobenen Status. Er oder sie übt von der Gesellschaft gewünschte, nachgefragte, geschätzte, notwendige Aufgaben aus, das gilt selbst dann, wenn Schamanen an sich auch gefürchtet werden. In diesen Gesellschaften werden als Hexen diejenigen bezeichnet, die auf der falschen Seite der Werteskala stehen - sei es wegen ihres Geschlechts, ihrer sozialen Kaste, ihrer Minerheitenreligion oder weil sie Dienstleistungen anbieten, die zwar nachgefragt werden, moralisch oder religiös begründet aber unerwünscht bis illegal sind.
In Gesellschaften wie den Europäischen, in denen die Schamanen schlicht umgebracht, verboten und zwangs-bekehrt wurden und es daher seit Jahrhunderten keine offizielle, von den Herrschenden und Theologen unterstützte Kultur des Schamanismus mehr gibt (alles heidnisches Teufelszeug), sind alle Schamanen in die Rolle der abgelehnten Hexe gerutscht. Es blieb sozusagen nur noch die Hexe übrig und diese Bezeichnung schloss einfach jetzt mehr ein als zuvor. Also auch die "weiße Hexe" oder "Weise Frau", "Weiser Mann".
Und diese Hexe übernahm keinesfalls die Aufgaben, die sie in vergangenen Generationen unter der Bezeichnung Schamane ausgeübt hat, denn diese galten schlicht auch als böse Hexerei. Übrig blieb in der Regel nur das, was auch nachgefragt wurde.
Wenn also jemand geboren wird, der eigentlich das Zeug zum Schamanen hat und er oder sie ist nicht in einer Familie geboren, in der solche Sachen weitergegeben werden, dann kann er nur so weit kommen, wie die Spirits es ihm beibringen. Wenn er überhaupt auf sie hört. Und er kann auch nicht offen auf die Suche nach einem Lehrer gehen, wenn darauf die Todesstrafe steht. Also konnte über Jahrhunderte das zu dem Talent dazugehörige Wissen nur an absolut vertrauenswürdige Familienmitglieder weiter gegeben werden und wurde mit der Zeit immer lückenhafter.
Und deshalb haben wir in Europa lauter Stückchen von schamanischen Traditionen mit dazugehörigen Techniken, die von Leuten ausgeübt wurden und werden, die Hexen genannt werden, anstelle einer vollständigen einheimischen schamanischen Tradition.
Wenn man die schamanischen Reisetechniken auf europäische Märchen und Legenden wie Frau Holle, Thomas der Reimer, Tannhäuser, Der Teufel mit den drei goldenen Haaren, die sieben Raben, Rübezahl usw anwendet, findet man in der Anderswelt da eine sehr lebendige einheimische Tradition vor. Die Spirits sind alle noch da.
Und die Edda ist zwar aus dem Norden und nicht sehr alt aber sie bietet ein sehr kongruentes Bild der verschiedenen Welten, dass sich gar nicht so sehr von z.B. dem nepalesischen schamanistischen Bild der 9 Welten unterscheidet.
Europäischen Hexe haben auch tierische Verbündete und in einigen überlieferten Erzählungen nehmen sie auch die Gestalt dieser Tiere an.
Europäische Hexen unternehmen reisen auf Besenstielen, Zaunpfählen etc oder gehen ins Feenreich. Die ganze Feentradition ist im Kern schamanisch.
Was "moderne" Hexen angeht, naja, jeder kann sich nennen wie er will, oder? Es ist halt ein weites Feld zwischen dem lebendigen Herzen der Tradition und Hexen, die "Magie und Rituale machen" .
lg