Ich hoffe Du verzeihst mir, wenn ich Deinen Thread hier mit einem längeren Aufsatz verunstalte - ich denke nämlich, man muss den Feminismus in einem sehr viel größeren Zusammenhang betrachten, um wenigstens ansatzweise erkennen zu können was da eigentlich passiert ist.
Religion hat die Aufgabe, einer Gesellschaft einen Sinnzusammenhang zu geben, also Wege zur Beantwortung der existenziellen Fragen aufzuzeigen, und Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags zu bieten.
Diese Aufgabe ist so wichtig, dass man sagen kann, jede Gesellschaft hat eine Religion - auch wenn nicht jede Religion als Religion bezeichnet wird.
Die in unserer Kultur vorherrschende christliche Religion hat seit der Aufklärung und mehr noch mit dem darauf folgenden Aufkommen von Technologie und Industrialisierung zunehmend an Bedeutung verloren. Das heisst sie war immer weniger fähig, diese Aufgaben in einer Weise zu erfüllen, die das Gros der Menschen als befriedigend empfunden hätte.
Stattdessen wurde die Aufgabe, den Sinnzusammenhang der Existenz zu erklären, immer mehr bei der Wissenschaft gesehen.
Diese Entwicklung hat sich im letzten Jahrhundert beschleunigt, bis sie im Dezember 1968 ihren symbolträchtigen Gipfelpunkt fand, als die scheinbar unbegrenzte Machbarkeit wissenschaftlichen Strebens, gleichsam die Allmacht der Wissenschaft, in Form von
20'000 Liter Sprit pro Sekunde höchst wirksam in Szene gesetzt wurde. Man mag von diesem Projekt halten was man will - in jedem Fall war es eine wirkmächtige Symbolhandlung, mithin echte Magie: die finale Absetzung der alten Priester durch die neue Priesterschaft der Technologie.
Von nun an sollte es jedem wissenschaftlich aufgeschlossenen Menschen klar sein, dass die Grundfragen der Existenz nicht mehr in spirituellen Lehren, sondern durch die Wissenschaft zu beantworten seien.
Ganz dementsprechend hat sich dann eine Form von Wissenschafts- und Fortschritts
gläubigkeit ausgebreitet - dergestalt dass zwar den meisten Wissenschaftlern klar ist, dass sie eben keine finalen Antworten auf existenzielle Grundfragen liefern können, gleichzeitig aber die breite Masse wissenschaftlich Halbgebildeter geradezu eine Sucht nach wissenschaftlichen Erklärungen entwickelt hat, die durch ein breites Angebot sog. populärwissenschaftlicher Medien befriedigt wurde.
Auf diese Weise wurde versucht, mit den existenzellen Grundfragen umzugehen. Die andere Aufgabenstellung der Religion, die Hilfe bei der Bewältigung des Alltags, wurde ebenso in das Aufgabenfeld der Wissenschaft verlagert. So kam es zu der Ausbreitung der Sozialwissenschaften - der Psychologie, Soziologie, Pädagogik etc.
Aufgabenstellungen wie etwa die Erziehung der Kinder, die seit 100'000 Jahren durch den gesunden Menschenverstand bewältigt worden waren, wurden plötzlich zu einem Themengebiet sozialwissenschaftlicher Forschung, und eine verunsicherte Gesellschaft war begierig darauf, von den neuen Autoritäten zu erfahren wie sie leben sollte.
Dementsprechend gehörte es -zunächst in Nordamerika- bald geradezu zum guten Ton, dass man nicht nur seinen Hausarzt, sondern auch seinen Psychotherapeuten hatte. Und diese Entwicklung hat seitdem nicht gestoppt - sodass es heute üblich ist, jeder erdenklichen Art von sog. "Störungen" mit einer uferlosen Vielfalt aller erdenklicher Therapien zu begegnen.
Das ursprüngliche religiöse Muster freilich ist in dem allem bestehengeblieben: dass man eine äußere Autorität heranzieht, die einem sagen soll wie man zu leben hat.
Klar sollte jedoch sein, dass weder Technologie noch Therapie wahrhaft sinnstiftend sein können - von daher hat sich mit dieser Entwicklung gleichzeitig ein Gefühl existenzieller Sinnlosigkeit und Entwertung ausgebreitet - wobei die vermeintlich "Schuldigen" bis heute auf alle mögliche Weise verortet werden sollen, aber doch nicht greifbar werden können.
Parallel zu dieser Entwicklung passierte aber noch eine weitere, die eher die Subkultur betraf und die ebenfalls im Jahr 1968 ihren Kulminationspunkt hatte: im Rahmen der Studentenrevolten wurden die gängigen moralischen Werte der bis dato bestehenden Kultur hinterfragt und ad absurdum geführt. Vor allem wurde die rigide und gleichzeitig heuchlerische Sexualmoral und die Körperfeindlichkeit kritisiert und stattdessen eine unbefangene, freizügige und lustvolle Lebenshaltung erprobt.
Diese Entwicklung hielt allerdings nicht lange an (nachzulesen u.a.
hier). In demselben Maß, wie im Lauf der 70er Jahre immer deutlicher wurde, dass der technologische Höhenflug seine ernstzunehmenden Schattenseiten hat und dass nicht alles was machbar ist auch gemacht werden sollte, wurde auch die freizügig-unbeschwert-tabulose Weltanschauung der Hippie-Kultur wieder verneint, zugunsten von moralischer Betroffenheit, Selbstbeschränkung und gedämpften Erwartungen.
Was geblieben ist, sind die Sexshops und Pornos - das womit man Geld verdienen kann. Abgeschafft wurde die Lustbejahung und die Unbefangenheit im Umgang mit dem Körperlichen.
Frelich brauchte es dafür zuerst noch eine Autorität, die als Rechtfertigung dienen konnte, sowohl für die Selbstbeschränkung in der Technologie, als auch für die Wiedereinführung moralischer Verklemmtheit. Und diese Autorität wurde gefunden: die Frau.
Auf diese Weise wurde Umweltschutz und Feminismus zu einer gemeinsamen politischen Richtung. Während es aber dem sachlichen Verstand leicht einsichtig ist, dass Umweltzerstörung und Vergeundung von Rohstoffen ein zukünftiges Problem heraufbeschwören müssen, verhält es sich mit dem moralischen Anspruch der Lustfeindlichkeit etwas schwieriger.
Hierfür brauchte es einen Kunstgriff. Anstatt die Gefahren der Technologie auf sachliche Weise zu betrachten, wurde eine unterschwellige, archetypische Identifikation vorgenommen: der Fortschritt und die Technologie wurden für genuine Eigenschaften des "Männlichen" erkannt, und das "Männliche" folglich für etwas grundsätzlich Böses und Lebensfeindliches.
Von da aus war es dann nur naheliegend, dass auch die männliche Sexualität als etwas grundsätzlich Böses und Mißbräuchliches zu verstehen sei.
Auf diese Weise wurde eine neue moralische Instanz etabliert, die wieder zwischen gut und böse unterscheidet: während im früheren kulturellen Verständnis (bis 1968) Gott die absolutistisch urteilende Instanz ist, durch die moralische Ansprüche begründet werden, ist nun die Frau diese moralisch urteilende Instanz, und hat mithin den Platz Gottes eingenommen.
Wenn also früher die unbefangene freizügige geschlechtliche Liebe als "gotteslästerlich" verstanden wurde, gilt sie nunmehr als frauenfeindlich; Prüderie und Verklemmtheit sind im Ergebnis dieselben wie ehedem.
Und während dereinst das "Sakrament der Ehe" angeboten wurde als einzig legitimer Rahmen, innerhalb dessen unbefangene Sexualität praktiziert werden durfte, gilt heute die Homosexualität als einzig legitimer Rahmen, innerhalb dessen Sexualität freizügig und ohne den Verdacht des Mißbrauchs praktiziert werden darf.