BRIEF AN NOCKI
Servus, liebe Nocki.
Soeben kehrte ich von einer Besprechung mit dem guten Geist der Zuversicht und dem Lustigen Gespenst der Wunschnatur in diesen vollkommen übermüdeten Prinzenkörper zurück, worauf dieser erwachte, dachte zu denken und dabei dachte, ein paar Zeilen Dir zu schreiben, über mein schändliches Treiben.
Doch in Wahrheit bins ich, der Dir hier schreibt, Wiwu, das Gespenst in diesem kopftoten Körper, welches Diesen manchmal bewegt und gestern erst habe ich wieder kläglich versagt, in der Erfüllung meiner täglichen Übung.
In einem Moment der Unachtsamkeit habe ich der Wunschnatur dieses Körpers erlaubt, mich zu überwältigen und habe diesem Körper ein neues Mountainbike gekauft. Eine völlig sinnlose Investition, da wir ohnehin kaum dazukommen werden, bemerkenswerte Ausfahrten zu machen. Du weißt ja, die alte Königin
Und auch die Kraft in den Lungen des einst so anmutigen, sportlich durchtrainierten Prinzenkörpers hat erheblich nachgelassen. Zwei Schachteln Zigaretten pro Tag, das geht nicht spurlos an so einem Körper vorbei, so adelig er auch sei. Auch der intensive Kontakt mit Prinz Ethano während der letzten Jahre hat ihn an seine Grenzen gebracht.
Dennoch habe ich der Wunschnatur erlaubt, kurzfristig von mir Besitz zu ergreifen und jetzt werde ich diesen Körper wohl wieder ein wenig geißeln müssen, denn Zucht und Ordnung ist sein ganzes Leben.
Was denkst Du, Nocki? Ich solle nicht mit mir hadern, sondern mich selber lieben? Hör auf, mich, den Geist im Prinzenkörper, mit diesem Süßholzgeraspel abtöten zu wollen. Ich habe keine Eier, die man weich kochen könnte. Wann wirst du es endlich begreifen: Etwas, das nicht lebt, kannst du nicht töten. Siehst Du nicht, wie hoch ich bin? Ich reiche vom tiefsten Abgrund der Verzweiflung unterhalb der Wunschnatur dieses Körpers, von da, wo das Heulen und das Zähneknirschen ist, bis hinauf in die Sphäre der unbeugsamen Zuversicht im vollkommen leeren Oberkopf des kleinen Prinzen. Würde ich mich selbst verachten, liebe Nocki, hätte ich diese luftige Höhe nicht erreicht und mehr Höhe kann ich auf Grund meiner Biographie in diesem Leben nicht mehr erreichen.
Über den Geist der Zuversicht hinauszuwachsen würde für mich nur einen neuerlichen und vollkommenen Absturz in den Abgrund der Verzweiflung nach sich ziehen. Das will ich mir im Moment nicht mehr antun. Ich bin lange genug durch die Dunkelheit gereist, wie du weißt, liebe Nocki. Lieber will ich noch ein paar Tage, Monde oder vielleicht auch Jahre das Leben dazwischen spüren, bis mich eben der große Geist nach Hause ruft. Und darum werde ich diesen Körper nur mehr mit Zucht zur Ordnung führen, aus einem einzigen Grund: Auch er soll von meiner Zuversicht besessen werden und endlich aufhören, sich unbewusst an seiner Krankheitsanfälligkeit, an seiner Niedergeschlagenheit und Sterblichkeit zu orientieren. Jawohl, so soll es sein. Amen. Hugh
ich habe gesprochen.
Naja
die Zigaretten und den Kaffee kann ich ihm jetzt noch nicht verbieten, sonst hat er gar nichts mehr, woran er sich festhalten kann. Nur den Kontakt mit Prinz Ethano muss ich ihm vollkommen untersagen. Und gestern habe ich ihm ja, wie erwähnt, sogar erlaubt, sich ein neues Mountainbike zu kaufen. Soll mir also keiner nachreden, dass ich ein gar so schlechter Herr für diesen Körper bin.
Natürlich nur ein Billiges, klar
was denkst Du, Nocki, das Preiswerteste, dass es im Moment überhaupt gab. Wir müssen sparsam mit den Euronen um uns werfen. Aber durchaus mit brauchbaren Mittelklassekomponenten bestückt und einem schön geschweißten Alurahmen.
Zugegeben
auch ich, das Gespenst, habe ein wenig Freude daran, den Prinzenkörper auf diesem Foltergerät zu quälen. Heute muss ich noch den Geist von Trude anrufen, auf dass sie am Wochenende kommen möge, ein paar Stunden auf die alte Königin aufzupassen. Dann werde ich den Körper des Prinzen auf das Rad setzen und über die Stadtgrenze hinaus jagen, den kurzen Anstieg zur Burg Kreuzenstein hinaufhetzen, dass ihm das Herz fast aus der Brust fliegt, dann, in gewohnt höllischem Tempo, talwärts, und weiter nach Stock City, wo er nach langem wieder einmal seinen Schwesterkörper, Neffenbruder und den spärlichen Rest seines Clans besuchen möge.
Es wird nur zu seinem Besten sein. Der Körper braucht Luft und Bewegung. Und wenn er daran zu Grunde geht, dann ist das eben sein Schicksal.
So! Tagesbericht geschrieben
jetzt werd ich ihn noch eine Stunde hinlegen. Dann ist eh schon wieder Zeit zum Frühstück machen. Und wenn die alte Königin wieder müde wird, dann werd ich den schönen Prinzen mal aufs Verkehrsamt treiben, dass er endlich ein Duplikat seines verloren gegangenen Führerscheins beantragt, denn dieser Körper ist träger als die Polizei erlaubt. Mit liebe dich selbst geht da gar nichts mehr. Den kann man nur durchs Leben treiben, treiben und noch mal treiben, sonst liegt er nur rum und starrt Löcher in die Decke.
Herzlose Geistergrüße
WiWu
Wien, am 21.Mai 2010 - 04:54