Gnadenstoß

ViciSt

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28. September 2008
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Ich stehe auf einer Brücke.
Die Arme ausgestreckt, den Kopf gen den Himmel gestreckt.
Die Tränen laufen über die Wangen.
Meine Gedanken überschlagen sich.
Mein Herz wünscht sich nicht mehr schlagen zu müssen.
Meine Seele will davon fliegen.

Nur ein Windstoß von hinten und alles wäre vorbei!
Ich bete um diesen gottverdammten Windstoß!
Doch Gott – er will mich einfach nicht erhören.
Kein Windstoß – bloß strahlender Sonnenschein.

Ich schaue zögernd nach unten in den Fluss.
Ich wünschte mir den Fluss und keine Autobahnbrücke.
Ich wünschte mir den Fluss um eintauchen zu können.
Ich wünschte durch das Wasser neu getauft zu werden.

Ich blickte in dieses klare Wasser, das still vor sich her floss.
Am Ufer sah ich Seerosen.
Ich sah die kleinen Fische rumschwimmen.
Würde ich sie beim Aufprall erschrecken?
Gar töten?

Wieder sah ich gen den Himmel.
Dichte Wolken zogen auf.
Ein Sturm nahte – der ersehnte Windstoß?
Ich spürte einen Zug im Nacken und schloss die Augen.

Ich wusste gleich kam der Gnadenstoß.
Gleich würde man mir und meiner Seele helfen.
Meine Seele würde frei werden und fliegen können.
Fliegen wie eine Möwe.
Eine Möwe die nach Höherem strebt.

Der Gnadenstoß kam.
Die längsten Sekunden meines Lebens brachen an.
Ich sah mich als Baby, als Kind, als Jugendliche, als erwachsene Frau.
Ich sah meine Seele – so abgeschürft und voller Narben.
Ich sah die Bluttropfen auf dem Boden.
Tränen liefen über meine Wangen.
Die Erlösung.
Ich sah meine Qualen – die Glücksmomente.
Ich sah Freude – Leid.
Ich sah Gelächter – Tränen.
Ich sah mich – allein.
Ich sah mich verbittert – lächelnd.

Ich prallte an der Wasseroberfläche auf.
Ich tauchte ein in die Quelle des Lebens.
Es wurde kühl um mich.
Je tiefer ich tauchte umso dunkler wurde es – bis zur ewigen Dunkelheit.
 
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