So, dann wollen wir mal versuchen hier ansatzweise ein bischen aufzuräumen...
Beim Vampir unterscheidet man
a. den ursprünglichen Vampir, das war eigentlich ein "Wiedergänger",...
b. der Energieräuber: ...
c. Hobby-Vampire und Gruftie-Szene: ...
d. Menschen, die krankheitsbedingt an einer bestimmten Blutarmut (fehlendes Blutbestandteil) leiden oder extrem lichtempfindlich sind ...
Auf den ersten Blick klingt das ja soweit recht durchdacht, strukturiert und in ganzen Sätzen verständlich erklärt.
Was Vampire aber garantiert nicht sind: nette, freundliche, harmlose, liebenswerte und romantische Gesellen oder tragische Figuren, in die sich Teenies verlieben sollten. Mal von d) abgesehen sind es extreme eiskalte Narzisten, gierige Egoisten, Sadisten-Masochisten, Leute mit Todessehnsucht oder einfach böse Geister. "Nett" sind die Vampire erst seit den 90er Jahren im Film -
Okay, also was lernen wir dann daraus: Vampire sind ganz arg
böse.
Auf die Teenies und das Verlieben komme ich gleich noch.
Interessant ist hier erstmal die Frage, warum eigentlich der Topos des Vampirs sich in Kunst und Musik einer solchen Beliebtheit erfreut. Obwohl in der heutigen Gesellschaft Einigkeit besteht dass es soetwas nicht gibt, scheint hier doch eine tief im Unbewussten liegende heimliche Faszination angesprochen zu werden - die auch nicht nur auf Teenies beschränkt ist und nicht erst in den letzten zwanzig Jahren entstanden ist. Anderenfalls würden sich die Filme etc. ja nicht verkaufen.
Und dann ist es freilich so, dass vor etwa 20 Jahren aus dem Punk die sog. "Gothic"-Szene ("Grufties") entstanden ist, und man dort ein feinsinniges Faible entwickelt hat für all das was in unserer Gesellschaft geleugnet, unterdrückt und verdrängt wird - zB auch für den Tod.
In diesem Umfeld hat nun die Idee des Vampirs eine beachtliche Beliebtheit erlangt. Und ja, gelegentlich beißen die auch.
Nun lernen wir also, dass es hierbei nicht etwa um eine nette und harmlose Spielerei mit den Urängsten geht, sondern dass es Vampire tatsächlich gibt, und dass sie etwas ganz arg böses sind. Weil sie nämlich anderen Menschen die "Lebensenergie" stehlen:
Der seiner Lebensenergie Bestohlene siecht dahin, wird müde, depressiv, krank (Immunsystem geschwächt), schwerkrank, altert und leidet stumm vor sich hin
Es ist wohl das am schwierigsten zu bewältigende Thema unserer Existenz, dass Menschen krank, schwach, alt oder hilflos werden können; und dass dies schicksalshaft ist und wir also keine Macht darüber haben.
Die meisten Menschen können sich mit diesem Gefühl der Ohnmacht nicht abfinden, und suchen verzweifelt nach irgendeiner Möglichkeit, herr über das Schicksal zu werden.
Buddha hat sein Lebenswerk dieser Problematik gewidmet und, wie man annehmen muss, auch eine Lösung gefunden.
Aber zu allen Zeiten war es viel beliebter, für diese unbegeiflichen Schicksalsschläge, denen man hilflos ausgeliefert ist, einen gleichsam Schuldigen zu finden, jemand, dem man die Verantwortung dafür zuweisen kann. Und in Anbetracht des ungeheuren Ohnmachtsgefühls, das da zuweilen ausgelöst wird, muss dieser Schuldige auch eine ungeheure Bösartigkeit aufweisen, muss gleichsam das Urböse verkörpern.
Zu diesem Zweck war im Mittelalter die "Hexe" konstruiert worden, die auf angeblich "magische" Weise (und jedenfalls so dass ein rationaler Nachweis von vorneherein ausgeschlossen ist) ansonsten unerklärbares Leid und Schicksalsschäge über andere Menschen bringt.
Das "Urböse" (das ja erstmal nur deshalb angenommen wird, um die eigenen Ohnmachtsgefühle zu kompensieren) wurde also personifiziert und auf die Mitmenschen projiziert. Damit war dann eine Rechtfertigung geschaffen, um Mitmenschen mit Folter und Mord zu traktieren, ohne dass es irgendeine rational nachvollziehbare Begründung dafür gegeben hätte.
Der Beitrag von Silberwolke versucht nun genau dasselbe zu erreichen. In scheinbar sachlicher weise will er erklären, dass jene Leiderfahrungen, wie sie der sterblichen Existenz nun einmal zugehören, einen
Verursacher haben können, und dass dieser Verursacher, dieser Schuldige ein Mitmensch sein kann. Der konsequente nächste Schritt ist dann Denunzierung, Verfolgung, Folter und Mord.
Noch ein weiteres kommt erschwerend hier hinzu. Denn nicht nur belastet uns das tatsächliche Eintreten von Leid, Alter, Krankheit und Tod durch Ohnmachtsgefühle, sondern vielleicht noch schwerwiegender ist die
Angst davor - die rein hypothetische Befürchtung, dass ein solches Schicksal uns oder unsere Liebsten vielleicht treffen könnte.
Anstatt uns also des Lebens zu erfreuen wenn es uns gut geht und das Schicksal anzunehmen wie es eben kommt, wird eine solche These von einem möglichen
Verursacher des Leids uns nur dahin führen, dass wir furchtsam und mißtrauisch durchs Leben gehen und unsere Nächsten argwöhnlisch betrachten dahingehend, ob sich in ihnen nicht vielleicht ein böser "Vampir" verbirgt...
Nicht zuletzt kann eine solche Lebenshaltung dann durchaus dahin führen dass man krank wird.
Was aber ist es nun eigentlich, was dem Vampir unterstellt wird, und was ihn so
böse macht?
jeder Mensch kann Energien aufnehmen und wegsenden. (Sogar jede Zelle kann das. Pflanzen sind sogar diesbezügliche Spezialisten.) Die Frage ist, woher der Mensch mehr Energien bekommt - aus dem Kosmos? Aus dem Göttlichen Bereich (=Meditationen)? Aus der Natur (und seinem Umfeld) - oder indem er andere Mitmenschen energetisch bestiehlt?
Also, ein Vampir "bestieht" seine Mitmenschen "energetisch". Da muss man dann weiter fragen, was soll ein "energetisches bestehlen" sein, und was soll denn "Energie" in diesem Zusammenhang sein?
Sinnigerweise möchte man das so verstehen dass einem jemand das Benzin klaut oder den Stromzähler anzapft - nun, dagegen läßt sich ja geeignet vorgehen.
Aber in esoterischen Kreisen scheint mit "Energie" etwas
anderes gemeint zu sein.
Ich habe mehr als zehn Jahre zugebracht mit dem Versuch, herauszufinden, was mit diesem "Energie"-Begriff (der ja in der Esoterik in aller Munde ist und in bald jedem zweiten Satz auftaucht) gemeint sein soll. Und man sollte ja annehmen, dass bei einem derart verbreiteten Begriff
irgendjemand imstande sein sollte zu sagen was damit gemeint ist.
Dem ist nicht so.
In über zehn Jahren konnte mir niemand sagen was diese "Energie" sein soll. Ich behaupte: es weiss auch niemand. Stattdessen gingen die Antworten immer in Richtung "das kann man nicht erklären", "das musst du selber herausfinden", "da musst du eine Einweichung in <wasweissich> machen", usw. usf.
Es gibt dann noch eine andere Möglichkeit, um einer Sache ganz pragmatisch auf den Grund zu gehen: man beschliesst, dass es sie gar nicht gibt.
Also, wenn ich nicht weiss was ein Tisch ist, dann kann ich einfach beschliessen dass es den Tisch nicht gibt, und mitten durchs Zimmer gehen: das, wogegen ich dann stoße, ist der Tisch.
Also behaupte ich, dass es diese "Energie" gar nicht gibt - und bis jetzt bin ich nirgendwo drangestoßen.
Logischerweise kann es dann auch keinen "Energievampir" geben.
Allerdings bin ich dann an ganz anderer Stelle auf etwas interessantes gestoßen. Carl Gustav Jung - das ist kein Esoteriker, sondern einer der Begründer der modernen Psychologie, und mithin jemand der zu wissenschaftlichem Arbeiten imstande ist - hat in einem seiner einführenden Werke eine Fußnote angebracht, und die liest sich wie folgt:
Dem Leser wird aus dem Bisherigen klar geworden sein, dass ich den von Freud eingeführten Begriff der Libido
, der sich für den praktischen Sprachgebrauch sehr gut eignet, in einem viel weiteren Sinne als als jener gebrauche. Libido heißt für mich psychische Energie, welche gleichbedeutend ist mit der Intensitätsladung psychischer Inhalte.
Soetwas nenne ich eine Begriffsklärung mit der man etwas anfangen kann.
Als ich dann die Esoteriker gefragt hab, ob das was sie da dauernd mit "Energie" bezeichnen, etwa Libido meint, dann sind sie hübsch im Viereck gehupft - aber so ganz widersprechen wollten sie dem auch nicht.
Bleiben wir mal bei dieser Richtung. An der Thematisierung des Vampirs in Kunst und Kultur fällt etwas auf: da existiert immer eine m.o.w. subtile erotische Komponente.
Die Thematisierung von etwas "Urbösem", das einfach nur bedrohlich oder lebensgefährlich ist, sieht jedenfalls ganz anders aus - das kennen wir dann aus Katastrophenfilmen oder Krimis die sich um Psychopathen drehen - da fehlt diese erotische Komponente.
Auch im Wikipedia finden wir die Formulierung:
Darüber hinaus wird Vampiren ein ausgeprägter Sexualtrieb zugesprochen. Vampire sollen eine starke Anziehungskraft auf das von ihnen gewählte Geschlecht ausüben und Verführungskünstler sein.
Anderswo erscheint diese Konnotation noch viel offensichtlicher. "Inkubus Sukkubus" etwa, eine britische Rockband, die dem neuheidnischen Wicca-Hexentum angehören, betitelten 1997 ein ganzes Album mit Vampyre Erotica.
Noch deutlicher formuliert Thomas Karlsson (Dr.phil. Th.Karlsson unterrichtet westliche Esoterik an der Uni Stockholm, es handelt sich da also auch um jemand, der zu wissenschaftlichem Arbeiten imstande sein sollte) in seinem Buch "Kabbala, Qliphoth und die Goetische Magie":
Vampirische Wesen [...]sind gekennzeichnet durch die Kombination von Leben und Tod, Blut und Sex.
Man wäre fast versucht zu mutmaßen, dass der ganze Vampir-Topos einfach eine pervertierte Projektion ist für das was eigentlich zutiefst natürlich ist, aber in unserer Gesellschaft so krampfhaft verdrängt und geleugnet wird: Sexualität und Tod.
Aber das war ja bei den Hexen auch schon so.