GEWALT - die in keiner utilitaristischen oder ideologischen ursache gründet

W

whiterabbit

Guest
angesichts der medialen berichterstattung unserer tage, sollte man der hermeneutischen versuchung widerstehen, nach tieferen bedeutungen zu suchen. was so schwer zu aktzeptieren ist, ist gerade deren äußere bedeutungslosigkeit. terroranschläge, mord und totschlag, die brennenden pariser vorstädte - ein mangel an kognitiver kartierung - die unfähigkeit, die erfahrung ihrer situation in ein bedeutungsvolles ganzes einzuordnen.

was sind die wurzeln dieser desorientierung?

gesellschaftstheorehtiker wiederholen gerne, dass die heutige gesellschaft durch und durch reflexiv ist: es gibt keine natur oder tradition, die ein fundament bereitstellen würde, auf das man vertrauen könnte. sogar unsere innersten antriebe (die sexuelle orientierung) werden zunehmend als etwas wählbares erfahren. wie man ein kind füttert und erzieht, wie man bei einer sexuellen verführung vorgeht, wie und was man isst, wie man sich entspannt und amüsiert - all diese bereiche werden zunehmend durch reflexivität kolonisiert. sie werden als etwas erfharen, das man erlernt und entscheidet.

der ultimative tote punkt der risikogesellschaft liegt jedoch in der lücke zwischen wissen und entscheidung. es gibt niemanden, der wircklich weiß, was er tun soll, die situation ist radikal "unentscheidbar", aber trotzdem müssen wir entscheiden. das problem ist somit nicht das der erzwungene entscheidung, sondern das gegenteilige: die wahl tatsächlich frei und wird genau aus diesem grund als noch wesentlich frustrierender erfahren.

wir befinden uns ständig in der position, ohne entsprechendes wissen über dinge entscheiden zu müssen, die schicksalhaft unser lleben betreffen. weit davon entfenrt, als befreiend erlebt zu werden, wird dieser zwang zur freien wahl als angsmachendes obszönes spiel empfunden, eine art von ironischer verkehrung und vorsehung: ich werde für entscheidungen zur verantwortung gezogen, die ich ohne entsprechendes wissen über die situation treffen mußte.

die freiheit der entscheidung, derer sich das subjekt auf risikogesellschaft erfreut, ist nicht die freiheit von jemanden, der frei sein schicksal bestimmen kann, sondern die furchteinflößende freiheit von jemanden der ständig gewzungen ist, entscheidungen zu treffen, ohne sich über deren konsequenz im klaren zu sein.

es gibt keien garantie dafür das die demokratische politisierung der grundlegende gesellschaftliche entscheidungen, die aktive einbeziehung tausender betroffener individuen, die qualität und präzesion der entscheidungen verbessert und tatsächlich die risiken verringert. man ist versucht, sich hier jenes demütigen katholiken zu erinnern, der auf den vorwurf eines atheistischen liberalen, das sie, die katholiken - so dumm seien, an die unfehlbarkeit des papstes zu glauben, antwortete: wir katholiken glauben wenigstens an die unfehlbarkeit einer und nur einer person, beruht die demokratie nicht auf der viel riskanderen annahme, das die mehrheit der menschen, also millionen unfehlbar seien?

das subjekt befindet sich so in der kafkaesken situation, schuldig zu sein, ohne auch nur zu wissen, wessen es sich überhaupt schuldig gemacht hat. ständig verfolgt mich die aussicht bereits entscheidungen getroffen zu haben, die mich und alle meine lieben bedrohen werden. aber ich werde die wahrheit darüber (wenn überhaupt) erst dann erfahren, wenn es bereits zu spät ist. erinnern wir uns an die filmfigur forrest gump, an diesen perfekt verschwindenden mediator. gump wird uns als der unschuldige zuschauer präsentiert, der bloß durch das, was er tut , unwissendlich eine änderung historischer verhältnisse auslöst. wenn er berlin besucht und fussball spielt, versehentlich den ball über die mauer tritt, löst er damit den prozess aus, welcher die mauer zu fall bringt; wenn er washington besucht un ein hotelzimmer im watergate-komplex bezieht, bemerkt er mitten in der nacht, das seltsame dinge in den räumen jenseits des hofes vorgehen, ruft die wache und setzt damit ein ereignis in gang, welche den sturz richard nixons kulminieren. ist dies nicht die ultimative metapher für jene situation , auf die es die vertreter des begriffes der risikogesellschaft abgesehen haben: eine situation, in der wir gezwungen sind, schritte zu setzen, deren effekte vollens außerhalb unserer reichweite liegen?

wir befinden uns hier genau im nervenzentrum der herrschenden liberalen idiologie, welche versucht, jende durch demontage des wohlfahrtsaates verursachte verursachte unsicherheit, als gelegenheit für neue freiheiten zu verkaufen. sie müßen ihren job, basierend auf kurzzeitverträgen anstelle von langfristigen stabilen vereinbarungen, jedes jahr wechseln? warum sehen sie das nicht als befreiung von zwängen eines fixen jobs an? als eine chance sich immer wieder neu zu erfinden, sich der verborgenden potenziale ihrer persönlichkeit bewusst zu werden und diese zu realisieren?
sie können sich nicht länger auf die normale krankenversicherung verlassen und müssen eine zusatzversicherung abschließen? warum sehen sie dies nicht als eine weitere wahlmöglichkeit zwischen einem besseren leben jetzt oder sicherheit für lange zeit?

und wenn ihnen das alles angst macht, wird sie der postmoderne ideologe, der ideologe der zweiten moderne umgehend der unfähigkeit zur vollen freiheit beschuldigen; des unreifen festhalten am alten und überholten.

wieso werden in talkshows menschen mit sexuellen vorlieben eingeladen, aber keine rassisten?

kann sich jemand eine bessere illusion ausdenken für das worauf die freiheit der entscheidung in unseren liberalen gessellschaften tatsächlich hinausläuft? wir können fortfahren unsere kleinen entscheidungen zu treffen, und völlig neu zu erfinden, unter der bedingung, dass diese entscheidungen das gesellschaftliche und ideologische gleichgewicht nicht stören.

demokratie ist heute zunehmend ein falscher ausweg - ein begriff der so diskrediert ist durch seine vorherrschenden gebrauch, dass man veilleicht riskieren sollte, ihn dem feind zu überlassen. wo,wie und durch wen werden die schlüsselentscheidungen in wichtigen globalen sozialen fragen getroffen? werden sie in der öffentlichen sphäre durch die engagierte teilnahme der mehrheit getroffen? lautet die antwort ja, dann ist es von sekundärer bedeutung, ob der staat ein einparteiensystem hat. wenn dei antwort nein ist, dann ist es von sekundärer bedeutung, ob wir eine parlamentarische demokratie und die freiheit der individuellen wahl besitzen.

etienne balibar schlug den begriff einer exzessiven nichtfunktionalen grasamkeit als merkmal des gegenwärtigen lebens vor: eine grausamkeit deren ausprägung sich von den fundamententalistisch - rassistischen und/oder religiösen blutbädern bis hin zu den sinnlosen gewaltausbrüchen von jugendlichen nd heimatlosen in unseren megacitiys erstrecken: eine gewalt, die man versucht ist (bezugnehmend auf das freudsche "es" das unbewusstse) das "es-böse" zu nennen - eine gewalt die in keinen utilitaristischen oder ideologischen ursachen gründet.

all das gerede über ausländer, die uns unsere arbeitsplätze wegnehmen, oder über die bedrohung, die sie für unser westliches wertesystem darstellen, sollte uns nicht verunsichern. bei näherer betrachtung wird schnell klar, dass das eher eine oberflächliche sekundäre rationalisierung darstellt. die antwort die wir schließlich und endlich immer von einem skinhead bekommen werden, lautet, dass er ausländer verprügelt, dass deren pure anwesenheit ihn stört. wir begegnen hier tatsächlich dem es-bösen, jenem bösen das durch das grundlegende ungleichgeweicht in dem genießen, durch spannung zwischen lust und dem fremden körper des genießens direkt in dessen zentrum strukturiert und motiviert ist. es es-böse stellt somit den elementarsten kurzschluss in der beziehung des subjekts zur ursprünglich fehlendem objekt-ursache seines begehrens dar: uns stört am anderen das er einen priveligierten bezug zu dem objekt zu unterhalten scheint - der andere besitzt entweder den objekt-schatz, den er uns entwendet hat, oder er stellt eine bedrohung dar.

was haben diese gewaltausbrüche mit der tatsache zu tun, dass wir in einer risikogesellschaft der permanenten wahl leben? alles: diese sinnloseste und exzesiven gewaltausbrüche die nichts als einen reinen nackten und unsublimeirten hass auf andersheiten offenbaren, sind die kehrseite der reflexivisierung unseres alltagslebens.
nirgendwo wird das deutlicher als im los der psychoanalystischen intepretation. heute haben wdie formationen des unbewusstemm emdgültig ihre unschuld verloren und sind gänzlich reflexivisiert: die freie assoziation eines typischen gebildeten analysten besteht überwiegend aus versuchen, eine psychoanaltytische erklärung seiner störung zu liefern, sodass man gerechtfertigterweise sagen kann, dass wir nicht nur jungianische, kleiniansiche, lacanianische interpretationen dieser symptome haben. die symptome selbst sind bereits dieselben. deren realität trägt also implizit bezüge zu einer psychoanalytischen theorie in sich. das unglückselige resultat dieser globalen reflexivisierung der interpretation (alles wird zur interpretation, das unbewusste interpretiert sich selbst): die interpretation des analytikers verliert sselbst performative symbolische effizienz und das symptom wird unberührt in der unmittelbarkeit seines idiotischen genießens belassen.

was in der psychoanalytischen behandlung geschiet, ist die antwort auf nazi-skin homolog,der, wenn er wircklich nachtrücklich nach einer begründung für seine gewalttaten gefragt wird, plötzlich wie ein sozialberater, ein soziologe oder ein sozialpsychologe zu reden beginnt. er führt seine beschränkten sozialen aufsteigsmöglichkeiten an die allgemeine unsicherheit, den verfall der väterlichen authorität, den mangel an mutterliebe in seiner frühen kindheit. die einheit der praxis und der ihr innewohnenden ideologischen legitimierung löst sich in rohe gewalt und deren impotente, ineffiziente interpretation auf. das wiederauftauchen der realen einer irrationalen gewalt, die sich undurchdringlich und unempfänglich für die reflexion erweist, ist die notwendige kehrseite jender universalisierten reflexivität, weclhe die theoretiker der risikogesellschaft bejubeln. je mehr also die heutige gesellschaft das ende der natur und/oder tradition auf den aufstieg der risikogesellschaft verkündet, desto mehr durchdringt die imlizite referenz auf die natur unseren täglichen diskurs: selbst wenn wir nicht vom ende der geschichte sprechen - vertreten wir nicht dennoch die gleiche idee, wenn wir behaupten dass wir eine postidiologische pragmatische ära eintreten? das ist doch nur eine andere art zu behaupten das wir in eine postpolitische ordnung eintreten, in der die einzigen legitimien konflikte ethnisch-kulturelle konflikte sind.

typischerweise ist der terminus arbeiter aus dem vokabular unserer heutigen kritischen und politischen diskurse verschwunden, ersetzt durch immigranten. aus diese art verwandt mit der klassenproplematik der intoleranz gegenüber andersheit. und das exzessive engangement der multikulturellen liberalen für schutz der ethnischen rechte der immigranten bezieht ihre energie eindeutig aus dimensionen der unterdrückten klasse.

auch wenn francis fukuyamas these über das ende der geschichte schnell in verruf kam, setzen wir doch immernoch stillschweigend voraus, das die liberal demokratische kapitalistische ordnung irgendwie dei endgültig gefundene natürliche gesellschaftsordnung darstellt. wir fassen immer noch implizit konflikte in dritte welt ländern als eine unterart von naturkatastrophen auf, als ausbrüche quasi natürlichenen heftigen leidenschaft, oder als auseinandersetzugnen die auf der fanatischen identifizierung mit den eigenen ehtnischen wurzeln beruhen. und was ist das ethnische hier anderes als ein neuerliches codewort für natur?

es gibt eine bekannte picasso-anekdote: während des zweiten weltkrieges besucht ein deutscher offizier den maler in seinem parsier atelier und sieht dort "guernica". schockiert vom modernen durcheinander des gemäldes fragt der deutsche picasso: "haben sie das gemacht?" picasso antwortete:"nein das haben sie gemacht!" heute werden wir, die paar verbliebenen linken, die immer noch mit einer radikalen gesellschaftlichen veränderung rechnen, von vielen liberalen gefragt, wenn sie mit gewaltausbrüchen wie den plünderungen in den pariser vorstädten konfrontiert sind: "seid ihr es nicht, die das verursacht haben? ist das wirklich das was ihr wollt?" und wir sollten wie picasso antworten: "nein das habt ihr getan! das ist das resultat eurer politik!"
 
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was gedenkst du zu unternehmen?? ( www.bueso.de guckst du)

damit ist viel zu machen, auch gutes wenn man will

schoene anekdote, wir hatten jemanden in der schule, der von guernica erzaehlte, leider interessierte mich es kaum, damals
 
Hallo WhiteRabbit,
ich glaube, Diabolo bedient sich deiner.
Er selber ist gebannt, verbreitet seine Weisheiten aber ueber dich durchs Hintertuerchen.
Ich erinnere mich, dass du sein gluehender Bewunderer warst...
Das sind nicht deine Worte, die du schreibst!

Bijoux
 
Bijoux schrieb:
Das sind nicht deine Worte, die du schreibst!
Alles ist göttlich. Das Göttliche ist Gott. Ich bin auch göttlich. Jeder Mensch ist göttlich. Weil Whiterabbit ein Mensch ist, bin ich also er. Ergo: Den Text habe ICH verfasst! Und wenn wir schon bei der Logik sind: Wenn alles göttlich ist, und Osama B. L. ist auch göttlich, und ich bin auch alles und göttlich und so, dann bin ich Osama Bin Laden! Es ist also mein göttlicher Wille, dass die angesprochenen Gewaltexzesse der hermeneutischen Versuchung, der ich unterliege, möglichst spektakulär sind. Q.e.d.
die interpretation des analytikers verliert sselbst performative symbolische effizienz und das symptom wird unberührt in der unmittelbarkeit seines idiotischen genießens belassen.
Ich finds auch idiotisch, das performative Geniessen der interpretativen Analyse in seiner unmittelbaren Unberührtheit zu belassen.
 
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orientierungslosigkeit, zu viele möglichkeiten ohne übersicht und schwerpun kte...ohnmacht und das gefühl, kaum möglichkeiten zu haben.

sich gegen bestehendes auf zu lehnen und zu revoltieren ist eben immer noch leichter, als für sich konstruktive ziele zu finden...

(...zu erlernen, wie persönliche schwerpunkte erfahren und gesetzt werden, wie relevante infos aufzutreiben sind...dass bei etlichen themen erst mit gutem gefühl entschieden werden kann, nach!dem zu den wichtigsten möglichkeiten "hardfacts" vorliegen,...)

und um zu setzen.

aus der fülle an informationen persönlich aktuell wichtiges raus zu filtern, wird immer schwieriger...und ja, gerade in der politik z.b. möcht ich keine umfrage machen, wieviel von dem, was sie gerade gewählt haben...den einzelnen wählern bewusst ist.

welche konsequenzen GENAU vieles hat, ist meist sowieso nicht absehbar.
doch "daumen mal pi" wärs bei vielem mal von vorteil, zu wissen, warum man sich so entschieden hat *g*

was ich da tun würde? nein - nicht rigorose detailvorgaben, um wieder "sicherheit" im gefühl aufkommen zu lassen. (obwohl das zeigen klarer äusserer grenzen schon wichtig ist für mich...)

"persönliche zukunftsplanung, selbstmanagement" in der schule einführen...
nicht als "leistungsfach", sondern mit wesentlichen infos und vielen übungen zum versuchen, verinnerlichen,...
 
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