Geheimbund der Heinzelmännchen in den USA

Achilleus

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Washington (dpa) - Heinzelmännchen gibt es nur im Märchen, dachte Kara Wilson aus St. Cloud (Minnesota) - bis zu jenem Morgen Anfang Dezember, als sie die Gardinen aufzog. Überall in der Nachbarschaft türmte sich frisch gefallener Schnee auf den Gehwegen, aber der Bürgersteig vor ihrem Haus war leer

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Roger Cram setzt Hal Reichle
(undatiertes Archivfoto) ein Denkmal.
© dpa



Bis heute weiß die gehbehinderte alte Dame nicht, wer ihr das Schippen abgenommen hat - und genauso wollte es der heimliche Wohltäter auch. In Wilsons Briefkasten hinterließ er eine Karte mit den Worten: "Sie sind der Empfänger einer anonymen guten Tat. Der freundliche Akt erfolgte im Namen von Hal Reichle...Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Tag." Und den hatte die Amerikanerin auch. "Es war herzerwärmend", schilderte sie später. "Dass es so etwas gibt..."

Es gibt so etwas, und dahinter steckt eine besondere Organisation, ein Geheimbund so zu sagen, der einmalig ist. Er hat tausende Angehörige, aber keinen Vorsitzenden, kein Büro, nicht einmal eine richtige Adresse. Nur eine Postfachanschrift gibt es, wiederum im Namen von Hal Reichle, und eine Internet-Webseite mit Informationen. Wer Mitglied werden will, muss nur eines tun: eine gute Tat vollbringen, besser noch zwei oder drei, aber immer ganz im Geheimen, ohne sich zu offenbaren. Anonymität ist die oberste Pflicht, und so heißt die Organisation denn auch "PSSST" (im Englischen SSSSH).

Gegründet wurde sie 2003 von Roger Cram, der am Hiram College in Ohio lehrt und mit "PSSST" einem jungen Mann ein Denkmal setzte, den er als Studenten schätzen lernte und der 1991 im Golfkrieg ums Leben kam: Hal Reichle. Cram schildert ihn als eine außergewöhnlich schillernde und liebenswerte Persönlichkeit - einen Menschen, der freundlich und uneigennützig war und viel Gutes tat. Aber auf seine eigene Weise, denn Reichle, so Cram, liebte auch das Abenteuer, und seine Wohltaten verteilte er oft in Form von Schabernack.


So fanden etwa leichtsinnige Autobesitzer, die ihr Fahrzeug unverschlossen abgestellt hatten, das Handschuhfach nicht etwa ausgeraubt vor, sondern angefüllt - mit einem Briefumschlag voller Dollarscheinchen. Hal fegte und schippte Schnee, mähte Rasen, pflanzte Blumen in leere Vorgärten, strich Gartenzäune an, bezahlte in Restaurants für Fremde das Essen - alles heimlich, anonym, oft nachts und häufig nach ausgeklügelten Vorbereitungen.

Nach Reichles Tod setzte Cram das Werk im Gedenken an den jungen Mann zunächst allein fort. So erhielt zum Beispiel ein Gepäckträger an einem Flughafen von einem Unbekannten 50 Dollar in die Hand gedrückt - im Namen von Hal, der einst vergessen hatte, jenem Mann für dessen Dienste ein Trinkgeld zu geben. Wiederholt erlebten auch Autofahrer an Zapfsäulen eine freudige Überraschung: Ein Fremder vor ihnen hatte ihre Tankfüllung schon mitbezahlt. Im Jahr 2003 begann Cram dann via Internet um Nachahmer zu werben. "PSSST" war geboren.

Wie viele dem Beispiel von Reichle mittlerweile folgen, kann Cram nicht einmal schätzen. Er ist nur sicher, dass es Tausende sein müssen. Das geht allein aus der Zahl der Briefe hervor, die Wohltäter - wiederum anonym - mit ihren eigenen Erfahrungsberichten an das Postfach schicken und die dann auf der Webseite erscheinen. Auch Zuschriften von Menschen, die etwa ihr Auto frisch gewaschen oder mit Lebensmitteln gefüllte Tüten samt "Reichle-Bekenner-Karte" vor der Tür vorfanden, treffen in Hülle und Fülle ein. Und Cram geht davon aus, dass die meisten Wohltäter noch nicht einmal eine solche "Visitenkarte" zurücklassen: Das bedeutet eine hohe Dunkelziffer.

Viele haben inzwischen durch Medienberichte von "PSSST" erfahren, und Cram wirbt auch an Schulen um neue Mitglieder. Sie finden auf der Webseite nicht nur Tipps, wie sie unentdeckt ihre guten Streiche spielen können. Es wird auch darauf hingewiesen, dass das Ausspähen von Zielpersonen möglicherweise als Stalking rechtlich problematisch sein und auch das Betreten von Grundstücken Ärger einbringen könnte. Bei derartigen Projekten, so lautet die Empfehlung, solle man besser vorher die Polizei informieren und sicher gehen, dass die Grenzen des Legalen nicht überschritten würden.

Auch wenn der Schabernack Spaß machen soll, so ist das aber nicht der Zweck der Aktion, wie Cram sagt. Gutes sei erst wirklich gut, "wenn man nicht aus einem Strahlen der Augen oder einem Danke Befriedigung ziehen kann". Das habe Hal gelehrt. Cram hat auch ein eigenes Wort für diese Art von Uneigennutz: Egofreies Geben.

Quelle: http://www.gmx.net/

Achilleus
 
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