Gedichte

H

Hellequin

Guest
Der Thursen Reihen schließen sich.
Lang hast du widerstanden,
doch Glück und Kraft verließen dich,
als sie dich zweifelnd fanden.

Kein Blitz durchbricht die Finsternis,
Thor selbst lag längst im Sterben.
Vernichtend traf ihn Midgards Biss,
kein Gott kann ihn beerben.

Es naht, was bleibt: ein toter Mond,
von Sternen nur beschienen,
wo, deiner harrend, Sehnsucht wohnt
in bröckelnden Ruinen.

Du wirst als letzter Held der Welt
von diesem Leben lassen,
mit Bifröst, die nur dich noch hält,
im Untergang verblassen.

Wenn Nidhöggs Gift die Krone ätzt,
wirst du als Same fliegen
äonenweit, allein, verletzt,
und doch am Ende siegen.

Des Abgrunds Rachen ist dein Ziel,
dort wirst du Wurzeln schlagen
und bald, wie einstmals Yggdrasil
den ganzen Kosmos tragen.

Der Traum ist aus. Ein neuer Traum
wird neue Blüten treiben.
Gedeihe, junger Weltenbaum!
Wie lange wirst du bleiben?
 
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Der Herbst begann. Kein Funkeln zeigt sich mehr
im matten Glas erloschner Augen, leise
schlüpft Weisheit aus zerstörter Wiederkehr
und geht mit Nachtgedanken auf die Reise.

Wie lange schon hast du dich nur ernährt
vom Nachhall längst vergangener Geschichten,
du großer Geist, dich so sehr selbst verklärt,
dass du nicht mehr vermagst, den Dunst zu lichten?

Du suchtest stets nach Wegen, deinen Leib
und mit ihm auch den Tod zu überwinden,
Nun zählt nicht mehr der Sieg noch dein Verbleib,
du willst nur freigesprochen Ruhe finden.

Die Kraft der Sphären welkt mit dir dahin
und all die Schlachten, die du je geschlagen,
erscheinen nun befreit von falschem Sinn,
als Wahnideen aus überhitzten Tagen.

Der Winter naht. Du lächelst müde, lässt
dich glücksvernarrt in Wolkenkissen fallen,
raunst heiter fromme Weisen, die sich fest
in dem, was von dir übrig ist, verkrallen.

Viel früher als gedacht ist Kali da.
Sie kommt zu dir, die Ernte einzubringen.
Nun sieht sie dich, so wie sie viele sah,
in Fieberstaub als hohle Nuss zerspringen.
 
Das Siegel geworfen,
gebrochen, er lauert
auf dich und dein Wesen
gleich hinter dem Spiegel

Im Namen des Willens
zu nagen, zu malmen,
mit Zähnen und Klauen
die Ernte zu sieben

Die Spreu dient zum Fraße
den uralten Bäumen
in Fehus Vermächtnis.
Der Weizen wird leben

Als Wolf unter Wölfen
im inneren Garten
die ghulischen Egel
der Weltennacht jagen

Von schwarzem Blut trunken
gereinigter Erde
ein Lebewohl sagen
am Ende, am Tore

Zum leeren Dazwischen
auf Uruz gerichtet
mit glühendem Herzen
Erkenntnis verschworen.
 
Erinnerst du dich, fremder Gott der Väter,
an jenen Tag, da dich der Osten schlug?
Du krochst zu Kreuz, man schimpfte dich Verräter
und mied dich bald als böser Mächte Spuk.

Nun, da der Sieger Pantheon in Krämpfen
und ihrer Tempel Pracht in Schatten liegt,
da will ich unter deinem Banner kämpfen,
bis endlich unser beider Traum obsiegt.

Hältst du noch Wacht, gehüllt in Eis und Stille,
tönt noch dein Ruf in lähmend weichem Wind?
Sag, lebst du noch, wo Feuer, Geist und Wille
verlachte und verdammte Sagen sind?

Ich ahne es: Dein Schwert ist längst zerbrochen,
dein Wort hallt plappernd in den Sphären nach,
und zwischen deinen morschen alten Knochen
liegt gottergeben deine Ehre brach.

Es führt kein Weg zurück in alte Zeiten,
und gäb' es einen, traut' ich ihnen nicht.
Durch Frost und Staub den Tiger muss ich reiten,
bis er, geschunden, unter mir zerbricht.
 
Schließ die Augen,
die Hüllen lass
beiseite, die Welt,
die sich einzig nennt,
vergiss! Und falle
nicht in den Traum,
doch nah, wo Gestalt
keine Grenzen kennt.

Wege brennen
sich in die Nacht,
sie eilen voran,
führen nie nach Haus.
Es schwimmt Vergessen
im Spurenmeer,
die Kraken der Zeit
wühlen Spiegel auf.

Spiegel brechen
und Bojen gleich
treibt fiebrig Gedächtnis
in grauer Flut.
Ergreif es! Hangle
dich stur voran
zurück; vor der Hoffnung
sei auf der Hut.

Gib ein Auge
dem Weltenbaum,
empfange die Sicht,
die dem Schoß der Zeit
entspringt, nicht huldigt,
und geh voran!
Sei Ragnarök Wort
deiner Herrlichkeit!

Wirst, verschlungen,
mit Fenris eins,
der Kraft, die entwich
dir im Schicksalswahn.
Aus euch wird wachsen,
sich selbst geweiht:
ein Wille, ein Werk
ohne Uhr und Plan.
 
Zipperlein heißt heute jede Stunde,
Ewigkeitentochter, die vergeht;
einsam bringt mir jede Stunde Kunde
vom Gespenst, das über Allem steht.

Draußen klagt in unerhörten Zungen
mondberauscht ein greiser Wolf sein Lied,
nächtlich singt er, martert seine Lungen,
seit die letzte Wölfin erdwärts schied.

Und fürwahr, wir beide sind vergessen,
sind nur, um nicht gänzlich nicht zu sein;
anvertraut den Stunden, die uns fressen.

Werden Worte Wind und Atem Stein,
eilt herbei, wie üblich pflichtversessen,
unser beider Hoffnung: Bruder Hein.
 
So hör mich an zum ersten Mal
seit langen Jahren ohne Wort
und, bitte, trage meine Qual
ins Ungewisse mit dir fort!

Dein Geist, er flog auch dann allein,
wenn ich an deiner Seite war,
und unser Bund, einst schöner Schein,
schien längst schon falsch und sonderbar,

doch war er falsch? Er überstand
als einziger die wilde Zeit
und schwoll, derweil die Jugend schwand
zu bleierner Unendlichkeit.

Es blieb uns weder Mensch noch Gott
und kein Traum, der noch Feuer fing.
Wir rieben uns an Alltagstrott,
als jäh dein Weg zuende ging.

Nun lebe wohl. Vergiss mich nicht.
Nach dir beginnt kein Frühling mehr
auf dieser Welt; nur Totenlicht
glimmt blass und kalt von ferne her.
 
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