Liebe Valeri!Wir hatten auf der Station, auf der ich lange gearbeitet habe, einen Fall eines Mädchens, das seit ihrer Kindheit aufs Schlimmste misshandelt worden war. Schläge, Missbrauch, eine grauenhafte Geschichte. (Um allen ev Klischees vorzubeugen - sie kam aus einer überaus gut situierten Familie.)
Dieses Mädchen hatte in ihrem Zimmer eine Madonna und hat sich selbst für ihre Nachfolgerin gehalten. Sie müsse - das war ihre Erklärung - ähnlich wie die Mutter Gottes vieles durchleiden, weil sie eben die nächste Madonna sei und das ihr Weg.
Danke Dir für dieses Beispiel. Ich weiß, wie eng beieinander oft die Grenzen liegen - zum Beispiel habe ich die Tagebücher der hl. Therese von Lisieux gelesen ... mit einer bestimmten Brille könnte man diese Tagebücher als berührendes Dokument einer pathologischen Masochistin lesen, sie wurde aber heiliggesprochen.
Vor allem bin ich himmelweit davon entfernt, Simi auch nur in die Nähe irgendeiner pathologischen Definition zu bringen - und ich wäre heilfroh, könnte sich die Diskussion von dieser persönlichen Zuschreibung ablösen.
Es ist ja interessant ... in jedem einzelnen meiner Statements betone ich, dass ich nicht über Simi rede, sondern über die unheilvollen Funktionen, die solche Sätze wie die von mir zitierten übernehmen können. Es geht mir um die möglichen Folgen von sprachlichen Manifestierungen und die vielschichtigen Mechanismen im Wechselspiel von zynischem Sprachmissbrauch, fundamentalistischer Hybris und nur allzu gern gegebener Leichtgläubigkeit. Es geht überhaupt nicht darum, irgendwem zu unterstellen, sie oder er wäre Faschist, Stalinist, seelisch krank oder was auch immer. Ich erstelle keine Diagnosen über Menschen.
Zu Deinem Beispiel zurück: Selbstverständlich war es für diese traumatisierte junge Frau ein erster Lösungsschritt, sich ein Konstrukt zu erschaffen, in dem ihr Leiden einen Sinn bekommt. Freilich war dieses rüde Verhalten der jungen Schwester, die es besser zu wissen meinte, eine Art von Retraumatisierung. Wir sind da, denke ich, eh auf der gleichen Spur oder auf einer ähnlichen: Es wäre sinnvoller, empathischer, heilsamer, mitfühlender, professioneller gewesen, da differenziert hinzuschauen und wahrzunehmen, in welchen Kontexten dieses Konstrukt steht und wieso es unter genau diesen Umständen und vermutlich auf Zeit durchaus heilsam sein konnte.
Würde ich mich mit Simi beschäftigen wollen, müsste ich mich um genau diesen empathischen, heilsamen, mitfühlenden Zugang bemühen, und dann wäre ich schon voll auf der Spur, sie als potenziell pathologischen Fall zu betrachten, bei dem es vielleicht ganz verständlich und hilfreich ist, dass er, der Fall, sich solcher Konstrukte bedient ... ich meine und hoffe, Simi würde sich einen solchen Zugang verbitten; meiner ist es jedenfalls nicht.
Nein, zum wiederholten Mal: Mich interessiert das, was aus diesem Satz resultiert (und, lieber Stefan, ich lese ihn auch ganz bewusst ohne jeden Zusammenhang, aus dem er entstanden sein mag) - und es ist mir völlig egal, woher er gekommen ist, ich beziehe mich nur auf die nackte Aussage, dass irgendein Gott die Menschen in Gute und Böse eingeteilt hätte. Wenn das für wahr genommen wird... wofür lässt sich so ein Glauben benutzen?
Jake
P.S.: Eigentlich hätte das eh schon längst aus dem Astro-Thread in irgendein anderes Winkerl verschoben werden müssen... von wegen off-topic...