Gebettet in Staub

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Nahatkami

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Gebettet in Staub

Die schwarz gekleideten Wesen bewegten sich langsam, ganz langsam. Es waren dreizehn an ihrer Zahl. Vier von ihnen trugen einen großen Sarg auf den Schultern, die Köpfe gesenkt, die Schritte verborgen unter ihren weiten Kutten. Drei von ihnen liefen vor dem Sarg, zwei rechts und zwei links daneben, zwei weitere dahinter. Sie trugen die Lichter, welche gespenstisch flackerten und die mondlose Nacht erhellten.
Neben den wesen, vor und hinter ihnen erstreckte sich ein Friedhof, dessen Eingangstor sie bereits im Morgengrauen hinter sich gelassen hatten. Seitdem nur Stille, Schatten, staubiger Sand unter ihren Füßen, staubiger Sand auf den Gräbern um sie herum, staub auf den schiefen alten Grabsteinen, Staub auf den blattlosen, kahlen Bäumen. Versteinerte Engel blickten mit leeren Augen auf die Prozession, taten nichts, um die Wesen aufzuhalten. Alles Leben hier schien einzig und alleine in dem Staub zu stecken, welchen die Kuttenträger aufwirbelten. Denn sie selbst gehörten nicht hier her.
Sie blieben stehen. Die vorderen drei drehten sich um, in die Richtung des Sarges, die Laternen von sich gestreckt. Der Sarg wurde mühsam abgesetzt und die Träger tauschten ihren Platz mit jenen, die bisher neben ihnen gelaufen waren, nahmen die Laternen entgegen und leuchteten ihnen, die jetzt den Sarg wieder aufsetzten. Ein Ächzen ertönte grauenerregend, dann ein lautes Poltern, als einer der neuen Träger keinen Halt fand und der Sarg gefährlich auf die Seite kippte. Etwas in seinem Inneren schien erbost gegen das dunkle Holz zu klopfen, wütend. Doch darin war nur der Tod und das, was er hatte zurückgelassen.
Die vorderen drei wandten sich wieder ab und gingen weiter. Die Sargträger und die restlichen Laternenhalter folgten ihnen. Wege gab es hier keine, nur Gräber. Die meisten waren bereits uralt...
Damals brauchten sie noch nicht so weit gehen... Damals genügte eine Stunde hinter dem Tor, Nun liefen sie länger, als das Tageslicht reichte... Doch sie hatten es nicht eilig...
Ihre Schritte führten sie nicht geradeaus. Um viele Gräber liefen sie herum, da ihre gewaltigen Grabsteine sie dazu zwangen. Manchmal stand auch einer der Bäume in ihrem Weg, still, bewegungslos, tot. Oder die flehenden Hände einer Figur schienen nach ihnen zu greifen. Viele waren gestürzt, lagen halb im Sand vergraben, zerbrochen, stumm, vergessen. Die Zeit fraß sich schnell voran... Und der Staub sorgte für Endgültigkeit.
Der Sarg wurde noch weitere fünf male abgesetzt, damit die Träger sich abwechseln konnten.
Zu Beginn war das nicht nötig gewesen und es genügte, zu fünft zu gehen. Doch sie waren nun dreizehn, denn der Weg war lang geworden...
Unter einem Baum wurde der Sarg zum letzten mal abgesetzt. Die Laternen wurden in die Äste gehangen, dann begannen die Wesen in den Kutten, ein tiefes Loch in den Staub zu graben. Sie taten es schweigend, gekonnt und nicht zum ersten mal. Nach einer Weile wechselten sie sich ab, die anderen gruben weiter. In der Nähe befand sich eine alte Grabsäule, ihre obere Hälfte war längst zerfallen, der Stein zersplittert. Doch sie schob sich noch immer majestetisch in die Höhe, tiefschwarz vor dem dunklen Nachthimmel.
Das flackerdne Licht der Laternen ließ den Ort für einige Augenblicke lebendig erscheinen. Schatten tanzten über dem klaffenden Loch in der Erde, aus dem ein rhythmisches Scharrren klang. Dann endlich war es soweit. Der Sarg wartete auf seine letzte Ruhestätte. Unter Stöhnen und Knarren ließen die Wesen ihn in die Erde sinken. Eine Weile standen sie stumm und schauten in die Tiefe. Dann schaufelten sie das Loch zu, als hätten sie es plötzlich eilig. Staub legte sich auf ihre Kleidung und färbte sie grau. Doch das sah man im Dunkeln nicht.
Zuletzt wälzten sie einen großen, schweren Stein auf das Grab, nahmen ihre Laternen von den Ästen des Baumes und machten sich auf den Rückweg. Jetzt würden sie schneller sein, ohne den schweren Sarg. Und wenn sie sich beeilten, so würden sie vielleicht vor Anbruch der letzten Nacht zurück sein...
Ein Wesen blieb stehen. Mit seiner Laterne beleuchtete es den Stein: Hier ruht der letzte Mensch...
Wie lange würde es dauern, bis der Stein unter dem Sand bergaben lag? Bis er zerbrochen wäre? Das Wesen blickte sich um und folgte den anderen, dessen Lichter in der Frene schwankten. Die Stille kehrte zurück, Staub legte sich nieder. Irgendwann würde die Sonne aufgehen und das Tor sich schließen.

(März 2003)
 
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