Naja... so monolithisch eindeutig ist die epistemologische und wissenschaftstheoretische Basis da heute nicht mehr. Was Du da ansprichst, ist das korrespondenztheoretische Modell, das auf der Annahme beruht, eine Hypothese lasse sich an einer objektiv erkennbaren Wirklichkeit überprüfen. Da gibt es nun längst auch schon andere - z.B. komplementärtheoretische - Modelle, die eben nicht davon ausgehen, dass Wirklichkeit unmittelbar dem Erkennen zugänglich wäre. Ernst von Glasersfeld, zuletzt an der University of Massachusetts tätig (nicht als Hausmeister), verweist auf eine philosophische Tradition, die seit den Vorsokratikern schon im Diskurs ist und durch aktuelle Erkenntnisbiologie, Gehirnforschung etc. - also vor allem auch durch Naturwissenschaft - aktualisiert wird, nämlich "dass wir nie ein Bild von der Wirklichkeit mit der Wirklichkeit selbst vergleichen können, sondern nur Bilder mit Bildern von Wirklichkeit". Das entzieht der klassischen Popperschen Falsifikation und dem Kritischen Rationalismus Einiges an Boden. Der Erkenntnisbiologe Francisco Varela, der gemeinsam mit seinem Fachkollegen Humberto Maturana den Klassiker "Der Baum der Erkenntnis" geschrieben hat, meint: "Die Falsifikation erscheint nicht mehr als das zentrale Anliegen der wissenschaftlichen Arbeit. Es entsteht ein Panorama der Koexistenz, ein dialogischer Raum in der Welt und in der Wissenschaft; man kann mit Freude und Spaß die Fülle möglicher Existenzformen und die verschiedenen Auffassungen und Annahmen vergleichen, Ideen entwicklen, sich austauschen, debattieren. Die absolute Realität diktiert uns in meinen Augen nicht ihre Gesetze, denen wir dann zu gehorchen haben. Das ist eine partriarchale Perspektive. Man verkündet die Wahrheit und fordert absolut gültige Regeln, die einengen, begrenzen und Möglichkeiten zerstören. Was man die absolute Realität nennen könnte, erscheint mir dagegen eher als eine feminine Matrix, deren fundamentale Qualität gerade im Eröffnen von Möglichkeiten besteht."Dabei -- und das ist das Angenehme an der Wissenschaft per se -- ist die Art der Hypothese völlig offen. Sprich: jeder Wissenschaftler darf beliebige Hypothesen aufstellen und dann zu falsifizieren suchen. Das macht man in jeder echten Wissenschaft, auch in den Erfahrungswissenschaften, unter die auch die Astrologie fällt (oder fallen sollte).
So, jetzt hab ich ein Date, keine Zeit mehr, das weiter zu vertiefen. Nur mal so, als Hinweis darauf, was manche "echte Wissenschaftler" über "echte Wissenschaft" sagen... und darauf, dass das Feld der Wissenschaft, das so gern als Totschlag-Argument verwendet wird, doch um Einiges pluraler ist als es jeweils gern verstanden sein möchte...
Vielleicht morgen mehr, schaumermal...
Alles Liebe,
Jake
P.S.: Zitate aus Bernhard Pörksen, Die Gewissheit der Ungewissheit - Gespräche zum Konstruktivismus, Heidelberg 2002