Wenn ich noch einmal ein Klagelied hoere ueber die "ach so heile wunderbare Grossfamilie von frueher im Vergleich zur kaputten Kleinfamilie von heute", dann bekomme ich die Krise
!
Hoert endlich damit auf, die Familie zu idealisieren!
Sie war nie allgemein so, wie viele sich das wuenschen. Die Grossfamilie, die immer wieder verherrlicht wird, war eine Zwangsgemeinschaft, in der der Einzelne verraten und verkauft war und in der die Psychosen und Neurosen wucherten.
Der Wunsch nach einer schoenen Familie ist legitim, aber um ihn umzusetzen, muss man selber aktiv in seine Richtung sein.
In meiner Kernfamilie stimmt alles:
Meine Soehne, mein Lebensgefaehrte und ich sind ein wunderbares Team, das sich herzlich zugetan ist.
Meine Herkunftsfamilie kann man vergessen, die meines Freundes ebenso.
Was ich von den Familien meiner Eltern weiss und der meines Freundes, ist auch alles andere als ideal, obwohl es da keine Scheidungen gab und man beisammen blieb bis zum bitteren Ende...
Seine Mutter lebte in so einer angeblich idyllischen "Grossfamilie".
Sie war das juengste von 11 Kindern von verarmtem und verschaemtem Adel in Ostpreussen auf einem grossen Gut.
Ihre Eltern waren so sehr damit beschaeftigt, den finanziellen Ruin aufzuhalten und die Fassade nach aussen hin zu wahren und kuemmerten sich so wenig um ihre Kinder, dass man z.B. ihren Geburtstag regelmaessig vergass.
Aber die Hand mussten die Kinder den Eltern jeden Abend kuessen!
Mein Grossvater vaeterlicherseits hat sich umgebracht, meine Oma war eine total verknoecherte, emotionslose Frau, kein Wunder, dass mein Vater der wurde, der er war.
In der Familie meiner Mutter waren alle hysterisch, meine Grossmutter eine grausame herrschsuechtige Frau, kalt und hart wie ein Stein!
Es ist auch hier kein Wunder, dass meine Mutter so labil, unsicher und ungluecklich war ihr Leben lang. Bei uns zu Hause wurde entweder herumgekeift und genoergelt (meine Mutter) oder eisern geschwiegen (mein Vater war total introvertiert).
Die Atmosphaere war immer gespannt oder muffelig.
Kein Wunder wieder einmal, dass ich lange Zeit mit grossen Schwierigkeiten im Leben zu kaempfen hatte.
Ich koennte Romane allein ueber das schreiben, was ich von unseren Familien weiss, Horrorromane
! Dabei sagte meine Mutter immer:
ihr Kinder wisst nicht alles, es gibt Dinge, die ich euch nie erzaehlen werde.
Hat sie auch nicht, sie hat ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen. Wer weiss, was da noch alles im Hintergrund lauerte.
Das schlimmste in der "guten alten Zeit" war, dass die Altvorderen niemals in Frage gestellt werden durften.
Da konnten Eltern noch so beschissen sein - und die meisten war es - ihr Wort war unantastbar, sie waren tabu, und die Kinder mussten sie als hoechste Autoritaeten anerkennen, beinahe anbeten! Sie hatten IMMER recht!
Es gab auch keine verstaendnisvollen Lehrer, im Gegenteil, die standen da mit dem Rohrstock in der Hand, den sie gerne benutzten. In katholischen Gegenden uebte dann auch noch die Kirche ihr Schreckensregime aus und "Gott" schwebte als raechende Instanz ueber den Menschen.
Kinder hatten ausschliesslich zu parieren, dass sie eine empfindsame Seele haben, war voellig unbekannt. Man hatte sich "zusammenzureissen" und niemals zu beklagen. Manche Kinder wurden sogar dafuer geschlagen, wenn sie Kummer hatten und weinten. Toll, was?
Strenge, Pflicht, Gehorsam, DAS waren die Werte!
Liebe, Freude, Spass war aeusserst suspekt, in vielen Familien durfte nicht mal laut gelacht werden.
Das kann man sich heute alles ueberhaupt nicht mehr vorstellen!
Ich bin Jahrgang 44 und weiss, wovon ich rede...
Geht mir weg mit den tollen Verhaeltnissen von frueher, die gab es nie!
Individuell in einzelnen Familien natuerlich schon, aber das ist heute auch nicht anders!
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