Extraktion - ein Erfahrungsbericht

Lucia

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Berlin
Im schamanischen Weltbild werden Krankheiten von "Eindringlingen", verursacht, die, sobald sie erkannt sind, entfernt - extrahiert - werden. Die Extraktion ist somit eine Art "Operation im spirituellen Bereich" und nun in die Praxis...



Beim Reinkommen ist das Erste was auffällt der würzige Geruch. Der Duft von Kräutern und Weihrauch hängt in der Luft und vermittelt ein angenehmes Gefühl. Der Raum ist in ein angenehmes Halbdunkel getaucht und am Boden sitzen zwei Frauen auf Schafffellen und unterhalten sich. Die Jüngere von beiden erzählt, während die Ältere öfter dazu nickt und manchmal, anscheinend geistig abwesend, in die Luft über den Kopf der anderen starrt.
Ist dort nicht ein Flimmern in der Luft? Lichtreflexe.
Die jüngere Frau hat ihre Erzählung beendet und die andere nimmt ihre Hände, drückt sie sanft und bedeutet ihr dann sich hinzulegen. Dann steht sie auf, nimmt das Gefäß, aus dem die ganze Zeit gleichmäßig würziger Rauch aufgestiegen ist, eine Rassel und beginnt mit Summen die am Boden Liegende zu umkreisen.

Immer wieder stößt sie dabei unartikulierte, raue Schreie aus. Und jedes Mal, wenn sie das macht, wird dabei die Rassel geschwungen in kreisenden, fast schon lockenden Bewegungen. Und jedes Mal, wenn sie das macht, dann scheint der Rauch, der aus dem Gefäß steigt, zu beginnen in sich zu drehen, Formen anzunehmen...
Dann wird das Räuchergefäß auf die Seite gestellt.
Nach mehrmaligen Umkreisungen wird die Rassel über dem Körper am Boden gezogen. Vom Kopf zu den Füßen, von den Füßen zum Kopf. Manchmal verharrend an verschiedenen Körperstellen, scheint sich dann auch immer das Rasseln zu verändern. Die Frau am Boden hat die Augen geschlossen, scheint fast schon zu schlafen, so entspannt liegt sie da.
Nun werden links und rechts von ihr, unten bei den Füßen und am Kopfende kleine Tüten, gefüllt mit Tabak, hingelegt. Dabei steigern sich die Laute, die die ältere Frau von sich gibt - werden zu tiefen brummenden Tönen, dazwischen glockenhelle Klänge und spitze Schreie.
Sie verharrt am Fußende der Ruhenden, geht auf die Knie und beginnt auf einmal lockende Geräusche von sich zu geben, während sie die Rassel immer wieder über den Füßen vor ihr kreisen lässt und dann Richtung Tabaktüte zieht.

Plötzlich ein Beben der Beine, ein Zucken der Füße. Etwas kleines, schwarzes scheint sich eben noch von den Füßen weg in die Tüte bewegt zu haben, dann ist dieser Eindruck schon vorbei. Die Frau schließt mit einer Hand die Tüte, während sie weiter gurrt, als würde sie ein Tier oder ein Kind beruhigen wollen, steht dann auf und eilt zu einem im Hintergrund brennenden Feuer, in das sie mit einem triumphierenden schrillen Schrei ihren "Fang" wirft. Ähnliches läuft dann links und rechts bei den dort liegenden Tütchen ab, und jedes Mal landet die verschlossene Tüte im Feuer.
Danach wird die Rassel über den liegenden Körper geführt. Immer wieder kreisend vom Nabel weg Richtung Kopf gezogen. Die Lockrufe werden lauter und endlich setzt sie sich ans Kopfende.
"Koooommmmmmmm, kooooooooommmm, kooommmmmmm" gurrt sie. "Koommmm rrraaauuuuuuuuus rauuuuuuus, kommmm raauuuuuus" wird gelockt.
Schatten gleiten über die Wände. Seltsame, unbekannte Formen. Zungenschnalzen, Schmatzgeräusche, ein Locken und Gurren, untermalt von dem immer schriller werdenden Tönen der Rassel. Ein Beben fährt durch den Körper der jungen Frau. Sie beginnt sich zu winden. Stöhnt schmerzerfüllt auf.
"Koooooooooommmmmmmm, hier, hier, hier, hier" das Locken wird intensiver. Beim flüchtigen Hinsehen scheint es, als ob am Oberkörper der Frau ein Gewimmel ist von handdicken schwarzen, schlangenähnlichen Leibern, die Richtung Kopf wandern.
Als ein schwarzer Schlangenkopf sich durch den Scheitel drängt, wölbt sich der Körper und ein Schmerzschrei ist zu hören. "Jajajajajaaaaaaaaaaaa hiiiiiier, hier, hier, hier, koooooooommmmmmmm raaaaaauuuuuuuuus, hier, hier, hier", die Stimme klingt kaum menschlich und scheint für die Schlange unwiderstehlich zu sein.
Während sie sich vor und zurück wiegt, schiebt die ältere Frau die Tabaktüte vorsichtig näher zur Schlange. Dann ein Zischen, ein Huschen und mit einem Ruck löst sich die Schlange ganz aus dem menschlichen Körper und verschwindet in der Tüte.

Der Körper, den sie verlässt, bäumt sich auf, ein Schrei hallt. Die Tüte wird blitzschnell gepackt und zum Feuer getragen. Dort wird sie zu den immer noch im offenen Feuer liegenden drei Gegenstücken geworfen und wie sie bei ihnen landet, gehen alle vier gleichzeitig in Flammen auf.
Die ältere Frau dreht sich mit Schweiß überströmten Gesicht zu der am Boden Liegenden um. Diese weint leise vor sich hin, hat sichtlich Schmerzen. Mit beruhigendem Brummen bläst die ältere Frau nun Rauch über den Körper. An manchen Stellen bildet er kleine Spiralen und scheint einzudringen. Sie setzt sich hin und legt ihre Hände auf den Solarplexus der Liegenden.
Eine Viertelstunde vergeht. Das Weinen wird leiser. Ein erleichterter Seufzer. " Mir geht’s wieder gut", sagt die Jüngere.

Ja, und wer sich jetzt beim Lesen eine Jurte vorgestellt hat, eine Hütte oder ähnliches, den muss ich enttäuschen. Das Ganze hat sich tatsächlich so abgespielt in einem ganz normalen Wohnzimmer - bei mir - mit einer Stehlampe als Lichtquelle und einem schön warmen Kachelofen.
In dieser Art kann sich Schamanismus, eine schamanische Behandlung, heute abspielen.
Kann nicht nur, sondern tut’s auch!

:)
 
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Danke Lucia - für den Einblick, den ich nicht nur bildlich nachempfinden kann.
das war spannend.........
 
Ich entwickele noch eine Sammelleidenschaft für solche Berichte! Bin jedes Mal total ergriffen und... es macht ja auch etwas mit *einem*.
 
@Lucia

Dein Erfahrungsbericht ist die nachfolgend beschriebe Heilungsart.

Aus: Harner, Michael - Der Weg des Schamanen, Seite 192 ff.

Tabak-Fallen

Schädliche Kraft-Eindringlinge herauszusaugen ist, wie wir gesehen haben, eine fortgeschrittene schamanische Technik, die beträchtliche Vorbereitungen erfordert.

Eine viel einfachere Technik sind »Tabak-Fallen«, wie sie von mir genannt werden; sie sind die Umarbeitung einer Methode, die ich von einem Medizinmann der Lakota-Sioux aus South-Dakota erlernte.

Diese Methode basiert auf dem Prinzip, daß die eingedrungenen Geister Tabak lieben und davon angezogen werden.

Das stimmt überein mit der Jivaro-Ansicht, wie Sie sich erinnern werden, daß der Schamane tsentsak, die für Krafteindringungen verantwortlichen Geister,
ständig mit Tabakwasser tränkt.
Die Sioux-Methode benutzt Tabakstränge oder Miniatur-Stoffsäckchen, die Tabak enthalten. Für Tabak-Fallen werden die Stränge als Köder benutzt, um die eingedrungenen Geister, die im Körper einer kranken Person sein können, anzulocken und zu fangen.

Eine Art, wie dies gemacht wird, besteht darin, daß man einen Kranz von Tabak-strängen um den Patienten legt, der auf dem Erd-oder Fußboden liegt. Wenn dann der Schamane damit beschäftigt ist, schädliche Kraft-Eindringlinge aus dem Patienten zu entfernen, hat er als Hilfe auch die Tabakstränge, um die Geister herauszuziehen.

Wenn seine Extraktionsarbeit getan ist, rollt er die Tabakstränge sorgfältig zu einem Ball zusammen und bringt diesen sofort an einen entfernten Ort.

Dort wird der Ball auseinandergenommen, und die Tabakstränge werden so über die Zweige eines Baumes gehängt, wie das mit Lametta auf einem Weihnachtsbaum gemacht wird.

Das geschieht, damit sich die Geister weit entfernt von den Menschen, denen sie schaden könnten, verteilen.

Mit dem Unterschied, das hier die "Geister" verbrannt werden, anstatt sie weit weg zu bringen ....

Interessant ...

Gruss
 
Ich habe beleidigende Beiträge und die Reaktionen darauf entfernt. Man muß nicht einer Meinung sein und natürlich kann man auch kritik üben, aber es kommt auf den Ton drauf an. Wir haben hier Forumsregeln und die bitte ich einzuhalten.

LG
Margit
 
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