Erdogan gegen den Rest der Welt

Im Zeifelsfall bin ich auf Seite der Menschenrechte und verteidige nicht irgendeine menschrechtsverletzende Staatsmacht. Und du brauchst jetzt nicht mit den USA oder Saudi Arabien zu kommen, ganz davon abgesehen sind die USA vom Grundsatz her eine funktionierende Demokratie, während das türkische System sich davon wegentwickelt. Hier gehts doch um die Türkei, was sie mal war und wohin sie sich jetzt entwickelt.
Mir tut die westlich orientierte, intellektuelle Jugend leid, die all diese Rückschritte hinnehmen müssen und nicht mal aufbegehren dürfen,weil sie sonst im Knast verschwinden.

Ich sehe das ähnlich wie Du, allerdings halte ich die Türkei derzeit dem Grunde nach ebenfalls noch für eine Demokratie. Wenngleich in einem sehr vulnerablen Zustand, sowohl was die Bestrebungen der Regierungsspitze angeht, als auch die Partikularinteressen einiger Erdogan-Unterstützer.
Was mich sehr bestürzt ist, dass z.B. das Referendum für das Präsidialsystem im Wesentlichen von AuslandstürkInnen und ihrer hohen Zustimmung entschieden wurde. Also von Menschen, die NICHT unter diesem System leben. Und da frage ich mich durchaus selbstkritisch, was haben wir (damit meine ich Politik und Gesellschaft) falsch gemacht.
 
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Die USA sind de facto eine Oligarchie. Demokratie ist die Fassade, die das Bedürfnis der Menschen nach Freiheit stillt. Es ist eine Demokratieillusion.

Ich teile diese Sicht auf die USA nicht. Trump mag ein peinlicher, gänzlich ungeeigneter Präsident sein, aber die demokratischen Regulative funktionieren noch. Und das macht m.E. eine Demokratie sehr viel mehr aus als die Frage, ob der Präsident ein inkompetenter oder möglicherweise korrupter Trottel ist.
 
Ich teile diese Sicht auf die USA nicht. Trump mag ein peinlicher, gänzlich ungeeigneter Präsident sein, aber die demokratischen Regulative funktionieren noch. Und das macht m.E. eine Demokratie sehr viel mehr aus als die Frage, ob der Präsident ein inkompetenter oder möglicherweise korrupter Trottel ist.
Mit Trump hat das nichts zu tun.
Das war auch vor Trump schon so.

 
Meinungsmanipulation ist eine menschliche und keine USA spezifische Eigenschaft.
Auch wenn USA-bashing immer wieder en vogue ist sehe ich die USA nicht als undemokratischer als Deutschland, Österreich, Frankreich, ....
Ich sagte nicht, dass ich da einen Unterschied sehen würde. Ich reagierte auf die Aussage, die USA sei eine funktionierende Demokratie.
 
Ich sagte nicht, dass ich da einen Unterschied sehen würde. Ich reagierte auf die Aussage, die USA sei eine funktionierende Demokratie.

Der Konjunktiv wirkt auf mich hier fehl am Platz. Die USA ist meiner Wahrnehmung nach eine funktionierende Demokratie (mit allen Schwächen, die eine Demokratie eben so mit sich bringt).
 
Der Konjunktiv wirkt auf mich hier fehl am Platz. Die USA ist meiner Wahrnehmung nach eine funktionierende Demokratie (mit allen Schwächen, die eine Demokratie eben so mit sich bringt).
Ja, da sind wir dann unterschiedlicher Ansicht.
Wie Mansfeld ausführte, ist der Anteil an politischer Mitbestimmung bei den unteren 70% der Einkommensskala gleich null. Das ist keine VT somdern dss ergeben wissenschaftliche, sehr aufwändige Studien.
 
Was mich sehr bestürzt ist, dass z.B. das Referendum für das Präsidialsystem im Wesentlichen von AuslandstürkInnen und ihrer hohen Zustimmung entschieden wurde. Also von Menschen, die NICHT unter diesem System leben. Und da frage ich mich durchaus selbstkritisch, was haben wir (damit meine ich Politik und Gesellschaft) falsch gemacht.

Den größten Fehler den ich sehe und der gemacht wurde war Arbeitsimigranten aus einem völlig anderen Kulturkreis, sprich islamischen Ländern, nach Europa zum arbeiten einzuladen. Wobei letzteres ja garnicht stimmt.
Nachdem vor allem Deutschland Arbeitsmigranten aus Spanien, Italien und Portugal zum arbeiten nach Deutschland einluden durch entsprechende Staatsabkommen,
meldeten sich Länder wie Jugoslawien,Türkei und Marroko bei Deutschland mit der Bitte auch Arbeitskräfte nach Deutschland schicken zu können, da sie die Vorteile für ihre Länder sahen durch Geldüberweisungen (Devisen) in ihre Heimatländer.
Es ist nämlich ein Märchen dass sich bis heute hartnäckig hält, Deutschland oder die dt. Industrie hätte in der Türkei um Arbeitskräfte geworben. Und an diesem Märchen wollen neben der Politik die Medien schonmal garnicht rütteln, weil damit nämlich ein Faß in der Bevölkerung aufgemacht werden würde, dass die gegenwärtige Integrationspolitik mit seinen einseitigen Moralattitüden völlig ad absurdum führen würde.
Aber das nur nebenbei.

Fakt ist dass die Arbeitsmigranten aus der Türkei zu ca. 80% aus der unteren Bildungsschicht nach Deutschland kamen.
Es sind einfache Leute gewesen und sie gehörten so gesehen zum türk. Proletariat. Und das überträgt sich auch durch Erziehung und Abkapselung, aufgrund der kulturellen Unterschiede zu Deutschland, auf die 2. und 3. Generation bis in die 4.
Ein türkischer Arbeitskollege und großer Anhänger von Erdogan sagte vor nicht mal 3 Monaten zu mir ganz frech-provozierend:
"Wir brauchen uns in Deutschland garnicht mehr integrieren. Deutschland ist eine kleine Türkei. Man muss kein deutsch sprechen können. Es gibt türkische Ärtzte, türk. Geschäfte und auf den deutschen Ämtern türkische Angestellte mit denen man auf türkisch sein Anliegen vorbringen kann."

Diese ca. 80% der Türken in Deutschland sehen sich als unterpriviligierte Opfer in Deutschland und Erdogan ist der erste türk. Staatscheff gewesen der dieses Gefühl der Türken auch noch befeuert in dem er sie in ihrer Opferrolle auch noch bestätigt. Deshalb rennen sie Erogan ständig hinterher.
"Er versteht uns Türken in Deutschland" ist der meistbenutzte Satz, wenn man Türken in Deutschland fragt was sie an ihm so toll finden.
Sicher sind 80% der Türken in Deutschland unterpriviligiert. Aber nicht deshalb weil Deutschland sie unterpriviligiert hätte.

Erdogan hat sich seit seiner Amtszeit für das bis dato unterpriviligierte Volk in der Türkei eingesetzt, hat auf den Dörfern die Infrasturktur aufgebaut.
Er hat für mehr Arbeitsplätze, auch und vor allem für das bis dato unterpriviligierte Volk in der Türkei, durch Wirtschaftsaufschwung gesorgt.
Erdogan baut Autobahnen in der Türkei, modernste Brücken und Tunnel um den Bosporus zu übwinden. Sein nächstes Ziel ist der größte Flughafen der Welt in Istanbul. Er hat milliarden von Auslandsinvestitionen in die Türkei geholt, den Tourismus ausgebaut und somit viele Arbeitsplätze geschaffen.

Und eines darf man dabei nie vergessen:
Erdogan feiert zelebrierend die Vergangenheit des großen osmanischen Imperiums von Wien bis nach Mekka.
Erdogan verspricht seinem Volk die renaissance dieser Macht. Und es ist das einfache Volk, das Proletariat und ganz bestimmt nicht die türk. Intellektuellen, welche auf diese Verheissungen reinfallen.
Vor ein paar Jahren sagte ein anderer türkischer Arbeitskollge (auch großer Erdogananhänger) mal zu mir:
"Eines Tages kommst du in die Türkei zu arbeiten"
Ich hatte das damals erst garnicht verstanden wie er das meinte, da ich einen ziemlich guten und krisensicheren Job habe den ich nicht verlieren werde wenn ich nicht irgenwelche "goldenen Löffel" in meiner Firma klaue.
Heute weiss ich aber wie er das meinte. Diese in Deutschland selbst gefühlten unterpriviligierten Türken leben in einer völligen Traumwelt dass ihnen ihr "Heiland" Erdogan sugeriert; dass die Türkei wieder so stark und mächtig sein wird eines Tages, wie sie es einstmal war.

Aber um somit direkter auf deine Fragestellung einzugehen welche ich oben zitziert habe, @Kallisto :
Teile der nicht-intellektuellen Bevölkerung hinterfragen nicht intellektuell warum das damalige grosse Osmanische Reich untergegangen ist. Dazu fehlt ihnen auch das intellektuelle selbstkritische Bewusstsein. Diese einfachen Leute halten sich da lieber an einfache skurile Verschwörungstheorien.
Und auf dieser Basis; der einfachen skurilen Verschwörungstheorien kann man auch erklären warum die Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken für das (dikatorische) Präsidialsytem gestimmt haben.
Denn was nützt ihnen für ihren nationalen- und somit Selbststolz eine demokratische und rechtsstaatliche Türkei wenn sie augenscheinlich global schwach ist?
Sie wollen sich, im Ausland, in einer starken und mächtigen Türkei wiederspiegeln um,
und das muss ich ganz ehrlich sagen,
ihre Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren.
 
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Jedenfalls sind manche bestimmt gut genug im ideologischen Spagat um zwischen Erdogan, den sie natürlich als Diktator nicht mögen, und den Leuten hier, die ihn in der klaren Mehrheit gewählt haben komplett zu unterscheiden, insofern dass ausschließlich nur Erdogan ein Problem ist und eben nicht seine vielen Wähler sondern im Gegenteil sogar alle die diesen Spagat nicht mitmachen wollen und ein Problem darin sehen, dass er gewählt wurde.

Intellektuelle Dehnübungen in der "Spitzenklasse" der Realitätsverweigerung.
 
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