Eine ungewöhnliche Geschichte

Weltengänger

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Eine ungewöhnliche Geschichte

Von dem lauten Krächzen eines Raben geweckt, stand Ari auf.
Es mußte noch sehr früh sein, denn im Haus war es ruhig. Seine Mutter und seine zwei kleinen Brüder schliefen noch.
Ari war hochgewachsen und trotz das er erst 17 Winter erlebte, war er bereits der Mann auf dem Hof. Sein Vater und sein älterer Bruder Samu fielen vor einigen Jahren in einer Schlacht. Samu fehlte ihm sehr, waren sie doch unzertrennlich gewesen. Oft dachte er an die schöne Zeit zurück, die er mit ihm hatte. An die Denk- und Erinnerungsspiele. In denen waren sie unschlagbar. Aber auch an die ständigen Wettläufe und daran, das Samu immer gewann und ihn damit aufzog.
Ari zog sich seine Hose an und trat vor die Tür. Tief sog er die kühle Morgenluft ein, die sich gut in seinem noch erhitzten Körper anfühlte. Gestern war die Hochzeit des ältesten Sohnes des Stammesführers und wie üblich beging man es mit einem großen Trinkgelage. Es war still und ungewöhnlich nebelig. Doch auf einmal war wieder dieses Krächzen und Ari erkannte, nicht unweit von ihm auf einer Eiche einen Raben.
Nicht weiter beachtend, ließ Ari seinen Blick durch das Dorf schweifen, das wie ausgestorben schien. Doch dann war wieder dieses Krah von dem Raben zu hören und Ari begann sich einzubilden, der Rabe wollte etwas von ihm. Von der Neugierde gepackt, schloß er hinter sich die Tür und schritt auf den Baum zu.
An der alten Eiche angekommen, betrachtete er den Vogel. Und wieder gab der Rabe Laute von sich, aber diesmal ein kurzes, höheres raok raok und darauf folgend rak rak rak rak. Verspottest du mich, dachte sich Ari und, als ob der Rabe eine Antwort geben würde, krächzt der Vogel, flatternd mit seinen Flügeln ihm entgegen. Ein wenig verwundert über die Möglichkeit, der Rabe habe ihm geantwortet, starrt der junge Mann ihn an. Doch einen Moment später erhob sich der schwarze Vogel von seinem Ast und landete auf einen nahegelegenen Giebel. Wieder gab er die Laute von sich und flatterte mit den Flügeln, als verspottete er Ari. Er fing auch an daran zu glauben und leicht gereizt, mit dem Gedanken, es dem Vieh heimzuzahlen, lief Ari schnell in sein Haus und kam kurze Zeit später mit seinem Bogen und ein paar Pfeilen zurück.
"Dir werde ich es zeigen!", murmelte Ari, legte einen Pfeil an, spann den Bogen und schoß. Der Pfeil verfehlte aber den Raben, denn er flog schnell auf, als Ari die Sehne losließ. Ein Haus weiter setzte er sich wieder auf das Dach und wieder schien er ihn verspotten zu wollen. Ari setzte ihm nach, doch bevor er den nächsten Pfeil anlegen konnte, flog der Rabe krächzend auf den nahe gelegenen Wald zu. Da rannte auch Ari los, einerseits vom Jagdfieber gepackt und andererseits die Schmach nicht auf ihn sitzen lassen zu wollen.
Das Tier nicht aus den Augen lassend und immer noch die Spottrufe wahrnehmend, kam in Ari die Erinnerungen an die Wettläufe gegen seinen großen Bruder wieder hoch und irgendwie wurde aus dem Ernst ein Spaß. Zurückblickend auf seinen Bruder und es ihm auf diese Art zu zeigen, dass er doch schneller ist, ließ Ari seinen Bogen und Köcher fallen und nahm an Geschwindigkeit zu. Er rannte so schnell er konnte immer weiter in den Wald hinein. Die niedrighängenden Äste peitschten ihm auf die nackte Brust. Gekonnt wich er hier und da dem Gestrüpp aus, welches nur wenige Schritte vor ihm auftauchte, denn er merkte nicht, das der Nebel immer dichter wurde. Als Ari auf gleicher Höhe mit dem Vogel war, wurde der Nebel plötzlich lichter und er merkte, dass er in einem Teil des Waldes war, der ihm noch völlig fremd vorkam. Er wurde langsamer und vor ihm tat sich eine Lichtung auf. Auf der Lichtung angekommen, fehlte von dem Raben jede Spur. Ari sah sich um. Nein, hier war er noch nicht gewesen. Nachdenkend über das eben geschehene und wo er sich befinden könnte, hörte er hinter sich das Knacken auf dem Boden liegender Zweige. Erschrocken drehte sich Ari um und aus dem Dickicht des Waldes tauchte Samu auf. Splitternackt schritt Samu lächelnd auf seinen kleinen Bruder zu. Ari rieb sich das Gesicht.
"Bist du es wirklich?", fragte Ari seinen Bruder.
"Ja", antwortete Samu. "Aber höre mir gut zu! Ich habe nicht viel Zeit. Der Rabe, gegen den du ranntest, der war ich! Und der werde ich auch wieder sein. In der Schlacht, in die ich mit Vater zog, wurde ich schwer verwundet. Und da man mich für Tod hielt, ließen sie mich zurück. Ich hätte sterben können, aber ein mächtiger Herr, mein Herr, machte mich wieder heil unter der Bedingung, dass ich für ihn die Augen offen halte und ihm alles berichte, was ich sehe. Und um mir die Sache zu erleichtern, verwandelte er mich in einen Raben. Weil ich mich aber einsam fühlte und du mir so sehr fehlst, habe ich ihn darum gebeten, ob ich dich dazu bringen könnte, mit mir zu kommen. Er war einverstanden und gab mir die Fähigkeit, mich für einen kurzen Moment in meine menschliche Gestalt zurückzuverwandeln. Komm mit mir Ari, und lass uns endlos durch diese und andere Welten fliegen. Sieh mich an. Ich bin seit damals nicht gealtert. Mittlerweile bist du genauso alt wie ich."
"Aber wie ist das möglich? Wer ist dieser Herr? Und was wird geschehen?" fragte Ari, der es nicht recht glauben konnte und irgendwie garnichts verstand. Grinsend reichte Samu seinem Bruder die Hand entgegen.
"Nimm meine Hand und wir können für immer zusammen sein. Versuche nicht darüber nachzudenken. Du wirst es jetzt nicht verstehen können. Es ist. Ich kann dir auch nicht mit Worten erklären, wer oder was mein Herr ist. Du wirst aber alles verstehen, wenn du mit mir kommst."
Ari, der seinen Bruder so sehr vermisst hatte, überlegte nicht lange und ergriff seine Hand. Plötzlich begann sich alles um Ari zu drehen. So schnell, das Ari glaubte, er müsse sich jeden Moment übergeben. Da hörte er seinen Bruder.
"Schau mir in die Augen, Ari. Es wird gleich vorbei sein."
Ari sah in das Gesicht Samu´s. Doch es war nicht mehr seins. Sein Gesicht war von kleinen schwarzen Federn übersät und zog sich nach vorn hin spitz zusammen. Da wo seine Augen waren, sind jetzt zwei kleine schwarze Knöpfe. Auch er nahm plötzlich alles anders war. Alles begann sich noch schneller zu drehen und er verlor die Hand seines Bruders. Doch da war auch schon alles vorbei. Ein wenig benommen schaute Ari zu Samu und was er sah, war wieder der Rabe. Ein kurzes Schütteln und schon erhob sich Samu als erster in die Luft.
"Komm kleiner Bruder, trau dich! Es ist ganz einfach!"
Und da folgte ihm auch schon Ari wie von selbst. Beide flogen sie über den Wald und über ihr Heimatdorf. Etwas wehmutig schaute er nochmal auf sein Haus. Aber er wusste, dass seine Mutter es nicht schwer haben wird. Das Dorf wird sich um sie kümmern, bis seine zwei kleineren Brüder alt genug sind, um den Hof zu führen. So flogen sie immer weiter in die Welt hinaus, als Gedanke und Erinnerung, und darauf bedacht, vom Treiben der Menschen zu berichten.
 
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