huhu Herr Kaputtsky,
ich muß immer wieder sagen, wie sehr ich Dich bewundere für das, was Du da machst und wie Du es machst, lieber Online-Freund Willi.
Mir fällt ein, daß ich mich bezüglich der alten Menschen wirklich nach früher zurück wünsche, in die Großfamilie.
Man weiß heute, daß die Demenz nicht einfach so entsteht. Es gibt wohl eine genetische Disposition, auch die Demenz tritt wie viele andere Krankheitsbilder in Familien "gehäuft" auf.
Die Namensbezeichnungen für die beiden häufisten Erkrankungen (Demenz-"Formen") haben vorne dran das Wörtlein "Morbus" (Alzheimer, Pick). Das weist darauf hin, daß da wie so oft (beim Morbus Crohn ist es genauso) eine Gruppe von Symptomen, die geistig, körperlich und seelisch gleiche bis ähnliche Symptome erzeugen, zu einer Erkrankung zusammengefaßt werden. Der Sinn dahinter ist, nach der Beschreibung des Symptomkomplexes und der auftretenden sichtbaren und meßbaren Ursachen über die Behandlung der Krankheit nachdenken zu können. Alleine dafür wird ja eigentlich ein solcher name wie "Morbus Alzheimer" gebraucht: um die Symptomgruppe von anderen Krankheiten oder Gruppen abzugrenzen und sie kennen zu lernen.
Du hast völlig Recht, Willi, wenn Du sagst: meine Mutter ist einfach altersverwirrt. Die Symptome der Altersverwirrtheit werden eben gerne unter diesem Begriff "Demenz" zusammengefaßt.
Kennst Du Harry Potter, Willi? Da gibt es die "Dementoren". Sie sind die dunkelsten Gestalten des Zauberreiches, in dem Harry Potter lebt. Sie ernähren sich von der freudvollen Erinnerung der Menschen und lassen nur leidvolle Erinnerungen zurück. Im Roman ist diese Behandlung durch die "Dementoren" die "Verbannung nach Askaban". Guck mal: Ask (engl. Frage) a ban (engl. Bann).
Gleichsam ist es wie ein Gefängnis, wenn man mit der Demenz konfrontiert wird. Es ist auch egal, ob man jetzt der Demente ist oder der, der ihm begegnet: man spürt da die Gitterstäbe, durch die man nicht mehr hindurchdringen kann. Das Vergessen hat die alte Beziehung und damit das alte Gefühl für den Menschen "verbannt" und es bleiben nur Fragen zurück: wer bin ich, was ist das, wer ist der? Das uns allen hier noch eigene "warum", das die Gesundheit birgt (die Antwort auf "warum" führt ja zu Wissenszusammenängen, Bildung), entfällt weitestgehend, denn zielführende Gedanken sind nicht mehr möglich. Es kann nicht mehr "gelernt" werden. (das geht natürlich schleichend, aber man kann die Fähigkeiten testen.)
Übrigens: der lateinische Zauberspruch, den Harry Potter erfolgreich gegen diese Dementoren, die die positive Erinnerung klauen, anwendet ist "expecto patronum": "Ich erwarte den Herrn". Und zwar erfährt er die Wirkung dieses Satzes, als er seinen verstorbenen Vater persönlich reintegriert durch ein Erleben da im Buch. Er "Versöhnt" sich mit dem Vater, genauer nimmt er seine (genetische) Energie voll an. Er kriegt in dem Film auch zweimal gesagt, daß er genau so wie der Vater aussehe. Ich glaube ja, daß diese Gewißheit: "ich sehe wie der Vater aus" (...und der Herr schuf die Menschen nach seinem Ebenbilde...), die der H.P. da erhält, ihm die Reintegration seiner Zauberkraft erst ermöglicht.
Genau dieses "Gleichaussehen" der Familie verursacht oft bei Dementen Personenverkennungen. Es werden immer weniger Daten aus dem Gesehenen wirklich "verstanden". Und so führen Ähnlichkeiten dann zur Identifizierung eines anderen Menschen. Und: ein Mensch mit Halbseitenlähmung (Schlaganfall, Deine Schwester) wird nicht mehr erkannt, unter anderem weil das Gesichtsmuster ein Anderes ist.
Was ist schon zaubern, Willi, was hilft gegen die Dementoren? Das weißt Du selber: das Gefühl erreichen, das ist zaubern. Und das Erreichen des Gefühls verscheucht die Dementoren, die das Vergessen bringen und das Gefängnis verursachen.
Ist das nicht unglaublich, wie demente Menschen uns über das Gefühl erreichen, wenn wir uns dem öffnen?
Man will kommunizieren, will daß etwas Bestimmtes geschieht, aber wie ein Kind entscheidet der demente Mensch das alles selber. So wie es hier jemand geschrieben hat, war es die liebe Romaschka?, so empfinde ich es auch: man kann diese Menschen nur begleiten, wenn sie nicht in der häuslichen Umgebung sind.
Ich bin wirklich der Meinung: ein dementer Mensch gehört genauso wenig in ein Heim, wie ein sterbender Mensch. Die Altenheime sind ja Einrichtungen, die nach dem Krieg zur Versorgung der Kriegsversehrten und Witwen eingerichtet wurden. Die beiden Kriege waren ja mal die Ursache für das Zerfallen der Familien, wie nur unsere Generationen jetzt das erleben.
Man muß sich das immer wieder klar machen, daß die Konflikte, die wir mit unseren Eltern in uns drin erleben oder erlebt haben, auf schreckliche Verluste von lieben Menschen in jeder einzelnen Familie zurück zu führen sind. Diese Wunden- so sehe ich das- die zeigen sich in den Gehirnen dieser Generationen jetzt als dunkle Flecken in der hellen weißen Masse. Bei uns waren sie (bisher) nur als Schatten im Geist vorhanden. Ich bete mal: "Herr gib uns die Kraft, wieder als Generationen zu einer gemeinsamen Lebensweise zu finden."
Wenn die Alten diese Erinnerungen nicht losließen, könnten auch wir uns nicht davon trennen.
So ist der Zusammenhang.
Trotzdem erlebt man es persönlich und nimmt es persönlich und leidet darunter persönlich. Weil man eben teilnimmt an einem, tja, an einem fragwürdigen Geschehen, würde ich sagen.... ask-a-ban...
Dieses Ask-a-ban, "Frag Dir einen Bann"---- das ist so toll, von der Wortschöpfung dieser Autorin her. Askaban. Ich stelle mir mich als Kind vor, ich frage etwas und es hat leider den Schatten der Familie tangiert. Oder ich habe ein Verhalten gezeigt, das in der Familie als ungehörig bewertet wurde. Oder ich habe die Grenzen der Scham vor Nacktheit und Berührung erfahren, wie sie in der Familie herrschen, und ich habe diese Art des "Banns" für mich akzeptieren lernen müssen. Ich habe nach Liebe gefragt, und habe sie nicht bekommen.
Liebe war das, was ich gerade wollte. (siehe dazu oben das andere violette)
Man sieht also die Frage, das Verlangen nach Aufmerksamkeit, nach Befriedigung der emotionalen Bedürfnisse. Und genau diese Fähigkeit, ausreichend Aufmerksamkeit zu erlangen (das ist ja die Frage: wer bin ich, wie bin ich und was "ernte" ich, wenn ich es so oder so sähe, was ich bin) ist eben in uns selber weniger gestört als in der Kriegsgeneration. Und die Ursache der Störung ist das Wörtchen Gewalt. Und "Mißbrauch", Mißbrauch von Technologien, von massenbildenden Medien, von Medikamenten etc. pp.
Man denke nur an Contergan: damals fand man es normal, daß werdende Mütter nicht schlafen können und ergo pfiff man ihnen reihenweise Schlafmittel rein. So einen Quatsch würde man nun heute auch wieder nicht mehr machen---- meint man. Es gibt aber viele Beispiele für ähnliche kommerzielle Versuche der Pharmaindustrie, die genauso hirnrissig sind, wie so eine Schlafpille für werdende Mütter. Da muß ich aus ethisch-moralischen Gründen immer den Text abbrechen, weil ich sonst ausfallend werde und diese Energie spar ich mir auf, bis ich mal in der Situation bin, wo ich gelassen diesen Nagel dann ins Holz haue.
Der Schlafrhythmus: wenn ich da ans Altenheim denke, wird mir übel. 19:00 Uhr ins Bett, weil man muß ja bis 21:15 Uhr noch 12 weitere zu Bett bringen. Und Aufstehen ist morgens um 8, weil man muß ja noch 9 weitere aus dem Bett holen, sich waschen lassen oder waschen, anziehen, evtl. Schmuck, Schminke, Cremchen X, Sälbchen Y, Kind ich hab die Handtasche vergessen, gucken sie mal, was wir hier gemeinsam am Arm haben, ach du bist mein Schatz.
Es ist schon eine Hektik des Morgens, aber morgens ist es schön. Finde ich. Ich habe nie verstanden, wo die Kolleginnen im Altenheim da jetzt innere Anläße für Unruhe finden, denn wenn man die Tätigkeiten mal vergleicht mit anderen Berufen, dann hat man nicht gerade zuviel zu tun. Das Problem ist, daß sich diese Helfenden selbst immer "verlieren" in den Leuten, die sie betüddeln und daß sie teilweise echt zu Robotern werden.
Und einem Roboter in Deutschland ist es- man höre und staune: nur schwer begreiflich zu machen, daß kein Mensch 13 Stunden lang im Bett liegen möchte. Du redest in manchem Haus wirlich gegen eine persönliche Machtlosigkeit aus "Es geht nicht" an, daß es einer enormen Willensanstrengung bedarf, da teilweise wertschätzend zu bleiben.
Jetzt aber mal wieder zurück nach Hause: mir fällt ein babyfon ein. Man weiß es wenn man Kinder hat: wenn das Babyfon an ist, ist man selber beruhigt. Und darum geht es. Man wird nicht öfter aufstehen, weil man jetzt das babyfon hat, aber man wird selber ruhiger schlafen.
Ansonsten ist die Fähigkeit nachts zu schlafen eine Frage der Auslastung tagsüber. Und natürlich der Menge des Schlafes im Sessel tagsüber- wenn man tagsüber zuviel "döst", also zuwenig aktiviert wird durch die Umgebung (stundenlanges Fernsehen, wie es heute üblich ist, ist auch Schlaf, Alpha-Wellen...), kann man nachts nicht schlafen. Man ist eben nicht ausgelastet.
Und ansonsten schwankt unsere Befindlichkeit generell ja hin und her, also auch unser Schlafbedürfnis und unsere Schlaftiefe. Es kommt eben darauf an, was wir erleben.
So, ich steige wieder auf meinen Zauberbesen und fliege weiter, immer tapfer kämpfend gegen die Dementoren.