Ein roter Stein im Ohrring

S

Sayalla

Guest
"Ich habe den roten Stein gewählt, nicht den gelben. Der rote paßt viel besser, finde ich. Gell Schatz? Schau doch mal!"
Er: "Ja."
"Für so einen Anlaß paßt rot einfach viel besser."
Und endlich schaute ich mir meine neuen Ohrringe in ihrem Handtaschenspiegel an, den sie mir nun wackelnd vorhielt... schenkte den Ohrringen Aufmerksamkeit, die sie mir eben unter ihrem üblichen Redeschwall angedeihen ließ.
Sie sind wirklich schön, dachte ich. Vor allem gefällt mir, daß sie ihr gefallen, meiner treuen Freundin. Übermütig strahlt sie mich an. Ich lächle mein derzeit mutigstes Lächeln. Tja, so sind wohl Beerdigungen.
In diesem kleinen Cafe bin ich noch nie gewesen, fällt mir nun auf. Hübsch ist es hier, in hellen Farben das Mobiliar und auf den Tischen stehen noch kleine Osterkörbchen mit Naschereien darin. Ich überlege bereits, wo ich wenigstens einen Teil der Leckerein verstauen könnte, für abends... man weiß ja nie...
erstmal wollte ich auf Toilette gehen. Dass Beerdigungen aber auch immer so auf die Blase drücken müssen, fürchterlich...
im Spiegel dort dasselbe Prozedere. Meine liebe Freundin weist auf die Ohrringe hin, die ganz allein sie für ganz allein mich ausgesucht hat. Ich blicke nur kurz in den Spiegel (heute will ich mich nicht sehen), dann schaue ich zu ihr und bin voll des Lobes. Sie scheint zufrieden, zumindest läßt sie mich nun in Ruhe.
Als ich in den Gastraum zurückkehre, merke ich, daß eine Horde knallharter, schokoladenversessener Grundschuljungs die Osterkörbchen während meines Toilettengangs geplündert hat. Nun brauche ich mir keine Gedanken mehr daüber machen, worin ich etwas heimlich nach Hause tragen könnte. Achtlos aufgerissene Süßigkeiten bahnten sich sichtbar ihren Weg in gierige Mäuler.
Ach, ich bin auch nicht besser, dachte ich und ging schmunzelnd an ihnen vorbei ins Freie.
Wo bin ich eigenlich? Dies ist meine Heimatstadt, da kenne ich jeden Winkel und jede Gasse und doch: Hier bin ich fremd. Alles neu.
Sind so Beerdigungen?
Ich schaue wie hypnotisiert nach links. Dort schwebt über einem Hügel ein Märchenschloß. Dass es dort noch nie stand, weiß ich nun aber ganz genau. Vielleicht grad deswegen muß ich es nun bewundern.
Meine Freundin schleicht mit ihrem Schatz im Schlepptau an mir vorbei und flötet: "Bis dann, ich ruf dich an...", wirft mir ein Luftküschen zu und entlässt mich endlich in meine wohlverdiente Einsamkeit.
Das Schloß, fällt mir sofort ein, wo stand es? Als ich es zum zweiten Mal erblicke, ist es viel schöner als beim ersten Mal. Ich breite meine Flügel aus...
der letzte Gedanke, den ich habe, beschäftigt sich mit meinem Ex: "Wenn ich je wieder Schluß machen sollte mit einem Exemplar der besonders schwer zu verstehenden Gattung Mann, dann gehe ich dieselbe Gasse entlang, in dasselbe Cafe und dann, dann schwebe ich meinem Schloß entgegen."
Ganz allein, frei! Ich bin frei!!!
Beerdigungen sind gar nicht so verwirrend wie ich dachte.
 
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