"Du gehst zu Frauen? Verlieb dich in die Peitsche nicht!"

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whiterabbit

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Du gehst zu Frauen?

Nietzsche vergisst die Peitsche nicht. Ein Fundstück

Ludger Lütkehaus

Ich stelle mir vor, die russisch-deutsche Generalstochter Lou von Salomé hätte dem gottlosen deutschen Pfarrerssohn Friedrich Nietzsche anstelle seines mutterlosen "Sohnes Zarathustra" ein gemeinsames Kind geschenkt. Und Paul Rée, für Nietzsche erst der Freund, dann der Konkurrent im Kampf um Lou, hätte ironischerweise den Taufpaten abgegeben: So wäre das meistmissbrauchte Nietzsche-Zitat uns wahrscheinlich vorenthalten geblieben. Es steht im ersten Teil von Also sprach Zarathustra, allerdings etwas anders, als der Volksmund es zu zitieren pflegt: "Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!"

Besagter Volksmund macht daraus meistens ein "Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!" und schreibt das Zitat Zarathustra, wenn nicht gleich Nietzsche selber zu. Dass der Satz im Zarathustra dem "alten Weiblein" in den Mund gelegt wird, es sich also um distanzierte Rollenprosa handelt, wissen die Zitierer in der Regel nicht. Und wenn sie es wüssten, würde sie das kaum irritieren. Denn steht der Satz etwa nicht "bei Nietzsche"? Für die Nietzsche-Interpreten und Nietzsche-Freunde ist der Satz eine Verlegenheit geblieben. Der Political Correctness musste er, zumal in feministisch inspirierten Zeiten, stets ein Ärgernis sein. So haben denn fast alle Interpreten beträchtlichen Scharfsinn darauf verwandt, den rüden Imperativ zu relativieren. Die Kommentatoren haben zu Recht darauf verwiesen, dass die Begegnung Zarathustras mit dem "alten Weiblein" keineswegs eindeutig ist: Es fehlt nicht an versteckter Ironie, auch Selbstironie, an Brechungen, Verfremdungen. Wer denn überhaupt die Peitsche trägt, der Mann, der "zu Frauen" geht, oder diese selber, lässt der Text offen. Und natürlich ist manchem Interpreten aufgefallen, dass die Szene eine biografische Vorläuferin hat.

Im Mai 1882, also vor dem Zarathustra - das Trio Lou von Salomé, Nietzsche und Paul Rée hält sich gerade in Luzern auf -, ist es Nietzsche, der im Studio von Jules Bonnet einen Fototermin arrangiert und das Bild bis ins Detail selber inszeniert: Im Geschirr eines Leiterwagens vorne Paul Rée; hinter ihm Nietzsche und Lou als eine Art Domina, ein zartes Peitschlein schwingend, das mit einem Fliedersträußchen geschmückt ist, im Hintergrund die Berge des Berner Oberlandes, genauer: die "Jungfrau" mit dem ätherisch reinen Silberhorn: eine ironische Inszenierung, welche die von der Peitsche dominierten Geschlechterverhältnisse zum Tanzen bringt. Ein Gegenbild zum Zarathustra.

Für das Zarathustra-Zitat bedeutet das nicht unbedingt Gutes. Gibt man ihm in Übereinstimmung mit der populären Lesart die Sado-Macho-Deutung (der Mann als Peitschenschwinger), so werden die Rollenverhältnisse der Luzerner Inszenierung umgekehrt: Die Peitsche wandert gleichsam von der Frau zum Mann zurück. Der biografische Hintergrund wäre evident: Nietzsches Liebe zu Lou ist gescheitert, auch die Freundschaft zerbrochen. Die rüde Maxime des Zarathustra verdankte sich also einem buchstäblich zu verstehenden "Res-Sentiment", dessen revanchistischen Charakter niemand so wie Nietzsche, der größte Psychologe unter den Philosophen, betont hat.

Umkehrung und Ressentiment aber auch noch aus einer weiteren Perspektive, wenn man eine verwandte legendäre Szene der Philosophiegeschichte hinzunimmt, deren Ikonografie Nietzsche zweifellos bekannt war. Der liebestolle Aristoteles wird darin von der Hofdame Phyllis geritten, die über ihm die Peitsche schwingt. Wie sie ihn glauben gemacht hat, ist das in ihrer Familie so der Brauch, bevor es zum Ritt aller Ritte kommen darf. In Wahrheit ist es die Revanche dafür, dass Aristoteles seinem Zögling Alexander die Liebe zu Phyllis mit Erfolg ausgetrieben hat.

Der seinerseits liebestolle Nietzsche aber inszeniert auf diesem Hintergrund zunächst die um den Dritten im Bunde vermehrte, ironisch gebrochene Neuauflage der Fleisch gewordenen philosophiehistorischen Anekdote, in der aus weisen Männern von ihrer Leidenschaft gerittene Tiere werden. Das ist die erotische Wiederkehr des Gleichen. Schmerz, Lust und Rache stellen das vielversprechende Bild einer umgekehrten Geschlechterordnung wieder auf die männlichen Füße. Zarathustra übt für den zum Narren gewordenen philosophischen Ahnen Vergeltung: nicht noch einmal. Die Moral von der Geschicht? "Du gehst zu Frauen? Verlieb dich in die Peitsche nicht!"
 
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hallo liebes kaninchen,
vorhin grade las ich, wie du auf die frau deines lebens wartest und dich nicht in "verkehrte" beziehungen verschwendest, und nun das hier... *puh*

so tief schürfen noch vor der eigenen auslebung von mann-frau-beziehung...?

ok, nix für ungut. wollte ich nur mal bemerkt haben.
danke für diesen beitrag, sehr interessant.
romaschka mit grüßen
 
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@wr: ein gut gelungener Artikel mit ideologiekritischem Analysebezug.
Habe ihn mir zur weiteren Vewendung im Studium auf die HDD kopiert.

Besten Dank, du gebildetes Kaninchen! :)


Wenn ich Zeit finde mache ich eine Analyse bezogen auf die sozialen Räume. Zarathustra hat ja einen gewaltigen historischen Bezug.
 
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