Die Zweite Kindheit.

Frau B. Buuh, meine Güte, das war eine Kanone. Die eierte den ganzen Tag über die Station, war dünn und klein. Und beschäftigte sich damit zu beobachten, was die unverschämten Weiber taten. So nannte sie die Schwestern. haha, das war schwierig für mich. Weil ich die Dame eben validiert hatte, das kannten die Kolleginnen auf der Station nicht und hatten daher auch nicht ihre Originalworte, sondern nur ihr Abwehrverhalten, um zu verstehen, was so in ihr vorging. Denen durfte ich dann schonend beibringen, was Frau B. so über sie dachte. Manche sind ja einfache Gemüter und nehmen das persönlich, da sind Engelszungen gefragt.

Die gute Dame verteilte z.B. mit Vorliebe nachts ihre Verdauung im gesamten Zimmer. Eine Person, bei der man sich notgedrungenerweise ekelt. Da ist ein herzliches In-Den-Arm-Nehmen immer mit einer kleinen Schweinehund-Demontage überwunden. Und mit der Hoffnung, dass die Kollegin morgens gründlich geschrubbt hat. Für Frau B. war es mit fürchterlicher Scham verbunden, morgens ins Bett zu machen. Das kam ihr eben gelegentlich so und sie merkte das. Ans Klingeln dachte sie nicht, das Zeug musste weg. Dann noch die typische defizitäre Altenheim-Ernährung, zäher Stuhl und dann hab das mal zwischen den Beinen in der Einlage und kriege die los und das Malheur weg. Keine leichte Aufgabe für einen dementen Menschen. Besonders, wenn man mit jedem Handgriff die braune Farbe nur verteilt. Da wächst die Pein permanent und dann kommt die Schwester herein und sagt oh je mine Frau B! Was haben sie und wie sieht es hier aus etc. "Ach Du lieber Gott sie Arme"- das wäre ein anderer Start in den Tag. Aber dafür muss man eben Mensch bleiben, trotz Sch****. Das ist gar nicht so einfach. Soweit ich mich erinnere, ist das nicht mehr vorgekommen, seit wir sie morgens geweckt haben und mit ihr auf die Toilette gegangen sind. Auch da muss man ja einen riesigen Sermon der Nachtschwester über sich ergehen lassen, dass die Leute doch ein Recht hätten auf ihren Schlaf hätten. Manchmal ist es so dermassen merkwürdig in Altenheimen und Krankenhäusern, das sind die Prioritäten der Menschlichen Möglichkeiten so eng gesteckt, das glaubt man kaum. Ich mache das jetzt bald 15 Jahre und ich bin immer noch Baff darüber, wie schwierig es ist, dass Menschen alle anders sind und auch noch jeden Tag anders. Das habe ich irgendwie schon mit der Muttermilch aufgesogen und von meinen beiden Schwestern gelernt. Manchmal glaube ich, ich bin ein echter Alien in meinem Beruf. Aber es gibt ja diese Idee, es kämen Aliens auf die Erde, um zur Besserung der Anstalt Erde beizutragen. Dieser Theorie bin ich zwar nicht verfallen, aber sie trägt stets zu meiner Erheiterung bei, wenn ich als Carlsson vom Dach meine Hubschrauber-Tour mache.

*dies waren die Gedanken von Frau Gerda Schmitz, einer 35-jährigen ehemaligen Anstaltspädagogin:weihna1
 
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Hi Romschka, schön dass Du hergefunden hast.

Warum spricht die Dame denn nicht? Der letzte Satz macht mich jetzt platt. Ist die quasi nur für die Bühne unterwegs?

Zustand nach Alkoholabusus
Sie konfabuliert nur noch in Minisätzen in ganz wenigen, lichten Momenten, aber da ihre Sprache sehr verwaschen ist, wird sie von ihren Mitmenschen kaum verstanden. Daher lebt sie nun nur noch in sich.
 
...
Die gute Dame verteilte z.B. mit Vorliebe nachts ihre Verdauung im gesamten Zimmer. Eine Person, bei der man sich notgedrungenerweise ekelt. Da ist ein herzliches In-Den-Arm-Nehmen immer mit einer kleinen Schweinehund-Demontage überwunden. Und mit der Hoffnung, dass die Kollegin morgens gründlich geschrubbt hat. ...
*dies waren die Gedanken von Frau Gerda Schmitz, einer 35-jährigen ehemaligen Anstaltspädagogin:weihna1

Verdauung verteilen... :D
Danke schön für diese Gedankenanregung. Ich habe schon manchmal überlegt, wie ich das Wort "Exkremente" bei Beschreibung eines solchen Zustandes weglassen könnte.

Herrlich, dieser Satz von Frau Schmitz. Grüße sie mal von mir! Das ist druckreif!

Kennt Ihr das Buch "Wenn die fremde Frau kommt"? Da beschreibt eine Altenpflegerin ihre ersten Einsätze in der ambulanten Pflege. Es las sich für mich so, als wenn ich selbst beim Arbeiten wäre. Tiefsinnig, emotional und doch mit einem lebendigen Lächeln.
 
Gestern hatte ich Nachtdienst.
Georg bekommt jetzt Infusionen zur Flüssigkeitssubstitution.
Er schlief kaum, war aber ruhig und freute sich, wenn ich nach ihm und dem Tropf sah und ihm kurz über den Arm streichelte.

Heute morgen war er so schwach, dass er bat, im Bett bleiben zu dürfen.
Leider hat der Frühdienst ihn doch wieder mobilisiert und die Treppe runtergeschleift. Anders kann man das nicht mehr nennen. :nudelwalk
Das Resultat war ein Kollaps.
Nun liegt er im Krankenhaus, und ich befürchte, dass er nun dort seinen letzten Weg beschreiten wird. Das hätte ich ihm gern im vertrauten Heim ermöglicht.

Ich bin traurig, dass so entschieden wurde. Menschen kommen ins Heim, um dort abzuleben. Und es gibt immer wieder Kollegen, die das nicht aushalten und die Bewohner ins Krankenhaus abschieben.
 
Nachtdienst.
Frau K. klingelt alle 2 Std., da sie einfach diesen Rhytmus hat.
Als sie dann jedoch nach dem letzten Nach-ihr-Sehen 10 Minuten später gleich wieder klingelte, war meine Geduld ziemlich erschöpft. Ich eilte hin mit unterdrücktem Seufzer. Komisch, ihre Nachtlampe brannte gar nicht. Also schaltete ich die Deckenlampe an.

Frau K. blinzelte ganz erstaunt und verschlafen.
"Habe ich geklingelt, Schwester?"
"Ja."
"Oh, Entschuldigung, da hab ich mich wohl VERWÄHLT."


:clown: :)

Das klang so nach Wählscheibe und Telefon, und sie hatte doch nur an einer über ihr hängenden Strippe gezogen... Das war einfach amüsant. :)
 
Wusstet Ihr schon, dass in einem Krankenhaus Verstorbene als "entlassen" in der Anmeldung registriert werden?

Georg ist nun entlassen.

Ich stand im Foyer und war wie betäubt, obwohl ich das schon gestern fühlte, dass es soweit ist. Trotzdem treffen mich solche Nachrichten wie Gongschläge - mitten ins Kronenchakra. BUMM. Ich hätte vorher im Dienst anrufen sollen, dann hätte ich mir dort die Bestätigung holen können.

Das liebenswerteste Ekel, das ich kannte, ist eingeschlafen.
Mach's gut, mein Freund und Lehrmeister!
 
Im Altenheim in der Nachbarschaft schreit immer wieder eine Frau: 'HALLOO! HAAALLOOOO! HAA....' Ein wenig nervig ist es schon. Vor allem im Sommer, wenn dort alle Türen und Fenster aufstehen. Sehen kann ich nichts, denn die Büsche versperren die Sicht. Doch um so mehr verwundert es, dass auf einmal eine harsche Stimme ruft:'Net so laut! Schrei doch net immer so laut!' Auch gläubige Schwestern gehen im Alter oft in ein Heim. Diese sind dann bei mir über den Garten weg. Aber dass genau die so ungeduldig sind, erstaunt mich sehr.

Seit ein paar Jahren schreit die Frau nicht mehr. Ich vermute, sie ist gestorben.
 
Unser Heim ist immer sehr schön dekoriert. Überall. Auch auf den Tischen stehen Blumen.

Alzheimer-Patientin W., Pflegestufe III, sitzt am Tisch.
Ihr gegenüber eine Blinde.
Ich bin unterwegs und hole alle, die nicht selbst kommen können, zu Tisch.

Als ich wiederkomme, hat W. die Thermoskanne hinuntergeworfen.
Die Blinde sieht erschrocken aus.
Scherben.
Noch eine Kanne Kaffee kochen.
Eine Ersatzkanne aus dem Keller holen.

Gespräch mit der Chefin.
"Wie konnte das passieren? Du musst besser aufpassen. Kosten..."-blabla...
Heißt im Klartext: Diesen Tisch kann ich erst eindecken, wenn ich Zeit habe, dort das Essen anzureichen und dabei zu bleiben.

Ich bitte daraufhin die Chefin, die Dekoration vom Tisch zu nehmen, da ich nicht mehr garantieren kann, dass nichts hinunterfällt. Ich habe nur zwei Hände.

Nein, die Dekoration bleibt stehen. Wir wollen Wohlfühlathmosphäre.
Ja, genau das will ich auch. Auch beim Arbeiten.

Am nächsten Tag: Ich komme mal wieder zu spät dazu, weil ich andere zum Tisch holen musste...
W. sieht so friedlich aus. Sie gärtnert im Blumentopf und freut sich. Ihre Hände und der Tisch und ihr Pullover und Hose sind voller Blumenerde.
Sie kaut etwas.
Hat ihr jemand schon einen Keks gegeben?
Minutenlanges Bereinigen von Tisch, Textilien und Händen...
Die anderen warten auf Kaffee und Kuchen...
Ich wünsche mir 6 Arme und 12 Hände.

Später finde ich ausgespuckte, zerkaute rote Blüten unterm Tisch.
Lecker.
Na hoffentlich waren die Blumen nicht giftig!
Ich "liebe" meine Chefin.
W. ist nichts passiert. Magen-Darm in Ordnung. Was bin ich froh.

Ich werde anregen, eine Blumenerdekiste bauen zu lassen, wo Demente auf dem Tisch drin arbeiten können. So Art Sandkasten für die Wohnung.
Anregung und Beschäftigung.
Keine Einträge mehr im Beschäftigungsbogen: "Passive Teilnahme am Gesellschaftsspiel"! :nudelwalk
 
Im Altenheim in der Nachbarschaft schreit immer wieder eine Frau: 'HALLOO! HAAALLOOOO! HAA....' Ein wenig nervig ist es schon. Vor allem im Sommer, wenn dort alle Türen und Fenster aufstehen. Sehen kann ich nichts, denn die Büsche versperren die Sicht. Doch um so mehr verwundert es, dass auf einmal eine harsche Stimme ruft:'Net so laut! Schrei doch net immer so laut!' Auch gläubige Schwestern gehen im Alter oft in ein Heim. Diese sind dann bei mir über den Garten weg. Aber dass genau die so ungeduldig sind, erstaunt mich sehr.

Seit ein paar Jahren schreit die Frau nicht mehr. Ich vermute, sie ist gestorben.

Liebe Mariposa,
auch gläubige Schwestern sind nur Menschen. :liebe1:

Was genau meinst du mit "Auch gläubige Schwestern gehen im Alter oft in ein Heim."?
Dass sie selbst gepflegt werden als Heimbewohner und dann ungeduldige "hallo"-Rufer werden?
Oder meinst du, dass gläubige Schwestern mit einem "Hallo"-Rufer ungeduldig waren?
Auch den Satz "Diese sind dann bei mir über den Garten weg." verstehe ich leider nicht. Sie sind über deinen Zaun gestiegen? Oder sind sie über deinen Garten hin und weg im Sinne von "begeistert"?

Entschuldige bitte meine Fragen, aber ich denke, es liegt am Dialekt, dass wir uns scheinbar nicht verstehen, trotzdem wir beide deutsch sprechen.

Ich hoffe neugierig auf deine Antwort!
LG, Romaschka
 
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Wusstet Ihr schon, dass in einem Krankenhaus Verstorbene als "entlassen" in der Anmeldung registriert werden?

Georg ist nun entlassen.

Ich stand im Foyer und war wie betäubt, obwohl ich das schon gestern fühlte, dass es soweit ist. Trotzdem treffen mich solche Nachrichten wie Gongschläge - mitten ins Kronenchakra. BUMM. Ich hätte vorher im Dienst anrufen sollen, dann hätte ich mir dort die Bestätigung holen können.

Das liebenswerteste Ekel, das ich kannte, ist eingeschlafen.
Mach's gut, mein Freund und Lehrmeister!
Na, das ging ja schnell.
hm, tja, das sieht die software leider so vor mit dem "Entlassen". Letztlich kommt das aus der Kontierung, das ist eine Wortschöpfung der Buchhaltung in diesem Falle. Naja, leeres Bett ist leeres Bett.
 
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