Die Zweite Kindheit.

Trixi Maus

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23. Oktober 2005
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Neulich sass ich im Kaffee mit Günther und Herbert. Da kam- stellt Euch vor- eine Frau, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, plötzlich an unseren Tisch. Sie ging zielstrebig auf uns zu- ich fühlte mich an so einen Gangsterfilm erinnert, wo ein Attentäter mit einer Pistole an einem Tisch vorbeigeht um den dort sitzenden den Schädel zu stanzen. Ich habe richtig Angst bekommen, so schnell kam diese Frau auf mich zu.
Leider sehe ich nicht so gut- ich sah nur dieses weisse grosse Wesen auf mich zu kommen.
Und dann hörte ich sie sprechen (ich konnte das Gesicht noch nicht erkennen, sie war noch zu weit weg): "Soooo Frau Maus, jetzt gehen wir aber in's Bett".

Ich erinnerte mich da an irgendetwas Fernes, dass mir das schon einmal genau so begegnet sei- es war wie eine Art dèja vue. Nur so ein Blitz, eine weisse Frau.

"Was wollen Sie, na hören sie mal!", sagt ich.

"Ja aber Frau Maus, sie müssen jetzt ins Bett", sagt die doch da. Ja jetzt schlägt's aber 13, ich glaub ich spinne.

"Was wollen Sie von mir bitte?"

"Frau Maus, kommen Sie, machen Sie mir keine Schwierigkeiten, ich muss noch 9 andere Menschen ins Bett bringen".

Was will diese unmögliche Person von mir? :confused:

Jetzt fasst sie mich auch noch an der Schulter! Ich zucke zurück und wende mich ab, aber da nimmt sie auch noch meine Hand!!

"Kommen Sie, Frau Maus, ich bringe Sie jetzt auf ihr Zimmer".

<<da geh ich lieber mit, diese unm&#246;gliche person scheint stark zu sein und mir d&#228;mmert da gerade wieder etwas, schon wieder so ein d&#232;ja vue, dass man sich mit dieser Person besser nicht anlegt>>

"Aha, gehen Sie doch mit mir in's Bett", sagt sie da.

Ja jetzt schl&#228;gt's aber 13 !!

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Hierhin mache ich ein paar Texte zum Thema Demenz, wen's interessiert, der mag mitschreiben und sich mit einf&#252;hlen in diese grunds&#228;tzlich hochinteressante Reise des Bewusstseins zur&#252;ck aus dem Alter in die Kindheit.

:liebe1:
 
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Jetzt sitze ich hier und bin alleine. Ich bin jetzt 75 Jahre alt und ich habe in den letzten Jahren meinen Mann versorgt. Er war 10 jahre älter als ich. Gestern ist er gestorben. Er ist gefunden worden. Tot, im Wald. Nackt.

Walter hatte eine Demenz. Es fing vor etwa 10 Jahren an, als der den Führerschein abgeben musste. Er hatte sich hoffnungslos verfahren und musste die Polizei fragen, wo er war. Gott sei Dank ist damals nichts Schlimmes passiert. Es hat ewig gedauert, bis ich ihn mit den Kindern dazu überredet hatte, den Führerschein abzugeben.

Aber seitdem hat er kontinuierlich abgebaut. Er kam ja auch nicht mehr raus, machte seine Runde nicht mehr. Mit dem Auto eine Runde zum Zeitungsladen und zwei Flaschen Bier kaufen, das war so seine tägliche Runde. Aber dann hat er wohl nicht mehr gewusst, wo er war, so plötzlich. Man hat uns dann gesagt, dass sich diese Krankheit sehr langsam entwickelt und dass ein Gerüst an Tätigkeiten, die klappen, eine Art "Anker" sind, um ein Leben führen zu können. Fallen diese Anker weg, geht es bergab mit den Demenzkranken.

10 Jahre haben wir jetzt hier in unserer Wohnung verbracht. Es war furchtbar. Ich konnte ja nicht weg. Er hätte ja nur Unfug angestellt. Einmal ist er nachts aufgestanden und hat die Badewanne aufgedreht. Hätte sie keinen Überlauf gehabt, hätten wir einen grossen Schaden gehabt. Und die Herdplatte hat er immer angelassen, ich habe zum Schluss die Küche zu geschlossen, wenn ich nicht drin war. 10 Jahre, nur für ihn, hier in dieser Wohnung. Wenn ich die Kinder nicht gehabt hätte- ich hätte ihn längst ins Altenheim geben müssen. Jetzt wo ich mich hier umschaue sehe ich: hier muss unbedingt renoviert werden, aber ich habe gar keine Kraft, da auch nur dran zu denken. Ich habe ja hier 10 Jahre überhaupt nichts verändern können, damit er sich zurechtfindet.

Und jetzt ist es jetzt vor einer Woche dazu gekommen, dass Walter ins Altenheim kam. Ich wollte das nicht, er natürlich auch nicht, auch wenn er das so nicht sagen kann, aber ich weiss das. Es ging einfach nicht mehr. Und jetzt ist mein Walter tot.

Er hatte ein schönes Zimmer bekommen im Neubau des Altenheimes. Das Altenheim ist gross und Walter lief den ganzen Tag darin herum. Die Schwestern haben erzäht, dass er in die Zimmer anderer Bewohner geht und dass er nachts ein paar Frauen auf diese Weise erschreckt hätte. Sie wollen es noch ein paar Tage beobachten, sagen sie, er müsse sich erst daran gewöhnen, nachts im Heim zu schlafen. Na die haben eine Ahnung von meinem Walter! Der schläft tagsüber von 1-4 und das reicht dem leider völlig. Ansonsten bleibt der nicht mal eine Stunde an einem Fleck ohne Aufforderung, sitzen zu bleiben. Man muss eben bei ihm sein.

Ach was sag ich muss, bleibt, haben- er ist ja tot.

In dem Altenheim gab es im Neubau eine türe, die führte nach draussen. überhaupt schien mir der Neubau kaum fertig, in den Walter eingezogen war. Diese Türen, die ich meine, die führen auf die Feuertreppe und da sind einfache Türklinken dran. Ich war mit Walter an diesen Türen kurz frische Luft schnappen tagsüber. Mir ist versichert worden, dass die Türen nachts abgeschlossen werden, denn ich hatte die Ahnung, dass sich Walter da auf den Weg machen würde.

Am 4. Tag seines Aufenthaltes war Walter verschwunden. Man vermutet, dass er das Altenheim durch diese Türe verlassen hat, die offen stand. Der See am Altenheim ist abgetaucht worden, dort haben sie ihn nicht gefunden. Das ganze Gebiet wurde mit Hubschraubern abgesucht, es war Winter, es lag Schnee, man hätte ihn sehen müssen. Aber gefunden hat man ihn nicht. Erst Tage später fand ihn ein Wanderer im Wald. Walter hatte sich ausgezogen und sich an einen Baum gekauert.

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diese Geschichte ist wirklich passiert, was erfunden ist, das ist die Person der Ehefrau.

*schluck*
 
HIIIIILFEEEEE HIIIILLLFFFEEEE HIIIIIIIILLLLLLFFFFFFEEEEEE !!!!!

So schallt es im Minutentakt über den Flur des Altenheimes Zum Wiesenglück.

HIIIIILFEEEEE HIIIILLLFFFEEEE HIIIIIIIILLLLLLFFFFFFEEEEEE !!!!!

"Puuh, ich kann es bald nicht mehr hören", sagt Schwester Monika, "sollen wir ihr nicht was geben?"

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Eine existierende Situation, die einfach nur, weil sie da ist, zum Anregen nachdenken soll. Gerade in einer Zeit, wo Kinder Defizite entwickeln, weil ihnen zu wenig oder die falsche Aufmerksamkeit zuteil wird. Und man ihnen die Diagnose "Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom" an den Kopf pappt und sie selber zu den Kranken stempelt.
Dabei ist die defizitäre Aufmerksamkeit eher beim Pflegenden gelegen und der Möglichkeit, in den bestehenden Strukturn Alternativen zu entwickeln.

Wer das ist, der da schreit und warum diese Person schreit, das schauen wir uns jetzt im folgenden Textchen an.

:)
HIIIIILFEEEEE HIIIILLLFFFEEEE HIIIIIIIILLLLLLFFFFFFEEEEEE !!!!!
 
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus,
den du, o Jungfrau,vom Heiligen Geist empfangen hast.
Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder,
jetzt und in der Stunde unseres Todes . Amen.
...
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus,
den du, o Jungfrau,vom Heiligen Geist empfangen hast.
Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder,
jetzt und in der Stunde unseres Todes . Amen.
...
...

HHIIILLLFFFEEE HHIIIILLLFFFEEE HHHHIIIILLLLFFFFEEEE

Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus,
den du, o Jungfrau,vom Heiligen Geist empfangen hast.
Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder,
jetzt und in der Stunde unseres Todes . Amen.
HHIIIILLLFFFEEE HHIIILLLLFFEEEE HHHIIILLLLFFFFFFEEEEE
...

Frau Maus, eine christliche, sehr schlanke Jungfer, wie man sagt, lebte in den letzten 20 Jahren alleine auf einem Bauernhof am Ort in einer kleinen Wohnung. Sie verliess ihr Haus nicht, denn sie war nicht mehr gut zu Fuss. Nur der Pfarrer kannte sie von ihren Besuchen- die anderen BewohnerInnen des Ortes hatten den Kontakt mehr oder minder einschlafen lassen, denn Frau Maus hörte kaum noch. Sie weigerte sich aber, ein Hörgerät zu tragen, wie der Arzt es ihr vorschlug. Damit war sie von der Kummunikation beinahe abgeschnitten. In der Nähe wohnten Verwandte, die ihr Tante Tinchen Maus in grösseren Abständen besuchten. Bisher war alles gut gegangen zuhause, aber jetzt war Tinchen im Badezimmer gefallen und hatte sich die Hüfte gebrochen. Der Bauer auf dem Hof, der ihr die Milch bringt und das Essen, hatte Tante Tinchen Gott sei Dank schnell entdeckt.

Und nun sass Tinchen Maus im Altenheim.Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, den du, o Jungfrau,vom Heiligen Geist empfangen hast. HHIIIILLLFFFEEE HHIIILLLLFFEEEE HHHIIILLLLFFFFFFEEEEE

Sie war gerade erst angekommen, vier Tage war sie da. Gebenedeit ist die...

Tinchen wusste nicht, wo sie war. Tinchen wusste nicht, dass sie in einem Rollstuhl sitzt und sich die Hüfte gebrochen hatte. Tinchen wusste nicht, dass sie nicht mehr gehen konnte vorerst. Das merkte sie erst, wenn sie es versuchte, weil es weh tat und nicht klappte. Ansonsten sah sie durch ihre dicke Brille, mit der sie später, als man eine Lupe besorgt hatte, auch in ihrem Gebetbüchlein sang, alles nur schemenhaft. Gesichter erkannte sie nur, wenn man ganz nah an ihr linkes Auge herankam, denn das rechte war blind. Unglücklicherweise war des linke Ohr taub, so dass man quasi um die Ecke rufen musste, damit sie rechts etwas verstand.

HHIIIILLLFFFEEE HHIIILLLLFFEEEE HHHIIILLLLFFFFFFEEEEE wo ist eigentlich meine Handtasche? Ah, da ist sie ja da steh ich mal auf...

Klatsch, da liegt Tinchen Maus auf dem Boden. Die Hüfte ist wieder gebrochen, Tinchen Maus geht ins Krankenhaus und kommt zwei Wochen später in noch jämmerlicherem Zustand wieder zurück ins Altenheim.

Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes . Amen, schallt es jetzt wieder in einem Menschen unaufhörlich im Haus Wiesenglück und leider auch HHIIIILLLFFFEEE HHIIILLLLFFEEEE HHHIIILLLLFFFFFFEEEEE.

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nur so, um ein Schicksal zu malen.
 
Neulich im Bett bei Frau Schmitz nebenan, eine Demenzerkrankte im Endstadium.


hmmmm, hmmmmm, hmhmmmmm.
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hmmmm, hmmmmm, hmhmmmmm.
hmmmm, hmmmmm, hmhmmmmm.
 
"Julia! Julia, wo bist Du denn, Julia!!"

"Julia!"

"Julia!"

Aber Mutter, ich bin doch hier!

"Juuuulliiaaaaa!"

"Juuuulliiaaaaa!"
 
Julia, Julia, meine Güte, wo ist sie denn, sie müsste doch längst schon zuhause sein, wenn ihr nun etwas Schlimmes passiert ist, hätte ich doch nur vernünftig aufgepasst, warum habe ich auch die Terassentüre aufgelassen und nun ist sie weg und wir sind doch hier fremd, sie kennt sich ja nicht aus JULIA, JULIA, wo ist sie denn nur, mein Gott, wenn ihr etwas zugestossen ist...

Frau Maus geht wieder den Weg ihrer wiederkehrenden Gedanken im Flur eines Altenheimes auf und ab. Sie ist schon so erschöpft von ihrer Suche nach Julia, dass sie schwankt.

"Hallo Frau Maus", sagt Schwester Monika. Sie kennt Frau Maus, sie weiss auch um Julia. Julia ist das Kind von Frau Maus, das weggelaufen ist. Nach langem Überlegen in Erinnerungen ist es den Verwandten schliesslich eingefallen, welches Ereignis Frau Maus über den Gang des Flures im Altenheim treibt. Es war im Urlaub am Plattensee im Jahre 1951. Es fällt ihnen schwer zu verstehen, dass ihre Mutter gerade diese Reise wiederholt und gerade 35 Jahre alt ist.

Ich bin doch hier, Mutter.

Wenn sie da den Weg heruntergelaufen ist zum See, ach herrje, was da passiert sein kann. Sie ist doch so gerne im Wasser, wenn sie da nun alleine hereingegangen ist. JULIA!

ich bin doch hier, Mutter.

"Lassen sie mich bitte durch", sagt Frau Maus, bevor sie weitertrippelt.

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unglaublich traurig, wenn man sich da mal wirklich hineinversetzt, was die Angehörigen erleben.
 
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Trixi?

köstlich:stickout2
das erinnert mich an das Altersheim meiner
geliebten Mam vor einem Jahr in Melbourne:
da hörte ich immer: "hello.... hello


...hello.... hello?"

na ich los die Schwester rufen
war natürlich niemmand zu sehen auf dem Flur
da meinete meine Mam: "ach das ist nur der Rufer
der macht das den ganzen Tag!"


Ali:liebe1: :liebe1: :liebe1:
 
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