@Tarbagan, Du kennst dich da doch rechtlich aus, magst mal schauen, wieso es in diesem Fall so schwer wäre, seine Zulassung einzukassieren?
Wieso legt der Richter dem
Zahnarzt nahe, seine Berufung freiwillig niederzulegen? Bedeutet das, er hätte, wenn er das nicht wollte, weiterhin als Zahnarzt praktizieren können? Und bedeutet Berufung niederlegen, dass er einfach freiwillig seinen Job nicht mehr ausübt oder ihm seine
Appobration entzogen werden würde?
Und wie wäre es gesetzt dem Fall, er hätte dem Patienten ohne "Indigoesokram" alle Zähne gezogen, hätte das hinsichtlich des Urteils (Schmerzensgeld) einen Unterschied gemacht? Hätte er dann weiter praktiziert und nur das Schmerzensgeld zahlen müssen?
Danke vorab.
Lg
Any
Also erstmal zum Thema gesunde Zähne ziehen allgemein:
Aus strafrechtlicher Perspektive sieht es, wie ralrene gesagt hat, so aus, dass jeder medizinische Eingriff eine Körperverletzung darstellt. Was aber falsch ist, ist, dass ein Arzt unter keinen Umständen gesunde Zähne ziehen darf.
Man kann nämlich in eine Körperverletzung einwilligen, § 228 StGB. Ansonsten wäre die Ausübung von Mannschaftssport quasi unmöglich (klassisches Beispiel für wirksame Einwilligung bei Körperverletzung). Allerdings gibt es zwei Grenzen der Einwilligung: erstens, ob das Rechtsgut dispositiv ist. Man kann z.B. bis heute nicht in die eigene Tötung einwilligen, weil das Leben als solches nicht dispositiv ist. Bei Körperverletzung gibt es da natürlich 50 shades of grey - wortwörtlich, denn es gibt viele Fälle von Körperverletzung mit Einwilligung während dem Geschlechtsverkehr, die von Gerichten als nicht wirksam angesehen wurden, weil sie gegen "die guten Sitten" (vgl § 228 StGB) verstießen. Und immer wenns um Sitten geht, wird Recht (meiner Ansicht nach) sehr fragwürdig. In England gab's z.B. R v Brown, wo sich Homosexuelle mit Sadomaso-Praktiken strafbar gemacht haben. Danach gab's aber einen Fall (R v Wilson), wo ein Mann seiner Frau seinen Namen mit einem glühenden Messer in den Hintern geritzt hat - das galt als ok. Wo die Unterscheidung liegen soll, ist nicht wirklich ersichtlich. In Deutschland gibt's das Problem z.B. bei den von Loop erwähnten Menschen mit Body Integrity Identity Disorder, wo sich Menschen Körperteile amputieren lassen wollen. Auch hier wird eine Grenze gesehen - auch der Körper ist also nur ein begrenzt dispositives Rechtsgut. Im vorliegenden Fall würde ich behaupten, dass das Ziehen von zumindest einem oder zwei Zähnen nicht a priori strafbar ist, manch Richter würd evt. anders entscheiden (ich bin da eher liberal). Bei einzelnen Zähnen wird das sogar in der Praxis öfter gemacht. Bei nem ganzen Gebiss geht das aber denk ich nicht durch.
Außerdem gibt es eine zweite Grenze: die Einwilligungsfähigkeit. Die hängt davon ab, ob der Mensch überhaupt die Tragweite und Folgen seiner Entscheidungen abwägen kann. Das ist hier natürlich fragwürdig. Aber weg vom Strafrecht, vorliegend war's ja ein Zivilprozess.
Erstmal: die Arzthaftung richtet sich nach § 611 i.V.m. § 280 BGB. Das Gericht hat hier offensichtlich einen Behandlungsfehler konstatiert, sonst gäb's keinen Schadensersatz. Aber ein Behandlungsfehler allein reicht nicht für den Entzug der Approbation.
Und jetzt zu den eigentlichen Fragen:
Könnte der Arzt seine Approbation entzogen bekommen?
Kurz: Wahrscheinlich ja.
Die Ärzte haben als besonderer Berufsstand ein eigenes Ständerecht, geregelt in der BÄO für Ärzte, ZHG für Zahnärzte. Demnach darf nicht jeder einfach (Zahn)Arzt werden, sondern muss auch geeignet sein. Geeignet ist, wer zuverlässig und würdig ist, § 2 I Nr. 2 ZHG.
Unzuverlässig ist man, wenn man von der eigenen Persönlichkeit aus nicht für den Beruf geeignet ist und davon auszugehen ist, dass die Person auch in Zukunft seinen Beruf nicht ordnungsgemäß ausüben wird.
Unwürdig ist, wer durch spezielles, besonders kritikwürdiges Verhalten so viel an Ansehen und Vertrauen verloren hat, dass er es nicht mehr "verdient", Teil der Ärzteschaft zu sein. (das wäre z.B. beim Fälschen von Studien der Fall)
Keine der beiden Voraussetzungen ist zweifelsfrei gegeben.
Der Eingriff war ein Behandlungsfehler und indiziert Unwürdigkeit, siehe oben. Dagegen spricht, dass er (behauptet er) nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat und sein Patient (nach dessen Aussage) auch jetzt noch zufrieden ist. Grundsätzlich reicht ein "normaler" Behandlungsfehler nicht für den Entzug der Approbation - langanhaltendes und wiederholtes Verhalten in dieser Hinsicht hingegen schon.
Andererseits sind die Uneinsichtigkeit des Arztes und seine Aussagen vor Gericht ein starkes Indiz für Unzuverlässigkeit. Jeder Arzt darf natürlich jeden Hokuspokus Zauberschmarrn anbieten, den er will, um mehr Geld an seinen (Privat-)Patienten zu verdienen - aber eben nur, soweit das nicht das Vertrauen in die Ärzteschaft erschüttert oder rechtswidrig ist. Hier war es rechtswidrig, daher das Schmerzensgeld, und der Arzt zeigt sich uneinsichtig.
Insgesamt denke ich, der Entzug der Approbation würde durchgehen, aber es wäre sehr zeitraubend und anstrengend. Es könnte dann zu einem rechtlichen Scharmützel kommen, dann wird in vergangenen Fällen des Arztes gewühlt und vielleicht Strafanzeige gestellt, um den Antrag durchzubekommen. Das wäre auch für den Zahnarzt unschön.
Bzgl dem "Berufung niederlegen". Das hat keine konkret rechtliche Bedeutung. Was der Richter wahrscheinlich meinte ist, dass der Zahnarzt auf seine Approbation verzichtet (sie "zurückgibt") gem. § 7 ZHG. Dazu schickt er nen signierten Brief an die zuständige Behörde und der Drops ist gelutscht. Alternativen wären der Widerruf der Approbation durch die Behörde (§ 4 ZHG) oder ein Anordnen des Ruhens der Approbation (§ 5 ZHG).
Der Zahnarzt hat vor Gericht gesagt , er möchte sich ohnehin auf seine "Energiearbeit" konzentrieren. Würde er um seine Approbation kämpfen, würde die Behörde, wie oben beschrieben, vielleicht in seiner Vergangenheit rumfischen, vielleicht käme es zu einer Strafanzeige, auf jeden Fall aber zu viel Arbeit. Zweitens wirkt es für seine persönliche Zukunft (als Wunderheiler) sicher seriöser, wenn er seine Approbation "niederlegt", anstatt dass er sie "entzogen" bekommt. Diese zwei Faktoren hatte der Richter wahrscheinlich im Kopf, als er dem Zahnarzt das "Niederlegen der Berufung" empfohlen hat.
Bzgl. dem "Indigoesokram": Das hat erstmal keine Bedeutung, das Gericht steht Alternativmedizin (trotz § 1 III ZHG: "
zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung") grundsätzlich erstmal neutral gegenüber, ist auch von der Berufs- und Meinungsfreiheit gedeckt. In der Praxis ist es eben so, dass esoterische Vorstellungen vor Gericht fast immer mit psychischen Krankheiten einhergehen (ganz populär: Siriusfall, Katzenkönigfall, etc). Jeder halbwegs findige Anwalt wird aus den esoterischen Ansichten seines Mandanten sofort eine psychische Krankheit machen, denn beim Schutz psychisch Kranker kommt vor Gericht sofort das Fallbeil, sowohl zivil- als auch strafrechtlich. Gegen bloße Dummheit schützt einen das Gericht hingegen natürlich nicht.
Hier hat der Esokram zwei Bedeutungen: erstens natürlich, dass das Gericht sofort sagen konnte "
nicht einwilligungsfähig, Behandlungsfehler", daher Schmerzensgeld. Und der Behandlungsfehler ist natürlich auch das Fundament für den Widerruf der Approbation. Aber wie oben beschrieben, man könnte auch argumentieren, dass das Ziehen gesunder Zähne generell einen Behandlungsfehler darstellt bzw. strafrechtlich relevant ist (was ich persönlich nicht so sehe). Das wäre zwar komplizierter, aber wahrscheinlich vor Gericht durchgegangen.
Der zweite Faktor ist, dass der Zahnarzt ja selbst an den Esokram glaubt. Das kommt ihm zugute bzgl. des Behandlungsfehlers und der Zuverlässigkeit (weil er nicht willentlich den Aberglauben seines Patienten ausgenutzt hat, sondern ihn scheinbar teilt), es spricht aber auch gegen ihn bzgl Unwürdigkeit, siehe oben.
Der Ausgang wäre dann also komplizierter gewesen. Pauschal könnte man nicht sagen, ob er dann weiter praktizieren hätte können. Ich glaube, es hätte ihm zusätzlich das Genick brechen können, wenn er nicht daran glaubt, aber den Aberglauben seines Patienten ausnutzt. Vielleicht hätte das Gericht aber auch die mangelnde Wiederholungsgefahr (wg. mangelnder persönlicher Überzeugung) als ausschlaggebend gesehen. Ich glaub aber eher ersteres.
tbg