Wyrm schrieb:
ich frage mich sowieso, wie das geregelt werden wird.
bei zunehmendem technologischen fortschritt ist es doch
klar, dass die zahl der arbeitslosen steigt ?
Nein, so einfach ist es nicht. Die Sachlage ist kompliziert: Mit zunehmendem technischen Fortschritt, also auf gut deutsch: zunehmender maschineller Produktivität kann v.a. einfache, repetitive Arbeit gut ersetzt werden. Das heisst, Leute die dieser Art Jobs ausführen, werden ersetzt durch Maschinen. Hier stimmt deine Aussage, dass sich die Arbeitslosigkeit unter diesen Leuten erhöht, denn sie sind nun mal nicht dazu ausgebildet, andere Jobs auszuführen, wo ein Mangel herrscht.
Langfristig aber führt die Verlagerung von menschlicher zu maschineller Arbeit eben auch zu einem anderen Effekt: Es entstehen neue Arbeitsgebiete, die vorher noch nicht existierten. Als Beispiel sei die Mobiltelefonbranche oder die Internetbranche zu nennen. Die hat vor 20 Jahren schlicht und ergreifend nicht existiert, heute beschäftigen diese Branchen abertausende von Menschen. Es kommt also langfristig durch den technischen Fortschritt gleichzeitig zu einer Umlagerung, also einer Umwandlung der Art,
welche Arbeit ausgeführt wird.
Wenn man die beiden Effekte aufsummiert, dann heisst das: Arbeitsplätze im Produktionsbereich, die sich einfach automatisieren lassen, werden langfristig automatisiert. Die Automobilbranche hat in Deutschland keine wirkliche Zukunft, so einfach ist das. Falls die Firmen überhaupt in Deutschland bleiben, so wird es irgendwann (etwas übertrieben formuliert) leere Fabriken geben, in denen Roboter Autos am Stück fertigen. Da braucht's dann nur noch ein paar Ingenieure, die die Sache überwachen.
Dafür entstehen viele neue Arbeitsplätze in Bereichen, die sich eben nicht automatisieren lassen, und das sind v.a. Dienstleistungsbereiche, so noch immer individuell für den Kunden eine Lösung erarbeitet werden muss. In 30 Jahren wird die Biotechnologie ganz neue Berufsfelder schaffen, die sich heute niemand vorstellen kann. Zum Beispiel könnte es Apotheker und Drogeristen geben, die für jeden Kunden angepasst auf seine körperlichen Bedürfnisse eine Medizin ausarbeiten, so dass der Doktor nicht mehr einfach ein Rezept für ein bestimmtes Medikament verschreibt, sondern dass jeder Kunde ein ganz auf ihn abgestimmtes Medikament erhält, das dann bei ihm möglichst wenige Nebenwirkungen hat.
Die einfache Formel ist: Ein Fabrikarbeiter ist nicht in der Lage, Biotechnologie zu beherrschen. Durch die technologische Entwicklung wird er arbeitslos, während in der Biotech-branche (zumindest am Anfang) ein Spezialistenmangel herrscht. Also Arbeitslose auf Seite der einen, Arbeitskräftemangel auf der Seite der anderen, ohne dass sich beide Felder jemals finden.
Ausserdem wird es nie Massenarbeitslosigkeit in der Coiffure-Branche geben, weil hier nix automatisiert werden kann. Hier führt also auch technischer Fortschritt nicht zu Arbeitslosigkeit, denn die Person, die die Haare schneidet, muss auch mit einem Laser-Schneidegerät die Arbeit von Hand ausführen.
Darüberhinaus haben die Leute heute bei uns (!) massiv mehr Freizeit als früher. Das ist einfach ein Faktum, das niemand leugnen kann. Wer mir nicht glaubt, der soll sich mal selbst darum kümmern herauszufinden, wie seine Ur-Ur-Grosseltern noch ihre Brötchen verdient haben. Die haben zu unerträglichen Bedingungen pro Tag bis zu 16 Stunden gearbeitet, für einen Lohn, mit welchem sie knapp ihre Lebenskosten begleichen konnten. Das gibt es heute nicht mehr in Westeuropa - aber durchaus in Ländern wie China, Indien, Brasilien usw. Hier hat der technologische Fortschritt dazu geführt, dass der Mensch viel mehr Freizeit hat, da hat der Interviewte durchaus recht.
Und dann wären da auch noch die demographischen Faktoren zu berücksichtigen, also beispielsweise, dass in Ländern wie im Iran > 25% der Bevölkerung unter 20 Jahre alt ist, oder dass bei uns die Leute keine Kinder mehr kriegen und nur durch die zugezogenen Ausländer, die fleissig Kinder produzieren, die Bevölkerungszahl nicht absinkt.
Ein bisschen Klischee: Der zukünftige Deutsche wird also nicht mehr Heinz heissen und sein Leben lang bei der Deutschen Post gearbeitet haben, sondern er heisst Yussuf, ist der Sohn eines Türken, der in den 80erjahren nach Deutschland gezogen ist, um dort in einer Grossmetzgerei für einen mickrigen Lohn zu arbeiten (der immer noch dreifach so viel ist, wie er zu der Zeit in der Türkei verdienen könnte), er hat in Deutschland an einer FH Telekommunikation studiert, spricht fliessend deutsch, türkisch und englisch und verdient rund doppelt so viel, wie sein eigener Vater, welcher sehr stolz auf den Sohn ist. Während sich Heinzen's Sohn knapp mal durch die Mittelschule gekämpft hat.