Die Entscheidung
Der Schlüssel zur Göttlichen Komödie ist der erste Gesang, in dem sich der Mensch (symbolisiert durch den Dichter selbst) am Scheideweg befindet: Er will aus den Niederungen seines Daseins den Berg erklimmen, der ihn zur Sonne bringt. Dazu muss er sich durch einen dichten, dunklen und unheimlichen Wald (das Symbol für die verwirrten und verfilzten Gedanken und Gefühle) kämpfen.
Dort stellen sich ihm drei symbolische Tiere (ein Panther, das Symbol für die Leidenschaften, ein Löwe, das Symbol für den Stolz, und eine Wölfin, das Symbol für die Gier) in den Weg und drängen ihn wieder in die Niederungen zurück.
Als er sich schon durch seine fehlende Willenskraft verloren glaubt, trifft er auf Vergil (den Dichter der Änäis und Dantes Vorbild, Symbol für die Vernunft), der ihm eröffnet, dass seine Jungendliebe Beatrice (Symbol für die Seele) ihn geschickt hat, um Dante den Weg zu weisen. Dante (der Mensch) entscheidet sich für diesen Weg und damit beginnt er seinen schweren Pfad, der ihn schließlich ins Paradies führen wird.
Auch hier steht, wie in so vielen philosophischen Werken, die Entscheidung am Anfang des Weges.
Der Gang durch die Hölle
Der erste Abschnitt führt den Suchenden in die Hölle. Völlig in Einklang mit allen großen philosophischen Lehren ist der erste Schritt auf dem Weg zu Weisheit und Glück der Abstieg in die Hölle, nämlich in die Abgründe der eigenen Persönlichkeit, derer man sich erst einmal bewusst werden muss, bevor man den Aufstieg beginnen kann. Man muss hinunter, und zwar bis in die tiefsten Tiefen, wo der eigene Drache haust, das Abbild des persönlichen Stolzes, der den Menschen auf ewig von sich selbst und damit von Gott trennt, wenn er sich nicht aktiv und willentlich damit auseinandersetzt. Erst durch diese Auseinandersetzung kann er vom Tiefsten zum Höchsten gelangen.
In der überzeitlichen Philosophie ist das die Phase des Erkennens und auch Anerkennens der Proben, die auf dem Weg zu Weisheit und Glück überwunden werden müssen. Erst deren Akzeptanz ermöglicht den Kampf und letztlich die Überwindung. Und so ist der erste Bereich der Hölle auch denen gewidmet, die sich im Leben nicht entschieden haben, weder für das Gute noch für das Böse. In diesem Bereich gibt es weder Leiden noch Glück, es gibt nur nie endende Trostlosigkeit über die eigene Unzulänglichkeit und die Aussichtslosigkeit der Lage.
Die weiteren acht Kreise der Hölle, die wie ein Trichter hin zum Erdmittelpunkt angelegt ist, sind gefüllt mit den Sündern (Symbol für die Menschen, die nie im Leben über das rein Materielle hinausgekommen sind und in ihren eigenen Leidenschaften verkommen), deren Qualen als ironischer Gegensatz zu ihren Leidenschaften dargestellt werden. So baden Mörder in kochenden Blutseen, Kuppler im Kot, Hochverräter sind eingeschlossen im ewigen Eis, Ketzer brennen und Luzifer selbst, an der tiefsten Stelle der Hölle, in Judecca, ist bis zur Hälfte im Eis festgefroren.
Bis zu diesem tiefsten Punkt der Hölle müssen sie vordringen, denn nur über Satan selbst, den tiefsten inneren Abgrund, führt der Weg zum Licht.
Das Erklimmen des Läuterungsberges
Die zweite Etappe ist der Läuterungsberg oder das Fegefeuer, wo die Sünden, die der Menschen erkannt, akzeptiert und bereut hat, gebüßt werden.
Hier geht es darum, die Endlichkeit des Leidens zu zeigen, wenn man einmal erkannt hat, dass die materielle Welt vergänglich ist und man sein Leben entsprechend ändert. Der Schmerz führt hier zum Bewusstsein und zur Erlösung, wie es in vielen philosophischen Überlieferungen auch dargestellt wird, etwa in den Vier Erhabenen Wahrheiten des Buddhismus oder der Atharaxis der Stoiker.
Der Eintritt in den Berg der Läuterungen, der umgekehrt zur Hölle in Terrassen zur Spitze, dem irdischen Paradies, führt, geht durch ein Tor mit drei Stufen: die weiße Stufe der Erkenntnis, die geborstene Stufe der Reue und die flammend rote Stufe der Buße.
Der Engel-Torwächter schreibt dem Eintretenden sieben P als Symbole für die sieben Todsünden (Hochmut, Jähzorn, Neid, Habgier, Wollust, Völlerei und Trägheit) auf die Stirn, die auf dem Weg nach und nach ausgelöscht werden. Nur der, dessen Stirn rein ist, darf ins eigentliche Paradies.
In dieser Region wird die Seele mit vielen Bildern und Anregungen zur Besserung konfrontiert; die Schmerzen und Qualen verlieren hier ihren Schrecken durch das Bewusstsein ihrer Endlichkeit, denn der, der den Weg zu gehen begonnen hat, wird einmal sein Ziel erreichen. Hoffnungslos ist es nur für den, der stehen bleibt oder sogar zurückgeht.
Wesentliches Element ist hier die Reue, also die Erkenntnis, dass man im Sinne des Göttlichen falsch gehandelt und sich so von seinem Mensch-Sein entfernt hat. Diese Erkenntnis, zusammen mit der Entscheidung zur Berichtigung, verschafft den Eintritt zum Weg der Läuterung durch die Prüfungen und Proben, der zur endgültigen Erlösung führt.
Es hängt also vom Menschen selbst ab, ob er den Weg geht. Die Gottheit gibt ihm die Möglichkeit dazu, nach dem freien, richtig angewandten Wille zu handeln und sich seine Erlösung zu erobern.
Auf der Spitze des Berges angekommen, verliert Dante seinen Führer Vergil, der nicht weiter gehen darf, und wird von Beatrice weitergeführt: Die rein menschliche Vernunft muss zurücktreten, da sie an ihre Grenzen gekommen ist, und die Hohe Liebe übernimmt die weitere Führung im Paradies.
Die Seligkeit des Paradieses
Die letzte Etappe schließlich, das Paradies, ist das Reich der Seligen, die ihre Sünden überwunden haben und so ihre Göttlichkeit erkennen und leben können. Auch das Paradies besteht aus neun Himmeln und einem zehnten, dem Empyreum, dem Sitz der dreifaltigen Gottheit. Die niederen Ebenen enthalten diejenigen Seelen, die noch immer Reste irdischer Elemente, wenn auch ins Höchste sublimiert, enthalten. Sie können die Gottheit nicht direkt schauen, haben jedoch an der ewigen Seligkeit Anteil. Die Bewohner der höchsten Ebenen sind in direkter Kontemplation der Gottheit versunken und wenden ihren Blick niemals von ihr ab. Durch sie wird die Welt in Gang gehalten, denn indem sie die Gottheit betrachten, führen sie, ohne zu denken, deren Willen direkt in der Welt aus.
Diese Art der Handlung, in der der Mensch nur mehr Kanal ist für einen höheren Willen, ist im Orient bekannt als die rechte Handlung, die einzige Form der Handlung, die nicht an die Welt bindet. Nur so kann der Mensch in Einklang mit der Natur handeln und sie erhöhen, ohne sie zu schädigen.
Und, wie Dante es in den letzten Versen seines monumentalen Werkes ausdrückt: Die Kraft, die die Welt zusammenhält, ist die Liebe, die Anziehung auf allen Ebenen.
Der Mensch, der liebt, wird eins mit der Gottheit und damit eins mit der Welt und erhebt sich zu den Sternen.