die unterbrochene Hinbewegung

Du scheinst ein wenig Ahnung zu haben. was ist, wenn das Bedürfnis des Kindes nach körperlicher Nähe zu grenzüberschreitendem Verhalten (z.B. sex. Missbrauch) eines Elternteils führt?
Das macht doch was mit dem Kind...weisst Du da mehr?
 
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Damit hatte ich bisher zum Glück noch nicht direkt zu tun. Doch klar muss sein: Nicht das Bedürfnis des Kindes führt zum Mißbrauch sondern das falsche Handeln des Erwachsenen. Es ergeht nie eine Einladung zum Übergriff. Die Verantwortung dafür bleibt ganz beim Täter, also dem Elternteil.

Kinder lieben ihre Eltern bedingungslos und wollen es ihnen recht machen. Dies sexuell auszunutzen ist sehr übel und zurecht strafbar.

Was es mit dem Kind macht: Schuldgefühle und ein schwerer Konflikt. Es spürt, dass die sexuellen Handlungen nicht "richtig" waren. Zugleich will es doch Papa/Onkel/Mama zuliebe alles tun. Und wird meist noch mittels massiver Drohungen erpresst, zu schweigen. Die Mißbrauchshandlungen werden dann oft eingekapselt und ausgeblendet. Manchmal erinnern sich Opfer erst nach Jahrzehnten wieder daran weil sie es so gründlich "weggepackt" haben.

In einer Aufstellung können Betroffene ihr Schuldgefühl wieder dem Verursacher übergeben und sich so von diesem belastenden Loyalitäts-Konflikt lösen.
 
Hallo!

Es scheint hier ein unwiderstehliches Bedürfnis zu geben, Dinge extrem zu vereinfachen und an "DIE Universallösung mit einem Ruck" zu glauben.

Dabei sind wir hier beim Thema Bindungstrauma, bei tiefen seelischen Verletzungen. Es geht um Mangel- oder Verlusterfahrungen, die häufig oder lang genug einwirken, dass eine Ablösung, eine tatsächliche Unterbrechung eintritt!
Daneben hängt das Ausmaß der Entmutigung und Verunsicherung noch wesentlich davon ab, in welchem Alter das Kind ist, d.h. in welcher Phase der Bindungsentwicklung, wie gut die Bindung an die Ersatzpersonen ist, und wie viel Urvertrauen das betroffene Kind vor der Verlusterfahrung bereits aufbauen konnte.

Aber selbst wenn es so simpel wäre:

Was ist Unterbrochene Hinwendung?

Das Kind sucht körperliche Nähe und Geborgenheit (egal welcher Bezugsperson, Mama, Papa, Oma). Die Person ist nicht da oder kann keine Geborgenheit geben. Das Kind erlebt Ablehnungs- oder Trennungsschmerz. Liebesentzug. Der Körper merkt sich diesen Schmerz und reagiert beim nächsten Mal abweisend auf Mutter oder Vater. Man möchte die Wiederholung dieses Schmerzes vermeiden und lässt sich gar nicht mehr auf die Bezugsperson ein um nicht noch einmal "im Stich gelassen" zu werden.

Kann ich nicht verstehen:

Wie kann es eigentlich sein, dass (außer mir?) keiner zusammenzuckt bei diesem Satz:

Dann kann es sein, man kommt zurück und die Kinder umarmen einen nur flüchtig bis abweisend. Sie wollen keine Nähe mehr um nicht nochmal enttäuscht zu werden. Daher beim Wiedersehen die Kinder ganz lange fest an sich drücken und erst loslassen nachdem der Widerstand gebrochen ist. So wird die frische UH gleich wieder aufgelöst.

Einem zu recht verstörten Kind werden mit Gewalt die Verhaltensweisen ausgetrieben, mit denen es auf seine Not aufmerksam macht?
So kriegen wir ein unauffälliges, braves, nettes Kind.

Meine geneigten Mitleser und -schreiber - wer sich des Themas mit wenigstens einem Bisschen mehr Aufmerksamkeit und Interesse zuwenden möchte, findet hier eine gute Zusammenfassung zum Thema Bindung und hier ein pdf zum Thema Bindungstrauma.

Ansonsten kann ich allen Betroffenen und Eltern nur von ganzem Herzen wünschen, dass sie, egal wie bestechend einfach eine Behandlungsmöglichkeit daher kommt, auf ihr Bauchgefühl hören, bzw. dass sie ein solches in gesundem Maß besitzen.

Aufstellungsarbeit kann und muss psychologisch fundiert sein und Retraumatisierungen sind unbedingt zu vermeiden. Weder oberflächliche, verharmlosende Vereinfachungen, noch Gewalt gegenüber Kindern und Klienten sind Bestandteil der Aufstellungsmethode.

Beste Grüße,
Eva
 
Wie kann es eigentlich sein, dass (außer mir?) keiner zusammenzuckt
Liebe Eva!

Ich bin zusammengezuckt ... und hab mich dann zurückgehalten, weil ich (zur Zeit jedenfalls) wenig Lust habe, immer am gleichen Rad zu drehen.

Ja, dieser Hang zur schematischen Vereinfachung, zu den scheinbaren Regeln und Ordnungen, auch dazu, Menschen gegebenenfalls auch mit Gewalt diesen Regeln zu unterwerfen, den empfinde ich auch als schlimm. Ich lass jetzt mal die politischen Aspekte aus dem Spiel, ich schau mal nur, wie Mensch A mit Mensch B umgeht.

Wenn Mensch A nur Bioenergetiker oder Kinesiologe oder Aufsteller oder was immer ist oder auch nur ein bisserl Erfahrung damit gemacht hat oder davon was gehört hat und das passt ihm als Ordnungs- und Erklärungsmodell für seine Welt, dann ist offenbar ganz ganz rasch der nächste Schritt, dass passend gemacht wird, was sich nicht von vornherein in diesen Rahmen fügt. Die (nach meinem Empfinden) fruchtbarere Alternative: die Verunsicherung, die sich aus solchen Normabweichungen ergeben kann, zu instrumentalisieren und als Quelle zu nutzen, um die eigenen Gewissheiten zu überprüfen und zu modifizieren. Permanentes Lernen und – vielleicht ebenso wichtig – auch Ent-Lernen.

Ich sehe auch ein tiefes Misstrauen gegenüber den eigenen Wahrnehmungen und Berührungen, wenn solche groben Ordnungsstrickmuster benötigt werden, um zutiefst individuelle Interaktionsmuster in schematische Anwendungs-Richtlinien zu pressen. Kontrollzwänge und Ängste ... was könnte passieren, wenn ich Prozessen ihren Lauf lasse und sie, achtsam wahrnehmend und meine Wahrnehmung als Mitteilung anbietend, begleite, statt sie zu manipulieren?

Ich schätze (als einer, der immer wieder ja selbst den Drang verspürt, anderen zu erklären, wie die Welt funktioniert) durchaus den Wert von Orientierung gebenden Konstrukten ... wichtig dabei ist mir, dass sie einerseits eben als Konstrukte eingestuft werden und nicht als Wahrheiten, die per se schon autoritäre Hierarchien begründen, und dass sie andererseits nicht über die Funktion des Orientierens hinaus instrumentalisiert werden. Ein Lineal als Messinstrument ist nützlich; ein Lineal, mit dem ich jemand auf die Finger klopfe, ist Missbrauch.

Ich bin einigermaßen ratlos, wie ich mit diesem Drang zum Versimpeln von hochkomplexen Systemen umgehe. Wenn die individuelle (und durchaus individuell verständliche) Neigung, die Welt rigide zu ordnen, zur scheinbar objektiven Norm erhoben wird, gehört vermutlich mit hartnäckiger Penetranz über das Zusammenzucken hinaus der Widerstand formuliert, wie eben jedes autoritäre System Widerstand hervorruft (der ja wiederum von solchen Systemen gern benutzt wird, um sich selbst zu stabilisieren ... und umgekehrt zieht der Widerstand ja auch einigen Nutzen aus seiner Positionierung). Da werden Flaggen hochgehalten. Das mag wichtig sein, aber ich sehe selten, dass es etwas bewegt. Und jetzt rede ich auch schon vom Widerstand... was vielleicht den Blick schärfen könnte, wie "gesund" so ein Widerstand sein mag, wenn er sich in bestimmten Situationen zeigt, und wie krank es sein mag, diesen Widerstand zu brechen...

Das individuelle Gespräch ... vermutlich schwer zu führen auf der Bühne eines solchen Forums, wegen des Zeitaufwands, den ein Gespräch jenseits der plakativen Formulierungen erfordert, und auch wegen der Prestige-Komponenten des öffentlichen Redens, die verführerisch sind.

Mir fällt nichts Besseres ein zur Zeit, als die Leute reden zu lassen (was auch sonst...) und mich nur dann dazu zu äußern, wenn irgendein Punkt mich sehr persönlich tangiert. Wenn's gut geht, lerne ich dann über die projektiven Prozesse, die dabei unweigerlich ablaufen, einiges über mich selbst. Und vielleicht ist ja das der Lohn des Sysiphos: Es muss nicht Stumpfsinn sein, den gleichen Stein immer wieder zu rollen. Niemand geht zweimal durch den gleichen Fluss. Und selbst wenn der Stein sich nicht ändert ... ich ändere mich. Hoffentlich. Und da ist dann auch die Wiederkehr des immer Gleichen in den Foren nützlich.

Alles Liebe,
Jakob
 
Einem zu recht verstörten Kind werden mit Gewalt die Verhaltensweisen ausgetrieben, mit denen es auf seine Not aufmerksam macht?
So kriegen wir ein unauffälliges, braves, nettes Kind.

Hallo Eva, das hast du gründlich falsch verstanden. Es werden keine "Verhaltensweisen ausgetrieben" - sondern eine Nähe wieder hergestellt die vorübergehend unterbrochen war. Was du da hineinprojizierst hat nichts mit dem zu tun was ich weiter oben dargestellt habe.

Im Übrigen kann nicht verstehen was an Liebe und Geborgenheit furchtbar komplex sein soll. Das kann man verkopfen. Muss man aber nicht.
 
Ja, dieser Hang zur schematischen Vereinfachung, zu den scheinbaren Regeln und Ordnungen, auch dazu, Menschen gegebenenfalls auch mit Gewalt diesen Regeln zu unterwerfen, den empfinde ich auch als schlimm.

Vielleicht solltet ihr mein Posting noch einmal in Ruhe durch lesen. Ich schreibe weder von schemtaischer Vereinfachung noch von Regeln - und schon gar nicht von Gewalt die man anwenden soll.

Meine Empfehlung, z.B nach einer langen Geschäftsreise, die eigenen Kinder feste zu drücken bis sie sich wieder vertrauensvoll fallen lassen, galt ausdrücklich Eltern und nicht Therapeuten. Und sie galt natürlich für den Normalfall und keine Fälle schwerer Traumata oder Störungen.
 
Hallo Eva, das hast du gründlich falsch verstanden. Es werden keine "Verhaltensweisen ausgetrieben" - sondern eine Nähe wieder hergestellt die vorübergehend unterbrochen war. Was du da hineinprojizierst hat nichts mit dem zu tun was ich weiter oben dargestellt habe.

Im Übrigen kann nicht verstehen was an Liebe und Geborgenheit furchtbar komplex sein soll. Das kann man verkopfen. Muss man aber nicht.

Meine Erfahrung: Eltern, die keine Geborgenheit geben können, weil sie es einfach nicht können, können dem Kind auch keine Geborgenheit geben, indem sie es festhalten.
Der geborgenheitgebende Anteil der Eltern muss zuerst geweckt werden, wenn er nicht automatisch da ist - ein Kind kann sonst keine Geborgenheit fühlen, egal, wie sehr sich die Eltern auch bemühen.
 
die Links zur Bindung waren sehr informativ.

Meine Frage wurde nicht beantwortet. ABER wenn ich daran denke, dass ein Krankenhausaufenthalt die unterbrochene Hinbewegung herbeifrühren kann, dann können dies auch andere Faktoren.

Eine Bindungsstörung scheint dann eine traumatisierte unterbrochene Hinbewegung zu sein.

lg Pluto
 
Meine Erfahrung: Eltern, die keine Geborgenheit geben können, weil sie es einfach nicht können, können dem Kind auch keine Geborgenheit geben, indem sie es festhalten.

Meine Güte, verschwimmen euch denn allen die Buchstaben? :confused:

Nochmal: Dieser Rat zur Vorbeugung einer Vertrauensstörung galt normalen Eltern, die mal länger von ihrem Kleinkind getrennt sind. Von Eltern, die keine Geborgenheit geben können war nicht die Rede. Das wäre ein anderes Thema. Echte Traumata oder Störungen überlasse ich Profis. Ich habe hier einen Tipp als Vater gegeben.

Die eigenen Kinder lang und innig zu umarmen um ein irriertes Grundvertrauen wieder zu stärken - das sollte das Normalste auf der Welt sein. :umarmen:

Vielleicht beschreibe ich nochmals ausführlicher was gemeint war: Man war länger verreist, kommt zurück und die 2jährige Tochter will nicht umarmt werden. Viele Eltern verunsichert sowas und sie denken das Kind schmollt ein wenig und gehen nicht weiter darauf ein. Vielleicht aus falschem Respekt vor der vermeintlichen Entscheidung einer 2jährigen.

Hier gebe ich aus meiner privaten Erfahrung den erprobten Rat: Das Kind traut sich nicht zu umarmen, weil es nach der langen Abwesenheit fremdelt und sich nicht sicher ist, ob Mama oder Papa womöglich wieder verreisen. Daher: einfach in die Arme nehmen und ausgiebig knuddeln bis sich das Kind wieder "fallen lässt".
 
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Man war länger verreist, kommt zurück und die 2jährige Tochter will nicht umarmt werden. Viele Eltern verunsichert sowas und sie denken das Kind schmollt ein wenig und gehen nicht weiter darauf ein. Vielleicht aus falschem Respekt vor der vermeintlichen Entscheidung einer 2jährigen.

Hier gebe ich aus meiner privaten Erfahrung den erprobten Rat: Das Kind traut sich nicht zu umarmen, weil es nach der langen Abwesenheit fremdelt und sich nicht sicher ist, ob Mama oder Papa womöglich wieder verreisen. Daher: einfach in die Arme nehmen und ausgiebig knuddeln bis sich das Kind wieder "fallen lässt".
Deine ursprüngliche Formulierung war: "erst loslassen, nachdem der Widerstand gebrochen ist". Wenn das keine gewaltsame Formulierung ist, weiß ich nicht, was. Mag sein, dass das einfach nur so rausgerutscht ist, okay.

Aber auch jetzt: Wenn das Kind nicht umarmt werden will, warum auch immer, lässt nicht das auch achtsam respektieren, und "falscher Respekt vor der vermeintlichen Entscheidung einer 2jährigen" klingt für mich auch noch reichlich schlimm. Es geht nicht um willentliche Entscheidung, es geht auch bei Erwachsenen beim Umarmen selten um Entscheidungen, es lässt sich einfach respektieren, dass jemand - egal ob 2 oder 20 - aktuell nicht umarmen möchte.

Wenn die Kleine nach längerer Abwesenheit der Eltern Zeit braucht, um wieder in eine vertraute Beziehung hineinzufinden ... warum um alles in der Welt sollte man dem Kind diese Zeit nicht geben? Warum sollten Eltern das Kind gegen dessen Empfinden für Distanzen in dieser Situation "in die Arme nehmen und ausgiebig knuddeln", bis es sich so verhält, wie es sich die Eltern erwarten? Wem dient denn dieses Verhalten der Eltern? Doch offenbar primär eher der Beruhigung des Elterngewissens.

Ich meine, Eltern sind ganz schlecht beraten mit solchen Tipps, das Kind möglichst rasch zum Wunschverhalten zu manipulieren. Ich meine, man kann Eltern auch ermuntern, ihren Kindern zu vertrauen (!) und ihnen zuzumuten, ihre eigenen Lernerfahrungen im Umgang mit Nähe und Distanz zu machen. Erzwungene Nähe kann freiwillig geschenkte Nähe ziemlich schwierig machen. Ich kenn das von (m)einer penetrant klammernden, emotional übergriffigen Mutter und den Folgen, die das lange in meiner Biographie hatte und immer noch hat.

Wieviele Chancen verpassen Eltern mit der vorschnellen Befolgung solcher Anleitungen zur Herstellung normgerechten Kinderverhaltens (okay, das war jetzt überzeichnet...), wenn sie dadurch nicht wahrnehmen können, in welchen Phasen Kinder sich wieder zuwenden, sich langsam wieder annähern können, wenn sie einfach diesen Raum bekommen, sich in dem ihnen gemäßen Tempo bewegen zu können!? Wie können Kinder Vertrauen in ihre eigenen Empfindungen entwickeln, wenn Eltern ihnen durch solches erbarmungsloses Knuddeln signalisieren: Es ist zwar verständlich, aber nicht okay, wenn du schmollst... führ dich gefälligst wie ein zweijähriger Kuschelbär auf, der seinen Eltern Freude macht! Rebecca Wild hat mal die einleuchtende Frage gestellt, um wieviel schneller und gesünder Gras wächst, wenn man laufend an ihm zieht...

Ich geb zu, ich hab jetzt vermutlich ziemlich übertrieben. Ich werd nur leicht gallig, wenn ich solche "guten Tipps aus eigener praktischer Erfahrung" lese, hinter denen sich schlicht gut getarnte Relikte der schwarzen Pädagogik verstecken.

Ich schreib im übrigen auch aus eigener praktischer Erfahrung mit zwei Kindern, die allem sehr freien Aufwachsen im eigenen Tempo zum Trotz zu phantastischen jungen Erwachsenen geworden sind. Vielleicht weil wir ihnen nichts erspart haben, weil sie auch ihren Ärger haben und zeigen durften, weil sie mitbekommen haben, dass das Leben nicht nur Schöngeredetes ist und weil sie ihre Interessen wahrnehmen konnten (die hat auch schon ein 2-jähriger) und einfach sein durften, statt ihren Eltern Freude machen zu müssen oder deren Gewissen zu beruhigen. Und siehe da, die Freude hat sich ganz von selber eingestellt...

Jake
 
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