Wie kann es eigentlich sein, dass (außer mir?) keiner zusammenzuckt
Liebe Eva!
Ich bin zusammengezuckt ... und hab mich dann zurückgehalten, weil ich (zur Zeit jedenfalls) wenig Lust habe, immer am gleichen Rad zu drehen.
Ja, dieser Hang zur schematischen Vereinfachung, zu den scheinbaren Regeln und Ordnungen, auch dazu, Menschen gegebenenfalls auch mit Gewalt diesen Regeln zu unterwerfen, den empfinde ich auch als schlimm. Ich lass jetzt mal die politischen Aspekte aus dem Spiel, ich schau mal nur, wie Mensch A mit Mensch B umgeht.
Wenn Mensch A nur Bioenergetiker oder Kinesiologe oder Aufsteller oder was immer ist oder auch nur ein bisserl Erfahrung damit gemacht hat oder davon was gehört hat und das passt ihm als Ordnungs- und Erklärungsmodell für seine Welt, dann ist offenbar ganz ganz rasch der nächste Schritt, dass passend gemacht wird, was sich nicht von vornherein in diesen Rahmen fügt. Die (nach meinem Empfinden) fruchtbarere Alternative: die Verunsicherung, die sich aus solchen Normabweichungen ergeben kann, zu instrumentalisieren und als Quelle zu nutzen, um die eigenen Gewissheiten zu überprüfen und zu modifizieren. Permanentes Lernen und vielleicht ebenso wichtig auch Ent-Lernen.
Ich sehe auch ein tiefes Misstrauen gegenüber den eigenen Wahrnehmungen und Berührungen, wenn solche groben Ordnungsstrickmuster benötigt werden, um zutiefst individuelle Interaktionsmuster in schematische Anwendungs-Richtlinien zu pressen. Kontrollzwänge und Ängste ... was könnte passieren, wenn ich Prozessen ihren Lauf lasse und sie, achtsam wahrnehmend und meine Wahrnehmung als Mitteilung anbietend, begleite, statt sie zu manipulieren?
Ich schätze (als einer, der immer wieder ja selbst den Drang verspürt, anderen zu erklären, wie die Welt funktioniert) durchaus den Wert von Orientierung gebenden Konstrukten ... wichtig dabei ist mir, dass sie einerseits eben als Konstrukte eingestuft werden und nicht als Wahrheiten, die per se schon autoritäre Hierarchien begründen, und dass sie andererseits nicht über die Funktion des Orientierens hinaus instrumentalisiert werden. Ein Lineal als Messinstrument ist nützlich; ein Lineal, mit dem ich jemand auf die Finger klopfe, ist Missbrauch.
Ich bin einigermaßen ratlos, wie ich mit diesem Drang zum Versimpeln von hochkomplexen Systemen umgehe. Wenn die individuelle (und durchaus individuell verständliche) Neigung, die Welt rigide zu ordnen, zur scheinbar objektiven Norm erhoben wird, gehört vermutlich mit hartnäckiger Penetranz über das Zusammenzucken hinaus der Widerstand formuliert, wie eben jedes autoritäre System Widerstand hervorruft (der ja wiederum von solchen Systemen gern benutzt wird, um sich selbst zu stabilisieren ... und umgekehrt zieht der Widerstand ja auch einigen Nutzen aus seiner Positionierung). Da werden Flaggen hochgehalten. Das mag wichtig sein, aber ich sehe selten, dass es etwas bewegt. Und jetzt rede ich auch schon vom Widerstand... was vielleicht den Blick schärfen könnte, wie "gesund" so ein Widerstand sein mag, wenn er sich in bestimmten Situationen zeigt, und wie krank es sein mag, diesen Widerstand zu brechen...
Das individuelle Gespräch ... vermutlich schwer zu führen auf der Bühne eines solchen Forums, wegen des Zeitaufwands, den ein Gespräch jenseits der plakativen Formulierungen erfordert, und auch wegen der Prestige-Komponenten des öffentlichen Redens, die verführerisch sind.
Mir fällt nichts Besseres ein zur Zeit, als die Leute reden zu lassen (was auch sonst...) und mich nur dann dazu zu äußern, wenn irgendein Punkt mich sehr persönlich tangiert. Wenn's gut geht, lerne ich dann über die projektiven Prozesse, die dabei unweigerlich ablaufen, einiges über mich selbst. Und vielleicht ist ja das der Lohn des Sysiphos: Es muss nicht Stumpfsinn sein, den gleichen Stein immer wieder zu rollen. Niemand geht zweimal durch den gleichen Fluss. Und selbst wenn der Stein sich nicht ändert ... ich ändere mich. Hoffentlich. Und da ist dann auch die Wiederkehr des immer Gleichen in den Foren nützlich.
Alles Liebe,
Jakob