Die Spinne auf der Straße
Nur noch dieses kurze Stück durch den Wald, dann wird er fast zuhause sein. Mühselig tretend ächzt er auf seinem schwer beladenen Fahrrad. Ohne Auto auf dem Lande seine Wochenendeinkäufe erledigen zu müssen, kann schon sehr anstrengend sein. Jeden Samstag vormittag fährt er die Seelendörfer Landstraße herunter ins Nachbardorf Windsbrück. Dort kauft er dann jedesmal so reichlich ein, daß seine Packtaschen fast bis zum Bersten gefüllt sind. Auf dem Rückweg geht es dann ausschließlich bergauf, am Anfang sanft, kurz vor Rottbach, seinem Heimatdorf, wird es jedoch recht steil. Unten, bevor die Straße in den Wald mündet, steht das drohende Schild 15% auf 500m. Sein Gefährt, ein Hollandrad Marke Gazelle, ächzt gequält, als er entschlossen in die Pedale tritt. Er lehnt sich weit über den Lenker, schwitzt und leidet. Langsam, unendlich langsam schiebt sich sein Rad die Straße hinauf. Ein Mazda 323 schnurrt mühelos und souverän an ihm vorbei. Der Fahrer blickt mitleidsvoll in den Rückspiegel.
Gleich erreicht er die scharfe Rechtskurve. Ausgangs der Kurve kann man schon den höchsten Punkt erahnen, dort wo der Wald sich öffnet und der Himmel, trotz düsterer Wolken, die Fahrbahn erhellt. Er denkt, wie jedesmal, Warum tue ich mir das an? Nächste Woche kaufe ich mir ein Auto! Dann zieht er das Rad herum und preßt es in die Kurve. Wie ersehnt lockt verheißungsvoll der Lichtpunkt vor ihm und zwingt ihn, nicht aufzugeben, nicht abzusteigen. Darauf konzentriert sich sein ganzes Wollen.
Doch dieser sportliche Ehrgeiz ist schlagartig vergessen, als sein Blick vor ihn auf den Asphalt fällt. Eine große schwarze Spinne verharrt ausgangs der Kurve auf seiner Fahrbahnseite und scheint ihn zu beobachten. Er ist so eingefangen von diesem Anblick, daß sein Tretrhytmus abreißt, sein Hollandrad gefährlich schwankt und er schließlich absteigen muß. Schwer atmend stützt er sich auf den Lenker.
Die Spinne sitzt einfach nur da und prüft mit wabernden Vorderbeinen die Luft. Seine Atmung beruhigt sich allmählich. Er spürt den Schweiß auf seiner Haut. Der Pullover klebt an seinem Rücken. Er schüttelt den Kopf und lächelt. Seine Faszination verwirrt ihn. Was beeindruckt ihn so an diesem Schauspiel? Er ist sich nicht sicher. Wahrscheinlich ist es das abwartende Verharren der Spinne an einem für sie Tod bringenden Ort. Warum hockt sie da? Warum habe ich das Gefühl, sie beobachtet mich? denkt er. Nun mach schon! Krabbel weiter! Das nächste Auto fährt dich platt. flüstert er. Vorsichtig streckt er den Fuß hervor und tippt provozierend dicht vor der Spinne auf den Straßenbelag. Die Spinne bleibt jedoch reglos und geheimnisvoll an ihrem Platz. Dieses ungewöhnliche Verhalten steigert sein Interesse. Warum hat sie keine Angst?
Ihm wird plötzlich klar, daß er nicht weiter fahren kann, bevor die Spinne jenseits des Straßenrandes in Sicherheit ist. Was kann er tun? Anfassen? Nein. Er würde sie nur verletzen. Ungeduldig stapft er heftig mit dem Fuß auf. Die Spinne bleibt unbeeindruckt und hebt nur für einen kurzen Augenblick drohend die Vorderbeine.
Plötzlich beginnt es zu regnen. Geräuschvoll schlagen schwere Tropfen auf das Blätterdach des Waldes. Die Spinne regt sich nicht. Sie wird eingerahmt von sich zahlreich vermehrenden nassen Flecken.
Ihm wird kalt. Er muß handeln. Er kann nicht mehr warten. Entschlossen schiebt er das Rad an den Straßenrand und lehnt es an einen Baum. Er weiß nun, was zu tun ist. Er kniet nieder, legt den Kopf auf den nassen Asphalt. Er blickt der Spinne aus nächster Nähe in die tief schwarzen Augen. Für einen kurzen Augenblick scheint alles still zu stehen. Er ist verzaubert. Er sieht jedes Detail, jedes Härchen, den pulsierenden Leib. Er spürt die nasse Kälte nicht. Da ist er, der Beobachter, da ist sie, das Objekt, die Spinne, die scheinbar sorglos trotz seiner drastischen Nähe an ihrem Platz verbleibt.
Dann atmet er tief ein, füllt seine Lungen mit Luft. Er bemerkt nicht den Lastwagen, der zügig um die Kurve fährt. Der Fahrer reißt entsetzt die Augen weit auf und stemmt sich in das Bremspedal. Als sich die Lungen leeren fährt der rechte Vorderreifen über den Kopf des Radfahrers. Der LKW kommt 50 Meter weiter schlitternd zum Stillstand.
Die Spinne krabbelt emsig durch das dichte Gras und verschwindet Richtung Wald.
Niemand wird je den Grund erfahren, warum er seinen Kopf auf die Fahrbahn legte. Niemand wird je erfahren, daß er starb, um das Leben einer Spinne zu retten.
Nur noch dieses kurze Stück durch den Wald, dann wird er fast zuhause sein. Mühselig tretend ächzt er auf seinem schwer beladenen Fahrrad. Ohne Auto auf dem Lande seine Wochenendeinkäufe erledigen zu müssen, kann schon sehr anstrengend sein. Jeden Samstag vormittag fährt er die Seelendörfer Landstraße herunter ins Nachbardorf Windsbrück. Dort kauft er dann jedesmal so reichlich ein, daß seine Packtaschen fast bis zum Bersten gefüllt sind. Auf dem Rückweg geht es dann ausschließlich bergauf, am Anfang sanft, kurz vor Rottbach, seinem Heimatdorf, wird es jedoch recht steil. Unten, bevor die Straße in den Wald mündet, steht das drohende Schild 15% auf 500m. Sein Gefährt, ein Hollandrad Marke Gazelle, ächzt gequält, als er entschlossen in die Pedale tritt. Er lehnt sich weit über den Lenker, schwitzt und leidet. Langsam, unendlich langsam schiebt sich sein Rad die Straße hinauf. Ein Mazda 323 schnurrt mühelos und souverän an ihm vorbei. Der Fahrer blickt mitleidsvoll in den Rückspiegel.
Gleich erreicht er die scharfe Rechtskurve. Ausgangs der Kurve kann man schon den höchsten Punkt erahnen, dort wo der Wald sich öffnet und der Himmel, trotz düsterer Wolken, die Fahrbahn erhellt. Er denkt, wie jedesmal, Warum tue ich mir das an? Nächste Woche kaufe ich mir ein Auto! Dann zieht er das Rad herum und preßt es in die Kurve. Wie ersehnt lockt verheißungsvoll der Lichtpunkt vor ihm und zwingt ihn, nicht aufzugeben, nicht abzusteigen. Darauf konzentriert sich sein ganzes Wollen.
Doch dieser sportliche Ehrgeiz ist schlagartig vergessen, als sein Blick vor ihn auf den Asphalt fällt. Eine große schwarze Spinne verharrt ausgangs der Kurve auf seiner Fahrbahnseite und scheint ihn zu beobachten. Er ist so eingefangen von diesem Anblick, daß sein Tretrhytmus abreißt, sein Hollandrad gefährlich schwankt und er schließlich absteigen muß. Schwer atmend stützt er sich auf den Lenker.
Die Spinne sitzt einfach nur da und prüft mit wabernden Vorderbeinen die Luft. Seine Atmung beruhigt sich allmählich. Er spürt den Schweiß auf seiner Haut. Der Pullover klebt an seinem Rücken. Er schüttelt den Kopf und lächelt. Seine Faszination verwirrt ihn. Was beeindruckt ihn so an diesem Schauspiel? Er ist sich nicht sicher. Wahrscheinlich ist es das abwartende Verharren der Spinne an einem für sie Tod bringenden Ort. Warum hockt sie da? Warum habe ich das Gefühl, sie beobachtet mich? denkt er. Nun mach schon! Krabbel weiter! Das nächste Auto fährt dich platt. flüstert er. Vorsichtig streckt er den Fuß hervor und tippt provozierend dicht vor der Spinne auf den Straßenbelag. Die Spinne bleibt jedoch reglos und geheimnisvoll an ihrem Platz. Dieses ungewöhnliche Verhalten steigert sein Interesse. Warum hat sie keine Angst?
Ihm wird plötzlich klar, daß er nicht weiter fahren kann, bevor die Spinne jenseits des Straßenrandes in Sicherheit ist. Was kann er tun? Anfassen? Nein. Er würde sie nur verletzen. Ungeduldig stapft er heftig mit dem Fuß auf. Die Spinne bleibt unbeeindruckt und hebt nur für einen kurzen Augenblick drohend die Vorderbeine.
Plötzlich beginnt es zu regnen. Geräuschvoll schlagen schwere Tropfen auf das Blätterdach des Waldes. Die Spinne regt sich nicht. Sie wird eingerahmt von sich zahlreich vermehrenden nassen Flecken.
Ihm wird kalt. Er muß handeln. Er kann nicht mehr warten. Entschlossen schiebt er das Rad an den Straßenrand und lehnt es an einen Baum. Er weiß nun, was zu tun ist. Er kniet nieder, legt den Kopf auf den nassen Asphalt. Er blickt der Spinne aus nächster Nähe in die tief schwarzen Augen. Für einen kurzen Augenblick scheint alles still zu stehen. Er ist verzaubert. Er sieht jedes Detail, jedes Härchen, den pulsierenden Leib. Er spürt die nasse Kälte nicht. Da ist er, der Beobachter, da ist sie, das Objekt, die Spinne, die scheinbar sorglos trotz seiner drastischen Nähe an ihrem Platz verbleibt.
Dann atmet er tief ein, füllt seine Lungen mit Luft. Er bemerkt nicht den Lastwagen, der zügig um die Kurve fährt. Der Fahrer reißt entsetzt die Augen weit auf und stemmt sich in das Bremspedal. Als sich die Lungen leeren fährt der rechte Vorderreifen über den Kopf des Radfahrers. Der LKW kommt 50 Meter weiter schlitternd zum Stillstand.
Die Spinne krabbelt emsig durch das dichte Gras und verschwindet Richtung Wald.
Niemand wird je den Grund erfahren, warum er seinen Kopf auf die Fahrbahn legte. Niemand wird je erfahren, daß er starb, um das Leben einer Spinne zu retten.