Die Leere der Lehre (II)

Die Liebe

(8)
Die höchste Liebe, Güte ist wie Wasser,
da sie sich über alle Wesen ausgießt.

Sie gießt sich aus
ohne zu bemessen,
ohne zu bewerten,
ohne zu richten.

Sie gießt sich aus über die Gemiedenen und die Bevorzugten.
Sie gießt sich aus über die Erniedrigten und die Erhöhten.
Sie gießt sich aus über die Verurteilten und die Verehrten.

Die höchste Liebe, Güte meidet nichts,
sonst wäre sie nicht, was sie ist.
Die höchste Liebe, Güte erniedrigt nichts,
sonst wäre sie nicht, was sie ist.
Die höchste Liebe, Güte richtet nicht,
sonst wäre sie nicht, was sie ist.

Die höchste Liebe, Güte kennt keine Begründung und keine Ursache,
da sie selbst
die Pforte der Offenbarwerdung aller Kräfte ist.

Wirkt sie in und auf ein Geschöpf,
zeigt sie sich in Raum und Zeit begrenzt.

Wirkt sie in und auf das Denken,
zeigt sie sich in der Tiefe der Gedanken.

Wirkt sie in und auf das Geben,
zeigt sie sich in Ihrer Erscheinungsform.

Wirkt sie in und auf die Rede,
zeigt sie sich in der Wahrheit der Rede.

Wirkt sie in und auf die Bewegung,
zeigt sie sich als ordnendes Prinzip.

Wirkt sie durch sich selbst,
zeigt sie sich in Ihrem Glanz.

Wirkt sie in und auf die Ordnung,
offenbart sie sich als Verursacher.

Wird sie in einer Ihrer Wirkungen gefordert,
wirkt sie in sich begrenzt.
Wird sie in keiner Ihrer Wirkungen gefordert,
ist sie grenzenlos.

(Übertragung R.S.)
 
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Die Begrenzung

(9)
Alles, was gefüllt werden kann,
zeigt seine Begrenzung durch die Form,
in die es gefüllt werden kann.
Dort, wo die Form nicht mehr gefüllt werden kann,
da die Grenzen des Gefäßes erreicht sind,
kann die Fülle nicht mehr dienen.

Alles, was von Nutzen ist,
zeigt seine Begrenzung durch die Zeit,
in der es von Nutzen ist.
Dort, wo der Sinn vorüber ist,
da die Zeit seines Nutzens vorüber ist,
kann der Sinn nicht mehr dienen.

Alles, was bereichert,
zeigt seine Begrenzung durch den,
der die Bereicherung wahrnimmt.
Dort, wo der Reichtum nicht zur Wirkung kommt,
da er nicht wahrgenommen wird,
kann der Reichtum nicht mehr dienen.


Das Gefäß, das nicht mehr gefüllt werden kann,
da die Grenzen des Gefäßes erreicht sind,
zeigt IN SICH seine Begrenzung.

Der Nutzen, der nicht mehr dienen kann,
da die Zeit seines Nutzens vorüber ist,
zeigt IN SICH seine Begrenzung.

Die Wahrnehmung, die nicht bereichert werden kann,
da der Reichtum nicht wahrgenommen werden kann,
zeigt IN SICH seine Begrenzung.


So wird die Fülle begrenzt durch das Gefäß.
So wird der Sinn begrenzt durch die Zeit.
So wird der Reichtum begrenzt durch den, der Ihn erkennt.


Das Gefäß beschränkt die Fülle
und bewirkt, dass die Fülle endet.

Die Zeit beschränkt den Sinn
und bewirkt, dass der Sinn endet.

Die Wahrnehmung beschränkt den Reichtum
und bewirkt, dass der Reichtum
sich nicht offenbaren kann.


(Übertragung R.S.)
 
Das waren die 9 Bausteine
oder ersten 9 Verse
ich hofe sie dienen der Inspiration :foto:

LG
&
Gute Nacht!
 
Hallo :)

Das Problem mit dem Tao te King scheint mir zu sein, daß er, wie ich inzwischen meine, gar nicht übersetzbar ist. Bzw. daß wir uns bei keiner Übersetzung darauf verlassen können, ob sie auch nur annäherungsweise den gemeinten Sinn von Laotse trifft. Habe hier 6 verschiedene Übersetzungen auf Festplatte, eine anders als die andere, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei deiner Übersetzung fällt mir auf, daß sie- auf die jeweiligen Kapitel bezogen - sehr viel länger ist als die mir vorliegenden. Kann das sein, daß du frei dazugedichtet hast? Mal zum Vergleich das 1.Kapitel.

Deine Fassung:

(1)
Die Empfindung,
die man empfindet,
ist nicht ewig.

Die Wahrnehmung,
die man wahrnimmt,
ist nicht von Dauer.

Der Name,
den man nennen kann,
ist nicht der ewige Name.

Erst JESEITS des Wahrnehmbaren,
Empfindbahren,
Nennbahren
liegt der Ursprung der Welt.

Denn vor dem Anbeginn der Welt,
gibt es NICHTS,
das empfunden werden könnte.

Denn vor dem Anbeginn der Welt,
gibt es NICHTS,
das wahrgenommen werden könnte.

Denn vor dem Anbeginn der Welt,
gibt es NICHTS,
das genannt werden kann.


Jenseits des Anbeginns
liegt die Ursache der Schöpfung.
Jenseits aller Erscheinungsformen
liegt der Ursprung alles Erschaffenem.


Da alle Kräfte DORT Ihren Anfang nehmen,
führt der Weg in den EINEN Ursprung
zum Schauen der ursprünglichen Kräfte.

Mit dem (eigenen) Eintreten in den Ursprung,
wird das Wesen von Raum und Zeit geschaut.

Beides hat EINE Ursache,
doch verschiedene Ausrichtungen.
Die EINHEIT VON BEIDEM
ist das große Geheimnis.

Dieses Geheimnis ist nicht ergründbar,
da es ohne Ursache ist.
Wäre das Geheimnis ergründbar,
offenbarte es sich auf diese Weise
nur als Urgrund eines noch größeren Geheimnisses.

Die letzte Ursache kennt keinen Verursacher,
denn sie ist selbst die Pforte der Offenbarwerdung aller Kräfte.

Richard Wilhelm (1911)

Der Sinn, der sich aussprechen läßt,
ist nicht des ewige Sinn.
Der Name, der sich nennen läßt,
ist nicht der ewige Name.
"Nichtsein" nenne ich den Anfang von Himmel und Erde,
"Sein" nenne ich die Mutter der Einzelwesen.
Darum führt die Richtung auf das Nichtsein
zum Schauen des wunderbaren Wesens,
die Richtung auf das Sein
zum Schauen der räumlichen Begrenztheiten.
Beides ist eins dem Ursprung nach
und nur verschieden durch den Namen.
In seiner Einheit heißt es das Geheimnis.
Des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis
ist das Tor, durch das alle Wunder hervortreten.

Rudolf Backofen 1949

Das Unergründliche, das man ergründen kann,
ist nicht das unergründbar Letzte.
Der Begriff, durch den man begreifen kann,
zeugt nicht vom Unbegreiflichen.

Im Unbegreiflichen liegt der Welt Beginn,
nennbar wird nur, was Gestalt gewinnt.

Daher gilt:

Das Wesen erschaut,
wer wunschlos zum Herzen der Dinge strebt;
Gestalten nur sieht, wer begehrlich am Sinnlichen klebt.
Wesen und Gestalt sind nur begrifflich gespalten,

geheimnisvoll bleibt ihrer Einheit Grund.
Diese Einheit ist das Geheimnis der Geheimnisse,
zu allem Unergründlichen erst das Tor.

Matthias Claus (2002)

Was wir vom TAO sagen können, sind immer nur Worte;
mit welchen Begriffen wir es auch zu beschreiben versuchen,
all das bleibt letztendlich Äußerlichkeit.
Die Grundlage unseres Menschseins ist nicht mit unseren Worten formulierbar,
allem eine Bezeichnung zu geben, ist nur der Versuch der Menschen, mit der Welt umzugehen.
Deshalb sage ich:
Das passive Meditieren ermöglicht ein Eindringen in jenes Geheimnis,
während das rationale Bedenken nur zu theoretischen Ansichten führt.
Obwohl sich beides um das gleiche dreht, liegt hierin doch der große Unterschied.
Dies ist die allem zugrundeliegende Wahrheit, im Begreifen dieser Wahrheit liegt der Schlüssel zur letzten Erkenntnis.

Bodo Kirchner (2000)
Der Weg, der beschrieben werden kann
ist nicht der ewige Weg
Der Name, der genannt werden kann
ist nicht der ewige Name
Das Namenlose ist der Ursprung des Himmels und der Erde
Das Namhafte ist die Mutter aller Dinge
Darum:
Wer ohne Begehren ist
sieht das Innere
wer voll Begehren ist
sieht nur das Äußere
Der Ursprung ist der gleiche
die Namen sind verschieden
Ihre Einheit ist dunkel
dunkel im Dunkel
- das Tor zum Geheimnis

Günter Debon (1961)

Könnten wir weisen den Weg,
Es wäre kein ewiger Weg.
Könnten wir nennen den Namen,
Es wäre kein ewiger Name.

Was ohne Namen,
Ist Anfang von Himmel und Erde;
Was Namen hat,
Ist Mutter den zehntausend Wesen.

Wahrlich:
Wer ewig ohne Begehren,
Wird das Geheimste schaun;
Wer ewig hat Begehren,
Erblickt nur seinen Saum.

Diese beiden sind eins und gleich.
Hervorgetreten, sind ihre Namen verschieden.
Ihre Vereinigung nennen wir mythisch.
Mythisch und abermals mythisch:
Die Pforte zu jedwedem Geheimnis.

R.L.Wing 1987

Das sagbare Tao
Ist nicht das Tao des Absoluten.
Der nennbare Name
Ist nicht der Name des Absoluten.

Das Namenlose rief Himmel und Erde ins Leben.
Das Nennbare ist die Mutter aller Dinge.

Demnach enthüllt sich dem erwartungslosen Blick
Stets der Beweg-Grund;
Dem erwartungsvollen Blick aber enthüllt sich
Stets die Begrenzung.

Der Ursprung der beiden ist der gleiche.
Nur dem Namen nach sind sie verschieden.
Zusammen nennt man sie tief,
Tief und geheimnisvoll.
Das Tor zum kollektiven Beweg-Grund.


Das sind enorme Deutungsunterschiede. Vor allem achte man darauf, wie verschieden der Schlüsselbegriff "Tao" übersetzt wird. Wilhelm übersetzt ihn mit "Sinn", Backofen mit "Das Unergründliche", Kirchner und Debon mit "Der Weg". Die beste Lösung wählen nach meinem Ermessen Claus und Wing: Sie lassen ihn unübersetzt.

Du wiederum übersetzt mit "Die Empfindung", was ich, nur meine Meinung, für die problematischste aller Übersetzungen halte, denn damit wird *Tao*, der Urgrund allen Seins, zu einer subjektiven Kategorie, also zu einem Bewußtseinsphänomen, was zwar auch richtig ist, aber nur die Hälfte der Wahrheit darstellt. Denn für Laotse stellt "Tao" etwas Objektives dar, das außerhalb des menschlichen Bewußtseins objektiv existiert, eine kosmische Kraft, die alles Seiende intelligent durchdringt.

Nunja, wie gesagt, die diversen Übersetzungen sind auf sehr wüste und fast unverdauliche Weise verschieden.

:)
 
@Kinnaree
Also der Ausdruck "fundiertes Wissen" im Zusammenhang mit einem spirituellen Werk belustigt mich. :weihna1

Nichts desto Trotz ist der link interessant..danke dafür!

@Tommy
Ja das Tao kennt mittlerweile eine große Bandbreite an Übersetzungen
http://home.pages.at/onkellotus/TTK/_IndexTTK.html

wie man an dieser Seite sieht

Ich denke aber, dass es nicht wichtig ist
wichtig ist allein, was man aus der jeweiligen Schrift oder Übersetzung dieser Schrift für einen selbst schöpfen kann

Ich denke, dass dies den Ausschlag geben sollte bei einem spirituellen Werk..

LG
&
Gute Nacht
 
@Kinnaree
Also der Ausdruck "fundiertes Wissen" im Zusammenhang mit einem spirituellen Werk belustigt mich.
Ääähm... belustigt??? Hab i was verpaßt? Muß ich grundsätzlich auf vagen Vermutungen herumeiern, damit was spirituell heißen kann? Mich hat der Link beeindruckt, weil da endlich einmal was offenbar Handfestes zur Be-Deutung der chinesischen Schriftzeichen ausgesagt ist. Und zu ihrer beeindruckenden Aussagevielfalt. Was tut sich da für eine reiche Welt auf, von der man nichts ahnt, wenn man die Zeichen und ihre Aussagekraft nicht erfaßt...
 
fundiert..
Es gibt wohl wenig Menschen in Europa, die sich so innig mit der Kultur, Denkweise und Philosophie Chinas auseinandersetzten wie R. Wilhelm
http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Wilhelm#Jugend

nett finde ich sein Eingeständnis nach diversem Quellenstudium bezüglich des Taos (auch in Klöstern), dass Ihn das bezüglich der Übersetzung des Taos keinen Schritt weiter gebracht hat...
:)-))
darum hat mich Dein Satz schmunzeln lassen

LG
 
nett finde ich sein Eingeständnis nach diversem Quellenstudium bezüglich des Taos (auch in Klöstern), dass Ihn das bezüglich der Übersetzung des Taos keinen Schritt weiter gebracht hat...
Hilfst du mir bitte kurz? Ich hab den Aufsatz jetzt auf der Suche nach einem solchen Satz noch einmal durchforstet - aber die Selektive spielt mir wohl einen Streich... mir persönlich ist vor allem das hier
Obwohl es schwer fällt, diese Frage anhand positiver Kriterien zu beantworten, kann eine Mindestanforderung genannt werden, die man sich, am liebsten stillschweigend, erfüllt wünscht, um eine Übersetzung akzeptabel zu finden: Es mag lächerlich klingen, doch in Anbetracht der Rezeptionsgeschichte des Daodejing muß nicht ohne Grund ausdrücklich verlangt werden, daß sich der Übersetzer mit dem chinesischen Orginal beschäftigt hat. Um ein extremes Beispiel anzuführen: Angesichts der Hindernisse, welche die chinesische Sprache auftürmt, versuchte sich Carl Dallago mit Anspruch auf letzte Gültigkeit an einer ungezügelten Umdeutung des Daodejing, unter bewußten Verzicht, in das Original einzusehen
(Quelle http://www.uni-leipzig.de/~ostasien/dao/klemm.html ) ins Auge gesprungen.
 
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Die Kraft der Ursache (des Karmas)

(10)
Wer durch die Kraft des Einen Geistes,
die Einheit von allem
als wahr erfährt,
der wird,
wider seiner Begrenzung,
von dem Einen nicht mehr getrennt sein.

Wer durch die Kraft des Einen Geistes,
mit dem eigenen Ursprung
eins wird,
der wird,
auch alt an Jahren,
erscheinen wie ein Kind.

Wer durch die Kraft des Einen Geistes,
in das Wesen aller Erscheinungsformen
eintaucht,
der wird,
trotz der Armut der eigenen Wahrnehmung,
von der Armut nicht mehr zu täuschen sein.


Der EINE Geist,
der über allem ist und in Allen ist,
kann nur über allem sein und in Allen sein,
da er niemals geteilt wurde,
und von keiner Erscheinung jemals getrennt ist.


Daher ist
DER EINE GEIST,
DAS EINE BEWUSSTSEIN,
IN ALLEM.

Daher ist
DER EINE GEIST,
DAS EINE BEWUSSTSEIN,
MIT ALLEN.

Daher kann
DER EINE GEIST,
DAS EINE BEWUSSTSEIN,
da es niemals geteilt wurde
und von keiner Erscheinungsform jemals getrennt ist,
ALLES DURCH SICH SELBST VERBINDEN.

Auf diese Weise
wirkt
DIE EINE QUELLE, DAS EINE BEWUSSTSEIN
MIT, IN UND DURCH DEN EINEN(HEILEN) GEIST,
da der Eine Geist
niemals von seiner Quelle getrennt wurde.

Durch DIESE EINHEIT
des EINEN mit dem EINEN GEIST,
DER ÜBER ALLEM IST,
IN ALLEN IST,
und ALLES DURCH SICH SELBST VERBINDET,
wirkt der EINE
IN ALLEM,
MIT ALLEN
UND DURCH ALLES,
ohne selbst zu handeln
oder in Erscheinung zu treten.


Wenn der Eine aus sich selbst heraustritt,
mag dieser Eine, wohl gebend sein.

Wenn der Eine in sich selbst zurückkehrt,
mag dieser Eine, wohl empfangend sein.

Doch wer mit klarer Sicht auf diesen Vorgang
des Gebens und Empfangens blickt,
der sieht sie als Erscheinungsform der Trennung.


Auf diese Weise ist DER EINE,
durch das, was er ist,
alles erschaffend ohne selbst zu erschaffen.

Auf diese Weise ist DER EINE,
durch das, was er ist,
alles empfangend ohne selbst zu empfangen.

Auf diese Weise ist DER EINE,
durch das, was er ist,
alles ernährend ohne selbst zu ernähren.

Auf diese Weise ist DER EINE,
durch das, was er ist,
in allem wirksam ohne selbst zu wirken.

Auf diese Weise ist DER EINE,
durch das, was er ist,
alles verbindend ohne selbst zu binden.

Auf diese Weise ist DER EINE,
durch das, was er ist,
über allem ohne selbst zu herrschen.


(Übertragung R. S.)



 
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