Die "Kluft" im Norden...

Was die hiesigen Traditionen angeht: Man muss tatsächlich tief graben und zwischen den Zeilen lesen.

Spannend ist Wolfgang Behringers "Chonrad Stoeckhlin". Behringer ist Historiker, einer der ganz Großen auf dem Gebiet der Hexenforschung (seine Doktorarbeit über die bayerischen Prozesse ist eine der wenigen, die ins Englische übersetzt wurde). Im Zuge seiner Recherchen stieß er in Oberstdorf auf einen ausgesprochen untypischen Fall, der letztlich zwar denselben Weg ging wie in Hexenprozessen üblich, aber in der Anfangsphase eben doch etwas wie Reste einer hiesigen Tradition durchscheinen lässt.

Parallel läuft das, was Carlo Ginzburg ("Hexensabbat") über den italienisch-slowenischen Grenzraum geschrieben hat.

Ich sage damit ausdrücklich _nicht_, dass die Hexenverfolgungen schuld sind an den Verlusten des alten Wissens, was auch immer genau davon hier vorhanden war. (Ich hatte mal einen Fall, da haben, soweit ich mich erinnere, alle gezaubert, der Anschuldigende, der Scharfrichter, - nur die Hexe selber nicht.) Das geht hier aber zu sehr offtopic. Spannend ist allerdings, dass wir damit tatsächlich im Alpenraum sind, was eben einerseits der Raum zu sein scheint, in dem sich Reste der Traditionen gehalten haben, andererseits der Raum, in dem kurz vor 1400 die "moderne" Hexenvorstellung entstanden ist (Pakt, Buhlschaft, Flug, Sabbat, Schadenzauber), gespeist einerseits aus Vorstellungen der Gelehrten und der Kirche, andererseits eben tatsächlich aus Vorstellungen, die im Volk offenbar immer noch lebendig waren.

Ansonsten gibt es in den mittelalterlichen Texten ein paar spannende Stellen. Als Stichworte dazu fallen mir - wie hieß das Ding noch - der Canon Episcopi und Burchard von Worms ein, und daraus folgend dann Stichworte wie die "gute Gesellschaft" (bona societas), Diana/Herodias, die Wilde Jagd bzw. Nachtschar.

Grundsätzlich stimme ich dem zu, was vorher schon geschrieben wurde: der Mangel an Tradition macht es schwieriger, doch ermöglicht er gleichzeitig, neue Traditionen entstehen zu lassen. Wir verdanken den lebendig gebliebenen Traditionen viel, weil sie uns daran haben teilhaben lassen (was Tuva angeht, so habe ich mal irgendwo gelesen, dass es da eher umgekehrt ist und die FSS ihre Finger mit drin hat - doch mag auch das in diesem Fall nur ein Aspekt von vielen sein). Gleichzeitig aber haben wir die Freiheit, unsere eigenen Traditionen entstehen zu lassen. Was in der Tat auch geschieht.

LG
wolfswald
 
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