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SammyJo
Guest
Zur Problematik der rationalen Begründung und des Dogmatismus
http://www.gkpn.de/albert.htm
Und verdeutelt (und verschandelt) mir das hier bitte nicht (wieder) zum Islam-Thread, ich wünsche dies ausdrücklich nicht!
Erstaunlicherweise pflegt man im deutschen Sprachbereich gerade eine der ältesten und darüber hinaus eine der wirksamsten und für unsere kulturelle und soziale Entwicklung bedeutsamsten Traditionen des europäischen Denkens nicht selten zu vergessen, zu bagatellisieren oder gar zu diffamieren, oder aber sie zumindest als fragwürdig zu behandeln: nämlich die Tradition des kritischen Denkens und der kritischen Diskussion, der unvoreingenommenen Analyse und Prüfung von Anschauungen, Wertungen, Autoritäten und Institutionen (1). Die bei uns noch immer weitverbreitete Gewohnheit, kritisches Denken mit einem negativen Wertakzent zu versehen, mag dazu verleiten, daß man die Rolle und die historische Bedeutung dieser Tradition falsch einschätzt, zumal sich alle möglichen Verfechter von Auffassungen, die durch kritische Untersuchungen gefährdet sind, große Mühe geben, eine solche Fehleinschätzung zu fördern und den Wirkungsbereich der Kritik nach Möglichkeit einzuschränken. Das ist an sich durchaus verständlich, wenn man sich vor Augen hält, daß diese Tradition ihrem Charakter nach immer wieder mit anderen Traditionen in Konflikt geraten mußte, die aus irgendwelchen Gründen ein Interesse an der dogmatischen Fixierung von Anschauungen hervorbrachten, gleichgültig, ob es sich dabei um religiöse, metaphysische, moralische, politische oder andere Anschauungen handelte. Nicht selten wurden nach einem solchen Konflikt die Resultate kritischen Denkens allmählich mehr oder weniger stillschweigend übernommen und assimiliert, was aber der kritischen Einstellung an sich keineswegs immer die entsprechende Anerkennung verschafft hat teilweise sicher deshalb nicht, weil es den Vertretern anderer Traditionen vielfach möglich war, die Quellen ihres Denkens entsprechend umzudeuten.
Natürlich ist der Geist der kritischen Diskussion keine sozial freischwebende und völlig ungebundene Erscheinung, sondern ein Tatbestand, der eine entsprechende soziale Konstellation voraussetzt, die, historisch gesehen, nicht eben häufig realisiert gewesen ist. Eine institutionelle Sicherung freier und unvoreingenommener kritischer Forschung und Diskussion scheint sich in vielen Fällen nicht so leicht bewerkstelligen zu lassen wie die institutionelle Verankerung dogmatischer Überzeugungen. Der Anspruch, im vollen und alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein und daher kritische Argumente nicht beachten zu müssen ein Anspruch, der im engeren Bereich der Wissenschaft meist als naiv und keineswegs als Zeichen der Überlegenheit gilt, erweist sich in anderen Bereichen oft als von erstaunlicher Durchschlagskraft, wenn er mit der Fähigkeit verbunden ist, wichtige Bedürfnisse zu befriedigen oder ihre Befriedigung in Aussicht zu stellen. Von solchen Ansprüchen her wird die Freiheit der Forschung immer wieder gefährdet, auch in Gesellschaften, in denen es gewisse institutionelle Garantien für sie gibt. Das ist natürlich vor allem da der Fall, wo wissenschaftliches Denken in Konkurrenz tritt mit institutionell verankerten Ideologien, die nicht das Interesse an der Wahrheit und der freien Wahrheitsfindung in den Vordergrund stellen, sondern die Legitimation geistiger und sozialer Tatbestände, die Rechtfertigung von Glaubenssätzen, Herrschaftsformen und sozialen Ordnungen.
Die Idee der kritischen Prüfung ist eine methodische Idee, die darauf zurückgeht, daß unser Denken und Handeln der Irrtumsmöglichkeit unterworfen ist, so daß derjenige, der ein echtes Interesse an der Wahrheit hat, daran interessiert sein muß, die Schwächen und Schwierigkeiten seiner Denkresultate und Problemlösungen kennenzulernen, Gegenargumente zu hören und seine Ideen mit Alternativen konfrontiert zu sehen, um sie vergleichen, modifizieren und revidieren zu können. Nur Anschauungen, die kritischen Argumenten ausgesetzt werden, können sich bewähren. Nur auf dem Hintergrund alternativer Auffassungen lassen sich die Vorzüge und Nachteile bestimmter Konzeptionen beurteilen. Es lohnt sich daher immer, ernsthaft zur Diskussion stehende Ideen in eine Form zu bringen, die solche Vergleiche ermöglicht und ihre Prüfung erleichtert und sie dann tatsächlich mit Alternativen und Argumenten zu konfrontieren. Nur in diesem Fall haben sie Gelegenheit zu zeigen, was sie für die Weltorientierung leisten (5). Es ist zwar stets möglich, Anschauungen aller Art gegen jede Kritik zu immunisieren, sie entsprechend zu formulieren, zu interpretieren und zu behandeln. Methodische Strategien, die das leisten, können ohne Schwierigkeit gefunden werden. Man kann in dieser Beziehung auf ein reichhaltiges Repertoire zurückgreifen. Man kann derartige Strategien außerdem einstellungsmäßig verankern, indem man sich eine dogmatische Haltung zu eigen macht oder andere in dieser Weise beeinflußt. Man kann sie weiter institutionell absichern, indem man die soziale Kommunikation in entsprechender Weise kanalisiert, einschränkt und in bestimmten Richtungen unterbindet, so daß man gegen kritische Argumente aus bestimmten sozialen Bereichen weitgehend geschützt ist. Alles das ist immer wieder mehr oder weniger erfolgreich praktiziert worden. Aber solche Vorkehrungen sind nur geeignet, das Wachstum unseres Wissens und unserer Einsicht, die Entdeckung unserer Schwächen, Fehler und Irrtümer aufzuhalten oder gar völlig zu unterbinden. Sie können daher niemals im Interesse einer besseren Wahrheitsfindung, im Interesse der Erkenntnis, stattfinden, sondern wenn man einmal von Mißverständnissen absieht nur in erkenntnisfremden Motiven wurzeln. Die Sicherung des einmal Erworbenen, des Gewohnten und Geglaubten gegen jede Gefährdung steht dabei im Vordergrund, nicht aber seine Bewährung gegenüber möglichen Alternativen, denn bewähren können sich Ideen, Systeme und Konzeptionen aller Art nur insoweit, als sie dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt werden. Die durch ihre Dogmatisierung zu erreichende Sicherheit ist also fragwürdig, nicht nur deshalb, weil sie tatsächlich nur temporären und relativen Charakter zu haben pflegt, sondern darüber hinaus, weil sie ein intellektuelles Opfer voraussetzt: man muß bis zu einem gewissen Grade das Interesse an der Wahrheit, an der Erkenntnis und ihrem Fortschritt opfern, um sie zu erreichen. Die Garantie des Bestehenden bedeutet die Absicherung gegen mögliche Einsichten, die Festigung bestehender Irrtümer, die Zementierung erworbener Positionen und damit die Hemmung der geistigen und sozialen Entwicklung.
http://www.gkpn.de/albert.htm
Und verdeutelt (und verschandelt) mir das hier bitte nicht (wieder) zum Islam-Thread, ich wünsche dies ausdrücklich nicht!