Es geht doch in dieser Geschichte um Mitgefühl, Nachsicht und Güte. Eine Frau sollte wegen ihrer Sünde des Ehebruches gesteinigt werden, weil es ein Gebot Moses sei. Jesus wurde gefragt, wie er darüber dächte und er hob einen Stein vom Boden auf und sagte: „Wer frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Nachdem dann aber keiner den Stein mehr werfen wollte, sagte er zur Sünderin, dass auch er sie nicht verdammen möchte und sie künftig nicht mehr sündigen soll.
Merlin
Es fehlt ein höchst bedeutsames Detail, um den Sinn der Jesus-Worte wirklich zu verstehen: Als Jesus gefragt wurde,
"schrieb er in den Sand..." -
Was man in den Sand schreibt, bleibt nur solange bestehen, bis man es verwischt, bis ein Windstoß darüber fährt oder es darüber regnet. - Das heißt: Das
geschriebene(!) Gesetz Mose ist ebenso unbeständig und vergänglich wie alles, was man in eine Form bringt, in der es nur
augenblicklich(!) Gültigkeit hat. Verordnete Vor-Schriften und Gebote sind not-wendig und weise, weil man durch ihre
praktische äußerliche Erfüllung deren
Sinn verstehen und ihn lebendig verinnerlichen lernen kann. Wird aber der Sinn zutiefst erfasst und vollumfänglich
be-griffen, ist seine externe Direktive nicht mehr nötig. Nun bedarf es keiner über-geordneten Autorität mehr, die die Einhaltung des Gesetzes überwacht, denn jetzt ist man
selber, ist das eigene
Gewissen die gebietende Instanz. "Die
Liebe erfüllt das ganze Gesetz!" - Schlichter und klarer hätte Jesus diese spirituelle Tatsache nicht zum Ausdruck bringen können: Wer nicht stiehlt, nicht lügt und nicht mordet, weil das geschriebene
Gesetz es ihm verbietet, der
bedarf seiner, solange, bis seine innere Stimme ihn wachruft und ihn das Leid, das er durch seinen Gesetzesbruch im Anderen verursacht, am eigenen Herzen erleben lässt. So lernt er, den Anderen wirklich zu verstehen, ihn zu achten und zu
lieben, und dann ist für ihn das geschriebene Gesetz
überflüssig. Dann stiehlt, lügt und mordet er nicht mehr, weil das Gesetz es ihm verbietet, weil er es nicht
darf, sondern weil
er selber es aus geläutertem freiem Herzen heraus nicht mehr
will, weil er die
Liebe zum Guten in sich entwickelt hat und nunmehr
allein diese sein ewig bestehender innerer Leitstern geworden ist. "Die
Liebe erfüllt
das ganze Gesetz!"... -
"Der von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!" - Ein großes Wort! Da das Volk zu den Steinen greift, erkennt Jesus, dass es den guten Sinn geschriebener Gebote
nicht verinnerlicht hat - und folglich die Gesetzes-Verteidiger der Versündigung gegen ein
jegliches andere Gebot ausgesetzt sind. - Freilich! Denn
Sünde ist es, die das Karma auf den Plan ruft und die Menschen in die irdische Schicksalsschule zwingt. - Und wäre das Gewissen der Zürnenden geläutert und die
Liebe ihr innerer Gesetzesgeber, ließen sie der Sünderin gegenüber Mitgefühl, Verständnis und Nachsicht walten und würden ein
mildes,
wirklich gerechtes Urteil fällen... -
Merkwürdig eigentlich, dass nach jener Mahnung
alle Ankläger jäh
innehalten und zuletzt
verschämt abziehen! Als ob sie den tiefen spirituellen Sinn dieses knappen schlagwortartigen, im Grunde profan-
exoterischen Gedanken
verstanden und
eingesehen hätten! - Ja, das haben sie tatsächlich: Denn es war nicht "gewöhnliches" Volk, das die Sünderin steinigen wollte, sondern eine große Schar solcher Menschen, die in die Tempel-Geheimnisse eingeweiht waren, also die
esoterische Bedeutung des Karma-Prinzips kannten, aber sich gerne im Glanz der Pharisäer-Elite sonnten und es wie diese nur nach
außen hin mit der Gesetzestreue hielten. Erst hierdurch ist die spontane - die
authentische - Reaktion der potenziellen Steiniger verständlich. Jeder andere
nicht-eingeweihte Teilnehmer hätte sich gesagt: Ja nun, sündigen tun wir doch alle! Aber
wir werden
auch bestraft, wenn wir sündigen - warum also soll diese Sünderin ihrem Urteil entgehen? - Auge um Auge, Zahn um Zahn!"...