Der Vogel im goldenen Käfig - Teil 1

V

Vincent Decker

Guest
Der Vogel im goldenen Käfig

„Okay Leute, das war ’Our House in the middle of the street’, aber wer baut schon seine Hütte in der Mitte der Strasse? Es folgt das Auge des Tigers – ’The eye of the tiger’.“
Ich bin voll in meinem Element, liebe es DJ zu sein. Oberhalb der Tanzfläche, in meiner gläsernen Kanzel, bin ich der ungekrönte König und lasse die Puppen nach belieben tanzen. Um mich herum Hunderte von Schaltern, Reglern, Knöpfen und Lämpchen. Manchmal komme ich mir vor wie Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise. Der Ausblick ist einmalig. Nichts entgeht meinen Augen, kein Geheimnis bleibt mir verborgen. Wer mit wem und warum, etc..
Der Publikumsverkehr heute Abend ist eher mittelprächtig. Es gibt genug Platz für alle und die Stimmung ist angenehm entspannt. Die Besucher sind jung, nur ab und an sieht man einen Grufti. Für uns sind alle Menschen über Vierzig alt, spießig, verbraucht. Die haben einfache keinen Mumm mehr in den Knochen, denen rieselte schon der Kalk aus der Hose.
Evchen tanzt sich heute Abend die Seele aus dem Leib. Sie ist zuckersüß, leiden-schaftlich - unerreichbar. Ihr alter Herr zählt zu den oberen Zehntausend und da ist Meinereiner nicht angesagt, nicht einmal als ungekrönter König der Disco. Ich genieße ihr Antlitz, die geschmeidigen Bewegungen ihres jungen Leibes. Mir fällt auf, dass sie regelmäßig Blickkontakt zu einer Person hält die im Dunkel einer Ecke sitzt. Ich bin neugierig, versuche diese Ecke mit dem Scheinwerfer auszuleuchten. Vergebens, der Radius reicht nicht aus.
Kaum habe ich den Versuch mit dem Lichtstrahl beendet, steht die ominöse Gestalt auf und betritt die Tanzfläche. Ich werde augenblicklich nervös. Eine Gruftifrau, sicherlich über Vierzig aber – rattenscharf! Schulterlanges, schwarzes Haar, Wespen-taille, unendlich lange Beine, die Rundungen darüber perfekt. Wow, ein Luxuskätzchen.
Ich muss schlucken, sie fixiert mich ungeniert. Ich komme mir ertappt vor. Hat sie bemerkt, dass ich versucht habe sie anzuleuchten? Ihr Lächeln ist sympathisch, makellos. Evchen geht auf sie zu, kuschelt sich an sie. Kann es sein, dass sie ihre Mutter ist? Sie tuscheln und gestikulieren. Ab und an trifft mich einer ihrer Blicke. Jetzt bin ich der Beobachtete, fühle mich bloßgestellt - meine Überlegenheit ist futsch. Routiniert sage ich die Songs an, bin aber nicht mehr so cool wie sonst. Mutter und Tochter, so nehme ich an, tanzen, lachen, trinken. Ich kann sie nicht aus den Augen lassen, beobachte sie wie hypnotisiert. Ich will sie von nahem betrachten, sie riechen, ihre Stimme hören. Ich lege eine Kassette ein, auch DJs brauchen mal Pause.
So locker wie möglich schlendere ich zur Theke um ein Bitter Lemon zu ordern. Zwischen meinen Schulterblättern brennt mir ihr Blick ein Loch in mein Herz, es beginnt zu galoppieren. Ich weiß, dass sie sehen will wie ich mich jetzt verhalte denn sie weiß alles über Männer, kennt unsere Schwächen, kann uns steuern wie es ihr beliebt. Ich erinnere mich an das, was mir Vera auf den Weg gegeben hat. „Du warst der erste echte Mann mit dem ich zusammen war, weil du bist wie du bist.“ Okay, dann will ich mal sein wie ich bin denke ich mir – frech, natürlich, lieb.
Entschlossen drehe ich mich um und lächle mitten in ihr Gesicht - frech, natürlich, lieb. „Guten Abend, sind sie die Mutter von Evchen? Sie fielen mir eben beim Tanzen auf.“ - „Du bist gut.“, bescheinigt sie mir. „Evchen hat mir schon viel von dir berichtet.“ Unverschämter kann sie nicht grinsen und ich bemerke diese lästige Hitze auf meinen Wangen, die zu meinen Ohren emporsteigt. Wie peinlich, ich werde puterrot. In meinem Kopf schwirren Gedanken, was sie bereits über mich erfahren haben mag.
Unerwartet nimmt sie meine Hand und zieht mich zu der Sitzecke wo Evchen bereits wartet. „Hi Vincent, trinkst du ’nen Champus mit?“ – „Entschuldige bitte, ich trinke nicht im Dienst.“, erwidere ich korrekt. „Ich muss einen kühlen Kopf bewahren.“ Evchens Mutter schaltet sich ein: „Ach, musst du das...?“ – „Ich fühle mich ausgetrickst, wechsele das Thema: „Wie heißen sie?“ – „Für dich – Schneckchen.“ Es folgt ein Augenaufschlag der mich völlig auszieht. Automatisch denke ich an Schleimspur, etwas glitschiges. Ich schlucke, will irgend etwas pfiffiges erwidern, bekomme aber keinen Ton heraus.
Totenstille. Ich will auf meine Kanzel flüchten doch sie kommt mir zuvor, stellt sich mir in den Weg, sodass ich fast mit ihr kollidiere. „Hoppla, du gehst aber ran.“ So überzeugend wie sie es sagt bekomme ich ein schlechtes Gewissen, dabei bin ich unschuldig. „Ich – äh, ich muss jetzt wirklich weitermachen, ich werde nämlich dafür bezahlt – Schneckchen.“ Ha, das saß. Erstaunt tritt sie zur Seite und schaut mir entgeistert nach. Erleichtert erreiche ich meine sichere Zelle, setze mir die Kopfhörer auf und bin augenblicklich wieder Herr der Lage. Warum mir diese Kanzel so viel Sicherheit vermittelt weiß ich nicht aber hier oben habe ich das Sagen – Profilneurose vielleicht.
Als ich mit dem Blick das Publikum scanne, sind die beiden verschwunden. Trotz der peinlichen Situation eben bin ich traurig, dass sie fort sind. Die Luft war wie elektrisiert, die Spannung unerträglich und in ihrer Nähe roch es nach ich will dich. Ich ärgere mich über meine lüsternen Gedanken, da ich nicht zu den Flachköpfen gehören mag die meinen, ihren Phallus in so viele Menschen wie möglich stecken zu müssen.
Die Nacht nimmt kein Ende, ich bin kaputt, will nur noch schlafen. Endlich haben auch die letzten Rumtreiber den Laden verlassen, es ist 3:40 Uhr. Im Gegensatz zum Thekenpersonal brauche ich mich nicht am Aufräumen zu beteiligen. DJ zu sein hat viele guten Seiten.
Als ich vor die Tür trete empfängt mich ein Hauch von Milch mit Honig. Es ist Hochsommer und jetzt, früh morgens, ist die Luft angenehm kühl, weich und ganz leicht weht der Wind den Duft der naheliegenden Gärtnerei herüber. Meine Lebensgeister erwachen wie durch Hexerei und plötzlich habe ich das Gefühl ich könnte was verpassen. Als ich in meinem NSU Platz genommen habe, siegt die Vernunft. Ich mache keinen Umweg zu einer nahegelegenen Disco. Wäre ja Quatsch, den Stress hatte ich die ganze Nacht. Endlich in die Waagerechte, Ruhe, Entspannung. Zwei Minuten später erreiche ich die Auffahrt, stelle meinen Wagen ab und gehe zum Eingang des Hauses in dem meine himmlische Bettstatt auf mich wartet. Dösig angele ich nach dem Zimmerschlüssel – warum müssen Jeans immer so knalleng sitzen, zum Teufel.
„Hallo.“ Eine Stimme haucht mich aus dem Dunkel des Hausflurs an. Ich schrecke zusammen, mein Herz pumpt wie wild. Ich finde mich peinlich da ich es hasse wenn ich schwach bin. Wegen einer Frauenstimme zu erschrecken ist superpeinlich. Neugierig blinzle ich in die Ecke des Flurs aus der die Stimme kam. Doch bevor ich etwas erblicken kann, wittere ich ihren Duft. Augenblicklich ist mir klar – das ist Evchens Mutter. „Schneckchen, was machst du denn hier?“ – „Ich will Sex mit dir, willst du mich auch?“ Uff - ich bin verdutzt. So unverblümt, so wunderbar direkt. Hey, das ist genau meine Kragenweite. Mein Urhirn, es befindet sich in meiner Leistengegend, beginnt zu grübeln. Warum geht so ein Prachtweib - verheiratet, reicher Mann, dickes Auto, süße Tochter usw. zu einem DJ, der fast ihr Sohn sein könnte?
Ich will sie ein bisschen narren um die Spannung zu erhöhen. „Das, was über mich erzählt wird ist erstunken und erlogen. Ich bin in Wirklichkeit schüchtern und auch sehr unerfahren.“ – „Und ich bin mit einem Mann leiert der viel Geld, eine junge Sekretärin und einen Bauch hat.“
Ein einziger Satz und die gesamte Situation ihres trostlosen Lebens ist auf den Punkt gebracht. Ich bemerke, dass ich total auf diese Wortgewandtheit stehe, sie erregt mich. Ich weiß, dass sie mir meine albernen Sprüche nicht abkauft, dafür ist sie zu gescheit. Sie will keinen Bauch, keinen, der sich kaufen kann was er will. Sie will einfach Sex, wenn es geht etwas Zärtlichkeit und Herzens-wärme.
Noch nie habe ich mit einer Gruftifrau . . . Vera ist etwas ganz anderes, zwischen uns liegen zwölf, nicht zwanzig Jahre und Schneckchen ist schon Mutter von zwei Kindern. Ich erinnere mich an Schilderungen, dass Frauen die schon Kinder geboren haben so geweitet wären, dass man nichts mehr spürt wenn man in sie eindringt. Horror pur, denke ich.
Der zweite Teil folgt im . .
 
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