Der Stein

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Karuna

Guest
Der Stein



Die Eiszeit näherte sich langsam ihrem Ende, legte nach und nach die Landstriche in Küstennähe frei, wo nun die Erde zu erwachen begann. Kaum erblickte jener Stein im äußersten Südwesten Europas den Himmel, einen Himmel, wo sich die ersten Sonnenstrahlen noch schüchtern durch die Wolkendecke wagten, kam das Meer.
Durch das Abschmelzen der Eisdecke stieg der Meeresspiegel, überspülte das Land unter den Fluten der See.
Meerespflanzen und Muschelbänke siedelten sich um den Stein an. Fische nisteten in entstandenen Mulden und Grotten. Der Stein blieb einige tausend Jahre unter Wasser.
Begonnen hatte alles nach unserer heutigen Zeitrechnung, vor elftausend Jahren, als eine Naturkatastrophe von ungeheuren Ausmaßen die Erde heimsuchte. Ein Meteorit näherte sich von Nordwesten der Küste Nordamerikas, als feuerroter Ball überflog er in vierhundert Kilometern Höhe die Erde. Je näher er kam um so mehr begann er sich zu erhitzen. Immer riesiger wurde sein Gasschweif hinter ihm. Ungeheurer, als je ein Komet es sein könnte, in einem Lichtglanz, vor dem die Sonne erblasste, muss dieser tötende Blitz herniedergestoßen sein. Das Auge das ihn sah, wurde für immer geblendet.
Das schaurig-schöne Spiel dürfte nicht länger als zwei Minuten gedauert haben... vom ersten Aufleuchten am Abendhimmel bis zum Donner des Kerneinschlags. Er wurde vermutlich auf der ganzen Erdoberfläche gehört, nur von denen nicht, die im Explosionsstreifen lebten, sie waren tot, bevor der Schall zu ihnen dringen konnte.
Das Aufleuchten am Himmel war auf über zweitausend Kilometer sichtbar, der Planetoid überflog das Gebiet des heutigen Charleston in Süd Carolina und stürzte in den Puerto Rico Graben, wo er die Erdkruste durchstieß und in den heißen Magma Kern einschlug.
Es folgte eine Reihe von Kettenreaktionen, die alle Vulkane im Atlantik, bis hinauf nach Island ausbrechen ließ. Das war der sogenannte Reißverschlusseffekt, welcher auf diese Weise einen gesamten Erdteil mitten im Atlantik innerhalb einer Nacht und eines Tages untergehen ließ... die Erde taumelte, die Polachse verschob sich innerhalb von Minuten und
ungeheure Flutwellen suchten die Kontinente heim. Die Explosion verdunkelte die Erde mit schwarzen, schwefligen Giftwolken und dann kam der Regen, wochenlang, monatelang regnete es. Kontinente kippten auf einer Seite ins Meer und erhoben sich an anderen Seiten bis zu zweitausend Meter herauf.
Die Verdunklung der Erde, bezeichnet als die Dunkelnebelwolke, lag besonders dick auf der nördlichen Hälfte verteilt, der den Hauptteil der Vulkanasche abbekommen hatte. Zwei Tausend Jahre herrschte dort Dunkelheit, zweitausend Jahre lag jener Ort im Südwesten der Iberischen Halbinsel in der Dunkelheit, bedeckt von einer dicken Eisdecke.
Allmählich wurde die dichte Nebelhaube aufgelöst, es wuchsen Moose, Silberwurz und Polarweiden, dann einige Jahrtausende später, als es bereits lichter geworden war, erblickte man die ersten Kiefern und Espen.
Allmählich ging der Meeresspiegel zurück und legte jenen Ort mit dem Stein wieder frei, im porösem Sandstein konnte man wunderschöne Muscheln entdecken, die in den kommenden Jahrtausenden versteinern sollten.
Es wurde wärmer und es siedelten sich Mittelmeerpflanzen an, die Vögel brachten die Samen und es wuchsen um den Stein niedrige Koniferen, Kiefern, Thymian, Rosmarin und Lavendel.
Die Bienen umschwärmten die blühenden Sträucher, die Ameisen bevölkerten den roten lehmigen kargen Boden, kleinere Schlangen wählten sich den Ort zum Wohnsitz und Skorpione gruben sich unter den Stein.
Die ersten Menschen kamen, wir haben bereits das Neolithium, Feuerstellen wurden errichtet und große heilige Steine wurden aufgestellt, wo man Fruchtbarkeitsrituale vollzog und sich nachts am Feuer die Geschichten der alten vergangenen Zeiten von der Sintflut erzählte.
Die Urmenschen in Portugal waren die „Lusitanos“, dann kamen die Westgoten, die Phönizier, die Wikinger und die Römer.
Und endlich siebenhundert Jahre nach Ch. eroberten die Mauren den Süden Portugals, sie blieben siebenhundert Jahre und hinterließen, abgesehen von ihrer wunderschönen Kultur dreißig Prozent genetischen Anteil ihrer Rasse in den Einwohnern der Algarve, Al-Garb, so nannten die Mauren ihr Land damals, Al-Garb bedeutet ganz im Westen.

* * * * * * * *

Ich bin bei Dir, mein Stein, sagte Michelle leise zu ihm, sieben lange Jahre hast Du mir Kraft und Trost gegeben, ich kam manchmal sogar mitten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen konnte und unglücklich war.
Ich habe Dir alles, wirklich alles anvertraut, meinen Kummer, meine Ängste und auch meine Hoffnungen, jetzt bin ich hier um Abschied zu nehmen.
Michelle zündete sich eine Zigarette an und beobachtete, wie der Himmel langsam begann, sich im Westen über dem Feld pfirsichorange zu färben.
Das Feld, so nennen wir diesen Platz, dachte sie, den ich immer wieder aufsuche, um mich auf meinen Stein zu setzen, der nur wenige Schritte von unserem Haus entfernt ist. Oben auf einem sanft abfallenden Bergrücken, wo der Hang terrassenförmig in die Schlucht hinunterführt, stehen einige alte Olivenbäume, der Schäfer macht in ihrem Schatten gerne mittags eine Rast, dann geht er mit der Herde über die Klippen und führt schließlich am Ende eines langen Tages seine Schafe durch die Schlucht nach Hause.
Die Dämmerung verwandelte rasch den Himmel in ein tiefes Blau, welches dunkler und dunkler wurde, schon blitzten im Osten die ersten Sterne auf.
Sie drückte ihre Zigarette aus uns sog die Luft ein. Es roch nach wildem Thymian, und es war still, sehr still hier. Drüben auf der anderen Seite der Schlucht leuchtete der Scheinwerfer des Leuchtturms zwei Mal kurz auf. Nach acht Sekunden wieder ... . Alles war ihr so vertraut und sie fühlte sich eingebettet in diese Landschaft, ja sie liebte sie und wollte von ihr Abschied nehmen mit der Gewissheit nie mehr zurück zu kehren. Das stimmte sie ein wenig traurig.
Aber dann dachte sie an den morgigen Tag wo sie abends von London in das Flugzeug einsteigen würde, über Zürich nach Australien und sie war aufgeregt, euphorisch, zündete sich noch eine Zigarette an, ich rauche zu viel, ich weiß es, aber was ich morgen tue, ist mein Weg in die Freiheit, wenn ich es jetzt nicht mache, werde ich es nie mehr tun.
Mit zweiundvierzig wage ich den Sprung ins Ungewisse, verlasse meinen Mann, meine Kinder und keiner von ihnen ahnt etwas ... . Ja mein geliebter Stein, nur du weißt es, aber ich bereue nichts.
Michelle zog an ihrer Zigarette, betrachtete in Gedanken die aufleuchtende Glut, sie fragte sich ob sie feige sei, dass sie es ihm nicht sagte, oh nein dachte sie, ich bin einfach nur Realist, er würde mich nie gehen lassen.
Aber er wird mich nicht einmal vermissen, ich fühlte mich in den letzten Jahren meiner Ehe wie lebendig begraben.
Ich gehe mein lieber Stein, sieben Jahre habe ich Dir alles anvertraut, liebevoll strich sie mit den Fingern über das poröse Gestein, fühlte seine Muschelablagerungen, Du warst bestimmt einmal in der Tiefe des Meeres und ich frage mich, was Du schon erlebt hast... wie alt magst Du sein?
In der Nähe stieß ein Käuzchen seine heiseren Schreie in die Luft, Michelle fröstelte, sie zog sich ihre Jacke über, sah nochmals die Bilder der letzten Monate vor ihrem inneren Auge ablaufen... sie verliebte sich in einen zwanzig Jahre jüngeren Mann, er hatte die dunklen stechenden Augen und die ausgeprägte Nase eines Arabers und das faszinierte sie, trotzdem, diese Liebe fand mehr in ihrem Kopf statt, als sonst wo, aber sie machte sie wieder lebendig, sie begann aufzuleben, das Leben zu umarmen und vor allem die Entscheidung zu treffen, sich von ihrem Mann zu trennen, wusste sie jetzt mit Sicherheit, dass sie ihn nicht mehr liebte.
Ja, die Liebe mit Pedro Alvarez fand mehr in ihren Träumen statt... sie lächelte, einmal haben wir uns geliebt, nachts unten am Strand... die Schlucht führt bis hinunter an den kleinen Felsenstrand, er war menschenleer und der Mond spiegelte sich auf dem Wasser, Pedro Alvarez will nach Australien nachkommen, aber ich gebe nicht viel drauf, diese Liebe ist nicht viel mehr als ein Strohfeuer und hat mir geholfen, mich zu befreien.... von mir selber mein liebet Stein? war es das? dann war es das wert, denn ich bin in meiner Ehe oft genug betrogen worden und will in meinem Leben endlich einmal tun, was ich will und so gehe ich morgen auf leisen Sohlen auf und davon...
Ich hoffe, dass ich die Kinder bald nachholen werde, der Anwalt warnte mich, sie einfach mitzunehmen, das sei Entführung... und außerdem, wie soll ich mir anfangs mein Leben mit zwei Kindern neu aufbauen? Das ist die Ungerechtigkeit, die an uns Frauen von den Männern begangen wird, wir sind immer benachteiligt, jetzt soll er einmal für die Kinder sorgen.
Nein, ich bin nicht gewissenlos, dachte sie und ihr kam jene kalte Novembernacht in den Sinn, wie sie herkam zu ihrem Stein, der Wind jagte oben die Wolken am Himmel über einen bleichen Mond, das war vor drei Jahren, als sie dahinter kam, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer Freundin von ihr hatte.
Warum ich? schrie sie in die Nacht hinaus, nimmt es denn kein Ende mehr? warum das Leid?
Sie kniete am Boden und umarmte ihren Stein und fühlte seinen Atem, er hatte den Hauch der Ewigkeit, der ihr wieder Kraft gab, weiterzumachen, mit ihrem kleinem Leben.
Du hast die Ruhe der Jahrtausende, ich will weiterleben, allein um schon zu erfahren, was in meinem Leben geschehen wird... es müssen auch wieder gute Dinge zu mir kommen.
Ich glaube damals, nach dieser Novembernacht, habe ich die Weichen gestellt, ich begann mein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und morgen fliege ich auf die andere Seite der Erde, ich weiß, ich nehme mich selber mit, aber ich bin voller Zuversicht.
Michelle kniete sich hin und umarmte lange Zeit den Stein, dann stand sie auf und ging.


Karuna 2004



Karuna:liebe1: :liebe1: :liebe1:
 
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Michelle kniete sich hin und umarmte lange Zeit den Stein, dann stand sie auf und ging.

und der Stein fiel von ihrem Herzen und sie war frei................
unendlich frei und glücklich................

sie war zu Hause.....
 
Goldklang))) schrieb:
Michelle kniete sich hin und umarmte lange Zeit den Stein, dann stand sie auf und ging.

und der Stein fiel von ihrem Herzen und sie war frei................
unendlich frei und glücklich................

sie war zu Hause.....

danke Niemandin...
inzwischen ist es auch so...
das andere war genau bei Saturn im Wassermann...:schnl:



Karuna:liebe1: :liebe1: :liebe1:
 
ersc´hien mir die 1.Hälfe deines Beitrages,- liebe Karuna

als "würde ich nach Hause zurückkehren. Heim in die Gefilde, die ich erlebt habe,- gesehen habe,- durch die ich gereist bin."

Einst las ich einen Roman - Inanna,- Odysee einer Göttin (ich beschrieb das Buch hier im Forum) - an dem mich deine Worte hier sehr erinnern. Das Gleiche empfand ich damals wie heute, als ich diese worte las.

Die Polverschiebung,- nicht überall ist sie anerkannt,... aber in mir ist sie "auch" verankert (bete immer Richtung Nordnordoost, anstatt gen Osten)

Alles in allem,..... Wunderschön.....

Beim 2.Teil habe/hatte ich das gefühl, als würdest du dich selber beschreiben.- Nunja,.... wer könnte dir besser über "Freiheit" berichten, als jemand mit Chiron/Wassermann/H12

Amrita Chandra
Alia
 
Alia:
Einst las ich einen Roman - Inanna,- Odysee einer Göttin (ich beschrieb das Buch hier im Forum) - an dem mich deine Worte hier sehr erinnern. Das Gleiche empfand ich damals wie heute, als ich diese worte las.

Inanna las ich nicht...
aber das Gilgamesch Epos ist tief in
meine Seele eingeprägt und natürlich liebe ich die
Göttin auf ihrer Zikkurat!

Sie erreichten das Dorf Barbar. Einen Kilometer dahinter hielt er den Wagen an und parkte im Schatten einer Palme. Mahoud führte sie einen ausgetretenen Ziegenpfad entlang bis zu einem freien Platz mit verwitterten Erdhügeln und Gräben. Alles schien vor langer Zeit verlassen worden zu sein. Er nahm ihre Hand und erklärte:
„Genau an dieser Stelle haben dänischen Archäologen einen Tempel entdeckt.“
Mahoud zeigte auf die Hügel hinüber.
„Dort haben sie einen Brunnen ausgegraben, sie fanden Tonscherben...“
„Und Münzen und Alabastervasen“, beendete Stella den Satz.
Sie sprach leise, mehr zu sich selbst, bückte sich und fuhr fast zärtlich mit der Hand über den ausgetrockneten Boden. Dann flüsterte sie:
„Sie kamen von den Sternen und vermählten sich mit den Töchtern der Erde und bauten die Zikkurat für Götter, die vom Himmel stiegen.“
„Was meintest du mit, sie kamen von den Sternen?“, fragte er neugierig.
„Ich meinte die Sumerische Sage, die vor ein paar tausend Jahren auf Keilschrifttafeln geschrieben wurde. Du kennst ja die Gilgamesch Sage.“
Sie sah ihn an.
„Ich glaube, dass wir alle von den Sternen kamen, in welcher Form auch immer, und dorthin zurückkehren.


aus: "Kismet"
von Karuna




Karuna:liebe1: :liebe1: :liebe1:
 
Karuna schrieb:
Der Stein



Die Eiszeit näherte sich langsam ihrem Ende, legte nach und nach die Landstriche in Küstennähe frei, wo nun die Erde zu erwachen begann. Kaum erblickte jener Stein im äußersten Südwesten Europas den Himmel, einen Himmel, wo sich die ersten Sonnenstrahlen noch schüchtern durch die Wolkendecke wagten, kam das Meer.
Durch das Abschmelzen der Eisdecke stieg der Meeresspiegel, überspülte das Land unter den Fluten der See.
Meerespflanzen und Muschelbänke siedelten sich um den Stein an. Fische nisteten in entstandenen Mulden und Grotten. Der Stein blieb einige tausend Jahre unter Wasser.
Begonnen hatte alles nach unserer heutigen Zeitrechnung, vor elftausend Jahren, als eine Naturkatastrophe von ungeheuren Ausmaßen die Erde heimsuchte. Ein Meteorit näherte sich von Nordwesten der Küste Nordamerikas, als feuerroter Ball überflog er in vierhundert Kilometern Höhe die Erde. Je näher er kam um so mehr begann er sich zu erhitzen. Immer riesiger wurde sein Gasschweif hinter ihm. Ungeheurer, als je ein Komet es sein könnte, in einem Lichtglanz, vor dem die Sonne erblasste, muss dieser tötende Blitz herniedergestoßen sein. Das Auge das ihn sah, wurde für immer geblendet.
Das schaurig-schöne Spiel dürfte nicht länger als zwei Minuten gedauert haben... vom ersten Aufleuchten am Abendhimmel bis zum Donner des Kerneinschlags. Er wurde vermutlich auf der ganzen Erdoberfläche gehört, nur von denen nicht, die im Explosionsstreifen lebten, sie waren tot, bevor der Schall zu ihnen dringen konnte.
Das Aufleuchten am Himmel war auf über zweitausend Kilometer sichtbar, der Planetoid überflog das Gebiet des heutigen Charleston in Süd Carolina und stürzte in den Puerto Rico Graben, wo er die Erdkruste durchstieß und in den heißen Magma Kern einschlug.
Es folgte eine Reihe von Kettenreaktionen, die alle Vulkane im Atlantik, bis hinauf nach Island ausbrechen ließ. Das war der sogenannte Reißverschlusseffekt, welcher auf diese Weise einen gesamten Erdteil mitten im Atlantik innerhalb einer Nacht und eines Tages untergehen ließ... die Erde taumelte, die Polachse verschob sich innerhalb von Minuten und
ungeheure Flutwellen suchten die Kontinente heim. Die Explosion verdunkelte die Erde mit schwarzen, schwefligen Giftwolken und dann kam der Regen, wochenlang, monatelang regnete es. Kontinente kippten auf einer Seite ins Meer und erhoben sich an anderen Seiten bis zu zweitausend Meter herauf.
Die Verdunklung der Erde, bezeichnet als die Dunkelnebelwolke, lag besonders dick auf der nördlichen Hälfte verteilt, der den Hauptteil der Vulkanasche abbekommen hatte. Zwei Tausend Jahre herrschte dort Dunkelheit, zweitausend Jahre lag jener Ort im Südwesten der Iberischen Halbinsel in der Dunkelheit, bedeckt von einer dicken Eisdecke.
Allmählich wurde die dichte Nebelhaube aufgelöst, es wuchsen Moose, Silberwurz und Polarweiden, dann einige Jahrtausende später, als es bereits lichter geworden war, erblickte man die ersten Kiefern und Espen.
Allmählich ging der Meeresspiegel zurück und legte jenen Ort mit dem Stein wieder frei, im porösem Sandstein konnte man wunderschöne Muscheln entdecken, die in den kommenden Jahrtausenden versteinern sollten.
Es wurde wärmer und es siedelten sich Mittelmeerpflanzen an, die Vögel brachten die Samen und es wuchsen um den Stein niedrige Koniferen, Kiefern, Thymian, Rosmarin und Lavendel.
Die Bienen umschwärmten die blühenden Sträucher, die Ameisen bevölkerten den roten lehmigen kargen Boden, kleinere Schlangen wählten sich den Ort zum Wohnsitz und Skorpione gruben sich unter den Stein.
Die ersten Menschen kamen, wir haben bereits das Neolithium, Feuerstellen wurden errichtet und große heilige Steine wurden aufgestellt, wo man Fruchtbarkeitsrituale vollzog und sich nachts am Feuer die Geschichten der alten vergangenen Zeiten von der Sintflut erzählte.
Die Urmenschen in Portugal waren die „Lusitanos“, dann kamen die Westgoten, die Phönizier, die Wikinger und die Römer.
Und endlich siebenhundert Jahre nach Ch. eroberten die Mauren den Süden Portugals, sie blieben siebenhundert Jahre und hinterließen, abgesehen von ihrer wunderschönen Kultur dreißig Prozent genetischen Anteil ihrer Rasse in den Einwohnern der Algarve, Al-Garb, so nannten die Mauren ihr Land damals, Al-Garb bedeutet ganz im Westen.

* * * * * * * *

Ich bin bei Dir, mein Stein, sagte Michelle leise zu ihm, sieben lange Jahre hast Du mir Kraft und Trost gegeben, ich kam manchmal sogar mitten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen konnte und unglücklich war.
Ich habe Dir alles, wirklich alles anvertraut, meinen Kummer, meine Ängste und auch meine Hoffnungen, jetzt bin ich hier um Abschied zu nehmen.
Michelle zündete sich eine Zigarette an und beobachtete, wie der Himmel langsam begann, sich im Westen über dem Feld pfirsichorange zu färben.
Das Feld, so nennen wir diesen Platz, dachte sie, den ich immer wieder aufsuche, um mich auf meinen Stein zu setzen, der nur wenige Schritte von unserem Haus entfernt ist. Oben auf einem sanft abfallenden Bergrücken, wo der Hang terrassenförmig in die Schlucht hinunterführt, stehen einige alte Olivenbäume, der Schäfer macht in ihrem Schatten gerne mittags eine Rast, dann geht er mit der Herde über die Klippen und führt schließlich am Ende eines langen Tages seine Schafe durch die Schlucht nach Hause.
Die Dämmerung verwandelte rasch den Himmel in ein tiefes Blau, welches dunkler und dunkler wurde, schon blitzten im Osten die ersten Sterne auf.
Sie drückte ihre Zigarette aus uns sog die Luft ein. Es roch nach wildem Thymian, und es war still, sehr still hier. Drüben auf der anderen Seite der Schlucht leuchtete der Scheinwerfer des Leuchtturms zwei Mal kurz auf. Nach acht Sekunden wieder ... . Alles war ihr so vertraut und sie fühlte sich eingebettet in diese Landschaft, ja sie liebte sie und wollte von ihr Abschied nehmen mit der Gewissheit nie mehr zurück zu kehren. Das stimmte sie ein wenig traurig.
Aber dann dachte sie an den morgigen Tag wo sie abends von London in das Flugzeug einsteigen würde, über Zürich nach Australien und sie war aufgeregt, euphorisch, zündete sich noch eine Zigarette an, ich rauche zu viel, ich weiß es, aber was ich morgen tue, ist mein Weg in die Freiheit, wenn ich es jetzt nicht mache, werde ich es nie mehr tun.
Mit zweiundvierzig wage ich den Sprung ins Ungewisse, verlasse meinen Mann, meine Kinder und keiner von ihnen ahnt etwas ... . Ja mein geliebter Stein, nur du weißt es, aber ich bereue nichts.
Michelle zog an ihrer Zigarette, betrachtete in Gedanken die aufleuchtende Glut, sie fragte sich ob sie feige sei, dass sie es ihm nicht sagte, oh nein dachte sie, ich bin einfach nur Realist, er würde mich nie gehen lassen.
Aber er wird mich nicht einmal vermissen, ich fühlte mich in den letzten Jahren meiner Ehe wie lebendig begraben.
Ich gehe mein lieber Stein, sieben Jahre habe ich Dir alles anvertraut, liebevoll strich sie mit den Fingern über das poröse Gestein, fühlte seine Muschelablagerungen, Du warst bestimmt einmal in der Tiefe des Meeres und ich frage mich, was Du schon erlebt hast... wie alt magst Du sein?
In der Nähe stieß ein Käuzchen seine heiseren Schreie in die Luft, Michelle fröstelte, sie zog sich ihre Jacke über, sah nochmals die Bilder der letzten Monate vor ihrem inneren Auge ablaufen... sie verliebte sich in einen zwanzig Jahre jüngeren Mann, er hatte die dunklen stechenden Augen und die ausgeprägte Nase eines Arabers und das faszinierte sie, trotzdem, diese Liebe fand mehr in ihrem Kopf statt, als sonst wo, aber sie machte sie wieder lebendig, sie begann aufzuleben, das Leben zu umarmen und vor allem die Entscheidung zu treffen, sich von ihrem Mann zu trennen, wusste sie jetzt mit Sicherheit, dass sie ihn nicht mehr liebte.
Ja, die Liebe mit Pedro Alvarez fand mehr in ihren Träumen statt... sie lächelte, einmal haben wir uns geliebt, nachts unten am Strand... die Schlucht führt bis hinunter an den kleinen Felsenstrand, er war menschenleer und der Mond spiegelte sich auf dem Wasser, Pedro Alvarez will nach Australien nachkommen, aber ich gebe nicht viel drauf, diese Liebe ist nicht viel mehr als ein Strohfeuer und hat mir geholfen, mich zu befreien.... von mir selber mein liebet Stein? war es das? dann war es das wert, denn ich bin in meiner Ehe oft genug betrogen worden und will in meinem Leben endlich einmal tun, was ich will und so gehe ich morgen auf leisen Sohlen auf und davon...
Ich hoffe, dass ich die Kinder bald nachholen werde, der Anwalt warnte mich, sie einfach mitzunehmen, das sei Entführung... und außerdem, wie soll ich mir anfangs mein Leben mit zwei Kindern neu aufbauen? Das ist die Ungerechtigkeit, die an uns Frauen von den Männern begangen wird, wir sind immer benachteiligt, jetzt soll er einmal für die Kinder sorgen.
Nein, ich bin nicht gewissenlos, dachte sie und ihr kam jene kalte Novembernacht in den Sinn, wie sie herkam zu ihrem Stein, der Wind jagte oben die Wolken am Himmel über einen bleichen Mond, das war vor drei Jahren, als sie dahinter kam, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer Freundin von ihr hatte.
Warum ich? schrie sie in die Nacht hinaus, nimmt es denn kein Ende mehr? warum das Leid?
Sie kniete am Boden und umarmte ihren Stein und fühlte seinen Atem, er hatte den Hauch der Ewigkeit, der ihr wieder Kraft gab, weiterzumachen, mit ihrem kleinem Leben.
Du hast die Ruhe der Jahrtausende, ich will weiterleben, allein um schon zu erfahren, was in meinem Leben geschehen wird... es müssen auch wieder gute Dinge zu mir kommen.
Ich glaube damals, nach dieser Novembernacht, habe ich die Weichen gestellt, ich begann mein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und morgen fliege ich auf die andere Seite der Erde, ich weiß, ich nehme mich selber mit, aber ich bin voller Zuversicht.
Michelle kniete sich hin und umarmte lange Zeit den Stein, dann stand sie auf und ging.


Karuna 2004



Karuna:liebe1: :liebe1: :liebe1:


Hallo Karuna

Du hast dich auf eine subtile in pastellfarben gefärbte Form in ein Thema vertieft welches ich in Sparten des Wissenschaftsjournalismus oder Belletristik schon in ähnlicher Form gelesen habe.
Deine emotionale distanzierte ART zu schreiben gefällt mir hier gut. Es wird somit nicht zu wissenschaftlich (Teil 1) und auch nicht zu kitschig (Teil 2).

Alles Liebe
_________
Ute
 
Karuna schrieb:
Inanna las ich nicht...
aber das Gilgamesch Epos ist tief in
meine Seele eingeprägt
und natürlich liebe ich die
Göttin auf ihrer Zikkurat!............:
....Zitat:

"Zweihunderttausend Ziegel wurden gebrannt,2 sagte Akil. "Damit kannder Eanna-Tempel und die Hälfte des An-Heiligtums neu verblendet werden. Außerdem bleibt noch ein schöner, lapislazuliblauer Rest für den schmuck der Mauern vor dem alten Nordwesttor übrig."
"Das Tor am eingang zum Ganzir?" fragte Gilgamesch beiläufig. Er hatte die ganze Zeit nicht aufmerksam zugehört........................
aus "Milke´s" Gilgamesch,- König von Uruk

Amrita Chandra
Alia
 
MaTrixx schrieb:
Hallo Karuna

Du hast dich auf eine subtile in pastellfarben gefärbte Form in ein Thema vertieft welches ich in Sparten des Wissenschaftsjournalismus oder Belletristik schon in ähnlicher Form gelesen habe.
Deine emotionale distanzierte ART zu schreiben gefällt mir hier gut. Es wird somit nicht zu wissenschaftlich (Teil 1) und auch nicht zu kitschig (Teil 2).

Alles Liebe
_________
Ute

hier ist noch eine andere Version, wo ich den wissenschaftlichen Teil gekürzt und besser in die Geschichte eingebettet habe:


Ich bin bei dir mein Stein, sagte Michelle leise zu ihm. Sieben Jahre hast du mir Kraft und Trost gegeben, manchmal kam ich sogar mitten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen konnte und unglücklich war.
Alles habe ich dir anvertraut, meinen Kummer, meine Ängste und auch meine Hoffnungen. Heute bin ich hier um Abschied zu nehmen.
Michel zündete sich eine Zigarette an und beobachtete, wie der Himmel langsam begann, sich im Westen über dem Feld pfirsichorange zu färben.
Das Feld befand sich oben auf einem Bergrücken, nur wenige Schritte von ihrem Haus entfernt. Der Abhang führte terrassenförmig in eine Schlucht hinunter, dort stehen einige alte Olivenbäume, wo der Schäfer gerne mittags seine Rast macht. Später geht er dann mit seiner Herde über die Klippen und führt schließlich am Ende eines langen Tages seine Schafe durch die Schlucht zurück nach Hause.
Die Dämmerung verwandelte rasch den Himmel in ein tiefes Blau, welches dunkler und dunkler wurde, schon blitzen im Osten die ersten Sterne auf.
Michelle drückte ihre Zigarette aus und sog die Luft ein. Es roch nach wildem Thymian, und es war sehr still hier. Drüben auf der anderen Seite der Schlucht leuchtete der Scheinwerfer des Leuchtturms zwei Mal kurz auf. Nach acht Sekunden wieder.... Alles war ihr so vertraut und sie fühlte sich eingebettet in diese Landschaft, ja sie liebte sie und wollte von ihr Abschied nehmen mit der Gewissheit nie mehr zurück zu kehren. Das stimmte sie ein wenig traurig.
Aber dann dachte sie an den morgigen Tag, wo sie nach London und von dort nach Australien fliegen würde und sie war aufgeregt, euphorisch, zündete sich noch eine Zigarette an und dachte dabei, dass sie zuviel rauche... ich rauche zuviel, ich weiß, aber das was ich morgen tue, ist mein Weg in die Freiheit und wenn ich es jetzt nicht mache, werde ich es nie mehr tun.
Mit zweiundvierzig wage ich den Sprung ins Ungewisse. Ich verlasse meinen Mann, meine Kinder und keiner von ihnen ahnt etwas...
Ja mein geliebter Stein, du allein weißt es. Ich bereue nichts.
Sie zog an ihrer Zigarette, beobachtete die aufleuchtende Glut. Und sie fragte sich ob sie feige sei, dass sie es ihm nicht sagte...
Oh nein. Ich bin Realist, denn er würde mich nie gehen lassen. Er wird mich nicht einmal vermissen. Ich fühlte mich in den letzten Jahren meiner Ehe wie lebendig begraben.
Ich gehe mein lieber Stein. Sieben Jahre habe ich dir alles anvertraut. Liebevoll strich sie mit den Fingern über das poröse Gestein, fühlte seine Muschelablagerungen. Du warst bestimmt einmal in der Tiefe des Meeres und ich frage mich, was du erlebt hast... wie alt magst du sein?
Und Michelle dachte an die Urzeiten der Erde, als die Eiszeit nach und nach die Landstriche in Küstennähe freilegte. Wie der Meeresspiegel durch das Abschmelzen der Eisdecke
wieder gestiegen war und das Land unter der See überspülte…

Meerespflanzen und Muschelbänke siedelten sich um den Stein an, Fische nisteten dort und der Stein blieb einige tausend Jahre unter Wasser.
Begonnen hatte alles mit einer riesigen Naturkatastrophe vor elftausend Jahren, als ein Meteorit sich der Erde näherte und als feuerroter Ball in den Puerto Rico Graben einschlug.
Der Meteorit durchstieß die Erdkruste und schlug in den Magma Kern ein.
So wird es gewesen sein, überlegte Michelle. Der Untergang von Atlantis... vielleicht schreibe ich einmal eine Geschichte darüber.
Es folgte eine Reihe von Kettenreaktionen, die alle Vulkane im Atlantik ausbrechen ließen und einen gesamten Erdteil mitten im Atlantik innerhalb einer Nacht und eines Tages untergehen ließ. Dann kamen die Flutwellen und der Regen, wochenlang, monatelang. Und es folgte die Dunkelheit. Hervorgerufen durch die giftigen Gase.
Zweitausend Jahre lag der Stein, im Südwesten der Iberischen Halbinsel in der Dunkelheit. Bedeckt von einer dicken Eisdecke.
Ganz allmählich ging der Meeresspiegel zurück und legte den Stein wieder frei. Es kamen die Pflanzen, die Tiere und dann der Mensch. Feuerstellen wurden errichtet und große heilige Steine aufgestellt, wo man Fruchtbarkeitsrituale vollzog und sich nachts am Feuer die Geschichten alter vergangener Zeiten, von der Sintflut erzählte.
Die Urmenschen, die Lusitanos, waren die ersten Menschen in Portugal. Dann kamen die Westgoten, die Phönizier, die Wikinger und die Römer.
Vor siebenhundert Jahren eroberten die Mauren das Land, sie blieben siebenhundert Jahre und hinterließen dreissig Prozent genetischen Anteil ihrer Rasse in den Einwohnern der Algarve. Al-Garb, so nannten die Mauren ihr Land damals, das bedeutet ganz im Westen.

In der Nähe stieß ein Käuzchen seine heiseren Schreie in die Luft, Michelle fröstelte, sie zog sich ihre Jacke über und dachte an die letzten Monate zurück. Sie hatte sich in einen zwanzig Jahre jüngeren Mann verliebte. Er hatte die dunklen stechenden Augen und die ausgeprägte Nase eines Arabers und das faszinierte sie.
Trotzdem, diese Liebe fand mehr in ihrem Kopf statt, als sonst wo, aber sie machte sie wieder lebendig, sie begann aufzuleben, das Leben zu umarmen. Und vor allem die Entscheidung zu treffen, sich von ihrem Mann zu trennen. Wusste sie mit nun Sicherheit, dass sie ihn nicht mehr liebte.
Ja, die Liebe mit Pedro Alvarez fand mehr in meinen Träumen statt.
Sie lächelte, einmal hatte sie Pedro geliebt. An dem kleinen Felsenstrand unten. Der Mond spiegelte sich auf dem Wasser, ich werde es nie mehr aus meiner Erinnerung verlieren.
Michelle streichelte über den Stein, Pedro will nach Australien nachkommen, aber ich gebe nicht viel drauf, diese Liebe ist nicht mehr als ein Strohfeuer und hat mir geholfen, mich zu befreien. Ich bin in meiner Ehe oft genug betrogen worden und dann war es das wert.
So gehe ich morgen auf leisen Sohlen auf und davon.
Ich hoffe, dass ich die Kinder bald nachholen werde, der Anwalt warnte mich, sie einfach mitzunehmen, das sei Entführung, und außerdem, wie soll ich mir anfangs mein Leben mit zwei Kindern neu aufbauen? Das ist die Ungerechtigkeit, die an uns Frauen von den Männern begangen wird. Wir Frauen sind immer benachteiligt, jetzt soll er mal für die Kinder sorgen.
Nein, ich bin nicht gewissenlos dachte sie und ihr kam jene kalte Novembernacht in den Sinn, wie sie herkam zu ihrem Stein. Der Wind jagte oben die Wolken am Himmel über einen bleichen Mond, das war vor drei Jahren, als sie dahinter kam, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer Freundin von ihr hatte.
„Warum ich?“, schrie sie in die Nacht hinaus. „Nimmt es denn kein Ende mehr? Warum das
Leid?“
Sie kniete damals am Boden und umarmte ihren Stein, fühlte seinen Atem, er hatte den Hauch der Ewigkeit, der ihr wieder Kraft gab, weiterzumachen mit ihrem kleinen Leben.
„Du hast die Ruhe der Jahrtausende, ich will weiterleben, allein um schon zu erfahren, was in meinem Leben geschehen wird.
Damals nach dieser Novembernacht, hatte sie die Weichen gestellt, begann ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Morgen fliege ich auf die andere Seite der Erde. Ja, ich weiß, ich nehme mich selber mit, aber ich bin voller Zuversicht.
Sie umarmte lange Zeit den Stein, dann stand sie auf und ging.


* * * * * * * *


Karuna:liebe1: :liebe1: :liebe1:
 
Alia schrieb:
....Zitat:

"Zweihunderttausend Ziegel wurden gebrannt,2 sagte Akil. "Damit kannder Eanna-Tempel und die Hälfte des An-Heiligtums neu verblendet werden. Außerdem bleibt noch ein schöner, lapislazuliblauer Rest für den schmuck der Mauern vor dem alten Nordwesttor übrig."
"Das Tor am eingang zum Ganzir?" fragte Gilgamesch beiläufig. Er hatte die ganze Zeit nicht aufmerksam zugehört........................
aus "Milke´s" Gilgamesch,- König von Uruk

Amrita Chandra
Alia

hier noch ein Auszug aus "Kismet"

„Du bist Ingenieur?"
„Ja, ich arbeite in Saudi Arabien bei den Erdölförderanlagen.“
„Wie aufregend, ich hatte mal einen Stop auf Bahrain.“
„Und?“, wollte er wissen, „hat es dir dort gefallen?“
„Ich konnte leider nicht viel sehen. Es war mitten in der Nacht und wir hatten nur eine Stunde Aufenthalt, aber ich fand, was ich suchte. Am Ende eines langen Korridors, versteckt hinter den ganzen Auslagen von Cartier und &. Bingo! Archäologische Funde der legendären Insel Dilmun.“
Er reichte ihr wortlos eine weitere Mandarine.
„Ich stand da und schaute auf siebentausend Jahre Geschichte zurück,“ fuhr sie fort, während sie die Mandarine schälte. „Und das um zwei Uhr nachts in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserem heutigen wertlosen Tand. Es war eine unwirkliche Situation.“
Oh Allah, dachte er, was für eine Begegnung.
Er erzählte ihr, er arbeite in Dharan. Das sei nicht weit von Bahrain, er kenne die Ausgrabungsstätten dort, da er beruflich oft auf die Insel fahre.
„Sicherlich ist es auf Bahrain sehr heiß?“
„Im Sommer schon“, stimmte er zu, „aber im Winter ist es erträglich. Es war übrigens eine dänische Expedition, welche diese sensationellen Funde Anfang der siebziger Jahre machte.“



Es war still dort, wo sie saßen, nur manchmal wehte der Wind die Laute vom nahen Dorf zu ihnen herüber. Mahoud war schweigsam und Stella dachte an die Archäologen. Ob sie wohl genauso unter diesem Baum gesessen haben und sich über versunkene Kulturen Gedanken machten? Über die Stadt Ur und über Mesopotamien, es soll ja die Wiege der Menschheit gewesen sein.
Das Lachen spielender Kinder hörte sie. Und weit in der Ferne den Ruf eines Esels. Mahoud legte den Arm um ihre Schulter und küsste sie sanft.
Nachdenklich nahm sie eine Hand voll Erde und meinte:
„Vielleicht war Gilgamesch auch an dem Platz, wo wir gerade sitzen. Er hat auf Dilmun das Wasser des Lebens gesucht.“
„Mit Sicherheit war er hier, Stella, aber er konnte seinen Freund Enkidu dennoch nicht retten.“
„Was du sagst, stimmt mich traurig. Erzähle mir ein wenig über Gilgamesch.“
„Wusstest du, dass Gilgamesch und sein Freund bis in den Libanon kamen? Sie drangen in den verwunschenen Wald der heiligen Zedern ein und besiegten dort das Ungeheuer Chuwawa.“
„Chuwawa?“ Sie musste lachen, meinte, das klänge wie irgendeine exotische Hunderasse. Wieder ernst fragte sie, wie er das Gilgamesch Epos interpretieren würde.
„Ja wie“, überlegte er. „Es geht vermutlich darum, dass ein Gott Mensch wird. Die Sage handelt vom Verlust der Unsterblichkeit und der daraus folgenden Angst vor dem Tod. Es ist das Aufbegehren gegen die Götter.“
Mahoud kaute gedankenverloren auf einem Grashalm herum. „Ich glaube, es geht um die endgültige Abnabelung von ihnen.“
„Unser Preis für Freiheit und Selbstbewusstsein? Und du meinst, wir kommen einfach ungestraft davon?“
Nachdenklich zog er die Stirn in Falten.
„Bahrain ist die Insel Dilmun, wo Ziusudra lebte. Bei euch in der Bibel wird er Noah genannt. Die Götter straften damals die Menschheit mit der Sintflut. Ja, es liegt alles in Allahs Hand.“
Er erhob sich.
„Lass uns aufbrechen. Ich möchte mit dir nach Al-Manama fahren.


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"Mein Vater hat mir den Himmel gegeben
hat mir die Erde gegebne: die Himmelsherrin bin ich
Mist sich einer, ein Gott mit mir?
Mullil hat mir den Himmel gegeben
hat mir die Erde gegeben
die Herrinenschaft hat er mir gegeben
die Schlacht hat er mir gegeben
das Kampfgetümmel hat er mir gegeben
den Orkan hat er mir gegeben
den Wirbelwind hat er mir gegeben
den Himmel hat er mir als Krone aufs Haupt gesetzt
die Erde hat er mir als Sandale an meinen Fuss gelegt
den leuchtenden Göttermantel hat er mir umgetan
das strahlende Zepter in die Hand gegeben
Die Götter sind wie ängstliche Vögel
ich aber bin die Herrin"


Lied von Inanna-Sumer



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