Den Himmel
aus der
Hölle sehend.
1. teil
Diese Schmerzen sind unerträglich. Das Feuer ist so unbeschreiblich heiß. Es fegt über uns hinweg - ohne Gnade! Manchmal nur einmal, manchmal mehrmals hintereinander. Mal überrascht es uns aus dem Hinterhalt, mal von der einen Seite, dann wieder von der anderen. Diese Unberechenbarkeit macht uns wahnsinnig. Aber auch wenn wir wüssten, wann und von wo es wieder zuschlägt, welchen Unterschied würde es machen? Keinen!
Die Angst davor bliebe, die Schmerzen auch! Die Zeit steht still. Diese Ketten bohren sich immer tiefer in unser blutrot unterlaufenes Fleisch. Die Schreie der anderen, dieses lärmende Leiden und Stöhnen meiner Gleichgesinnten, ist auch unerträglich. Es sind so unbeschreiblich viele. Wir sind so dicht aneinander gepfercht, wie wir es einst mit den Tieren taten. Und doch wurde so viel Platz gelassen, um sich nicht mit den Händen erreichen zu können. In unserer Verzweiflung würden wir uns nur gegenseitig zerfleischen. Aber noch nicht einmal das sollte uns gegönnt sein, noch nicht einmal das!
Ich kann mich kaum noch daran erinnern wie es begann. War zu sehr mit anderen Dingen beschäftig und verlor irgendwann das Licht vor meinen Augen. Jetzt gibt es für mich kein Licht mehr, außer dieser schier endlos scheinenden pechschwarzen Dunkelheit mit der immer wiederkehrenden Riesenflamme, die uns röstet.
Kaum zu Ende gedacht brach aus heiterem Himmel das nächste Feuerinferno über Michel und seine Leidensgefährten ein, immer und immer wieder, abwechselnd aus allen Richtungen.
Ihre Schreie verloren sich in der Ewigkeit. Niemand war da um sie zu hören. Sie waren allein, gefangen in ihrer Welt.
An den Geruch von Schwefel und ihrem verbrannten Fleisch hatten sie sich gewöhnen können, doch niemals an das immer wiederkehrende Feuer. Einige von ihnen hofften, ja wünschten sich sogar, dass das Feuer bleiben würde, damit sie nur noch die Schmerzen ertragen müssten und nicht mehr diese unaushaltbare Furcht, wann es wieder zuschlagen würde.
Hoffen und Wünschen?!? In dieser Welt!
Es war das einzige worüber, Michel sich noch amüsieren konnte. Er fand es erstaunlich wie einige auch nur daran denken konnten, sich hier etwas zu wünschen. Aber wenn sie es schon taten, warum gerade diesen Wunsch. Wenn er noch einen Wunsch frei gehabt hätte, nur noch einen einzigen, dann war es der, sich endlich von diesen schmerzenden Ketten zu befreien.
Zwar wusste er, dass es aus dieser Welt kein Entfliehen gab, aber allein der Gedanke sich wieder bewegen zu können, wenn auch nur um vor dem Feuer fliehen zu müssen, war besser, als an diesem Platz zu bleiben, erstarrt vor Angst und Leid. Während er versuchte, sich dieses Wunder vorzustellen, spürte er, dass die an ihm befestigten Ketten nicht mehr so schmerzten. Sie schienen sich langsam zu lockern, so dass er voller Fassungslosigkeit seine Hände befreien konnte. An seinen Füßen geschah das Gleiche. So unbegreiflich es ihm auch war, erkannte er sogleich die Chance, sein Wunder Wahrmachen zu können.
Er versuchte zu fliehen!
Dies wiederum hatten auch seine Mitgefangenen bemerkt und wollten entweder selbst befreit werden oder sie versuchten ihn an seiner Flucht zu hindern. Ein Dschungel von Armen und Beinen stellte sich ihm in den Weg. Michel hatte große Mühe sich mit seinen Ellenbogen und Fausthieben durchzuschlagen und den einen oder anderen Kopf als Sprungbrett, zu benutzen.
Währenddessen erinnerte er sich wieder an die Erde, dort hatte er gelernt sich mit Ellbogen und Fausthieben durchzuboxen, auf der Erde, wo doch nur der Stärkste überlebte!
Doch auf welche Stärke kam es an?
Diese Frage stellte sich Michel nicht, zu groß waren die Bemühungen um durch die unendlich viel erscheinenden Massen durchzukommen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen bis er es endlich geschafft hatte, auch den letzten an Ketten Gefangenen hinter sich zu lassen, um kurz darauf das zu tun, was er sich sehnlichst gewünscht und seit so langer Zeit nicht mehr getan hatte.
Er lief so schnell wie möglich und hörte gleichzeitig die Schreie der anderen, wie sie aus dem Feuer kamen, aber auch ihn holte es ein. Trotzdem lief er mit unerträglichen Schmerzen weiter durch die Flammen, bis er die anderen nicht mehr zu hören vermochte. Auf einmal ließen das Feuer und die damit verbundene Hitze hinter seinem Rücken von ihm ab. Ständig um sich blickend, weil er dem Frieden nicht traute, hielt er kurz Rast, um einen Augenblick zu ruhen. Doch dann spürte er nur umso deutlicher seine vom Feuer verbrannte Haut und das darunter zum Kochen gebrachte Blut.
Die Ruhe währte nicht lange. Seine Vorahnung sollte Recht behalten. Das Feuer kam plötzlich! Wieder begann er zu rennen, immer tiefer in die Dunkelheit eindringend.
Auch wenn es keine Hoffnung auf ein Ende gab, kräftigte ihn das Gefühl, dass sein von der langen Gefangenschaft gebrochener Wille nun wieder spürbar war.
Doch von nun an war das Feuer immer hinter ihm her. Es hatte sein Vergehen sehr wohl bemerkt. Wie ein Tier trieb es Michel eine lange Zeit vor sich her, um ihn dann doch immer wieder zu verschlingen. Seine Schreie erfüllten die Stille des Nichts.
Plötzlich ließ es wieder von ihm ab. Er blieb erst stehen, als er sich in scheinbarer Sicherheit fühlte.
Völlig außer Atem drehte er sich hastig nach allen Seiten um, weil er wusste, dass es gleich wieder zuschlagen könnte. Doch es kam nicht wieder. Als er allmählich ruhiger wurde, aber noch immer außer Atem, bemerkte er, dass ihn nichts außer dieser Finsternis umgab, aber noch viel ungewöhnlicher war die Stille um ihn herum. Völlig orientierungslos, weil ihn das Feuer nicht mehr hetzte, blieb er wie angewurzelt an dieser Stelle eine Zeitlang stehen, bis er wieder in die Richtung sah, in der er lief, als das Feuer von ihm abließ, und er fragte sich, was ihn in der Ferne erwarte, dass sogar das Inferno davor zurückwich. Ehrfürchtig und langsam schreitend machte er sich auf den Weg.
Seine Vermutung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Sehr weit vorausschauend nahm er ein schwaches Leuchten war. Das Feuer konnte es nicht sein, da war er sich sicher. Aber was sollte es sonst sein? War es vielleicht doch nur eine Falle? Seine Gedanken kreisten immer wieder über die gleichen Fragen. Wenn er sich traute dort hinzugehen, würde er es erfahren. Doch seine Angst hielt ihn zurück. Also wartete er eine geraume Zeit und betrachtete es nur aus sicherer Entfernung, aber voller Neugierde. So etwas hatte er in dieser Welt nie gesehen, selbst wenn er, dank dem Feuer, sehr weit herum gekommen war!
Über seinen wieder gefundenen Humor konnte er sich jedenfalls freuen, auch wenn dieser schwarz war.
Er zögerte noch ein wenig, doch die Gier nach etwas Neuem in dieser finsteren Welt gab ihm seinen Mut zurück. Langsam schlich er sich heran. Umso näher er kam, desto deutlicher wurde das Bild. Er sah, dass es ein auf dem Boden voll Asche und Staub bedecktes, auf der Seite liegendes, in sich verkrümmtes, leuchtendes Wesen war. Er erkannte eine weibliche Figur, doch ihr Gesicht konnte er nicht sehen. Sie hielt es mit ihren Händen bedeckt. Er beugte sich über sie und hörte ein leises Wimmern.
Vorsichtig versuchte er, ihre Hände beiseite zu schieben. Da erschrak das Wesen, das erst jetzt bemerkte, nicht allein zu sein. Sie versuchte aufzustehen, um zu fliehen, doch ihr Körper war zu schwach.
Sie fiel wieder auf den Rücken und probierte krampfhaft mit ihren Händen und Füßen, in der Asche wühlend, wegzukriechen, während sie ihr Gegenüber zu fixieren versuchte.
Doch ohne Erfolg. Sie konnte ihn nicht sehen. Ihre Augen waren dieser Dunkelheit nicht gewachsen.
Auch Michel bemerkte dies. Er hatte keine Mühe, sich ihr Gesicht anzuschauen.
Er begann sie zu umschleichen wie ein Tier seine Beute und doch wollte er ihr nichts tun. In ihrer Verzweiflung griff sie mit ihren Händen in die warme Asche und warf sie in die Richtung, in der sie ihn zu hören glaubte. Michel, der keine Mühe hatte auszuweichen, gefiel dieses Spiel. War es etwa das Gefühl der Macht, zu spüren, über jemanden zu herrschen und nicht, an das Feuer denkend umgekehrt? Vielleicht ein wenig, aber was ihn am meisten bewegte, war die Frage, woher sie wohl kam!
Was hatte sie hier verloren? Oder war es gerade sie, die von irgendwoher sich hierher verirrte? Er beschloss, sie zu fragen, doch sie antwortete ihm nicht. Im Prinzip war es Michel egal, ob sich Ihre Königliche Hoheit, so nannte er sie, weil sie nicht mit ihm reden wollte, mit ihm unterhielte oder nicht. Er hatte endlich einen Weg gefunden sich vor dem quälenden Feuer zu schützen. In ihrer Nähe konnte es ihm nichts anhaben. Schließlich hatte es von ihm abgelassen. Und da sie noch nicht einmal aus eigener Kraft fliehen konnte, entschied er, mit verschränkten Armen hinter seinem Kopf, sich auf die warme Asche zu legen und dabei über seine Schmerzen, so gut es ging, hinwegzusehen, um zumindest ein wenig zu ruhen, während seine Augen in den dunklen Himmel blickten und er ihn, mit Hilfe seiner Erinnerung vor seinem geistigen Auge blau schmückte und einige sanfte weiße Wolken vorbeiziehen sah.
Nach einer Weile erschrak er. Er hatte das Gefühl, irgendetwas gehört zu haben. Er stand auf, um es besser lokalisieren zu können. Die Möglichkeit, dass es etwas anderes als das Feuer sein konnte, war ausgeschlossen.
Als er erkannte, aus welcher Richtung das Geräusch kam, konnte er es sehen. Es war das Feuer, das diesmal sehr langsam auf ihn zukam. Er schritt einige Meter zurück, um noch näher an dem auf den Boden liegenden Wesen zu stehen, und bemerkte gleichzeitig, dass ihr Körper anfing intensiver zu leuchten.
Er versuchte sich diesen Zusammenhang zu erklären. Doch die Sorge vor dem heranschleichenden Feuer war größer, als nach einer Antwort zu suchen.
Und dann war es da: Ein riesiger Feuerball bäumte sich vor ihm auf!
Jeden einzelnen Muskel in seinem Körper anspannend und wie versteinert stehend, brannte es unmittelbar vor seinem sich schnell auf und ab bewegendem Brustkorb. Seine Augen von der Hitze zukneifend und mit dem Wissen, dass sein Körper gleich wieder brennen würde, stand er regungslos vor dem Flammenmeer.
Doch dass Feuer verschlang ihn nicht.
In seiner Lähmung und der brennenden Hitze vor ihm, neigte Michel fast unmerklich langsam seinen Kopf zur Seite und bemerkte, dass das Wesen ihn im Lichte des Feuers nun sehen konnte. Als ob sie nie zuvor so etwas wie ihn gesehen hätte, blickte sie ihn mitfühlend an, bis das Feuer sich langsam wieder zurückzog.
Die Dunkelheit kehrte wieder ein. Michel fiel, von diesem Schrecken erschöpft, auf die Asche. Auch das Leuchten ihres Körpers wurde wieder schwächer. Er hatte sogar den Eindruck, dass es jetzt schwächer schien als zu dem Zeitpunkt, an dem er sie das erste Mal sah. Wieder einmal verstand er den Zusammenhang nicht.
Doch zu erschöpft darüber nachzudenken, schloss er seine Augen und erlebte zum ersten Mal den wohligen Zustand, des Dahingleitens. Was für ein Genuss, dachte er sich. Erst nach einer langen Weile drehte er sich auf den Bauch, damit er sie, auf der warmen Asche liegend, sein Kinn auf seine Hände stützend, besser betrachten konnte.
Ihre wundervolle, jetzt immer weniger leuchtende reine Haut und ihr leicht gelocktes goldfarbenes Haar, das sie sich gelegentlich aus ihrem Gesicht strich, fand er atemberaubend. Sie musste etwas ganz Besonderes sein.
Er fing an, die Zeit, die er mit ihr verbrachte, zu genießen, auch wenn sich von nun an, in regelmäßigen Abständen, immer wieder die gleiche Szene mit dem Feuer abspielte, das ihm zu verstehen gab, ihn nicht vergessen zu haben. Doch er fürchtete sich nicht mehr so wie anfangs, schließlich war sie ja da, die ihn wie auch immer davor beschützte.
Und zur Freude Michels wurden die Abstände, in der das Feuer wiederkehrte, immer größer, so dass er noch einmal die Gelegenheit nutzte, um einen weiteren Konversationsversuch zu starten. Doch auch dieser scheiterte. Sie antwortete ihm wieder nicht. Vielleicht konnte sie gar nicht, denn ihr Zustands verschlechterte sich zusehend. Michel fing an, sich Sorgen zu machen. Ihr leuchtender Körper schien bald zu erlöschen. Auch ihre Kräfte verließen sie mehr und mehr. Michel stand auf und lief umher. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte sie nicht verlieren und außerdem würde ihn das Feuer dann wieder holen. In seiner Verzweiflung beugte er sich vor ihr nieder: Wenn Du mir sagst, wo du herkommst, oder wo es einen Ausgang aus dieser schrecklichen Welt gibt, würde ich dich mitnehmen und dich danach auch gehen lassen!"
Mit ihrer letzten Kraft, traurig den Kopf schüttelnd, sprach sie zum ersten Mal zu ihm: Du kannst mit mir nicht handeln! Erschöpft brach sie in sich zusammen.
aus der
Hölle sehend.
1. teil
Diese Schmerzen sind unerträglich. Das Feuer ist so unbeschreiblich heiß. Es fegt über uns hinweg - ohne Gnade! Manchmal nur einmal, manchmal mehrmals hintereinander. Mal überrascht es uns aus dem Hinterhalt, mal von der einen Seite, dann wieder von der anderen. Diese Unberechenbarkeit macht uns wahnsinnig. Aber auch wenn wir wüssten, wann und von wo es wieder zuschlägt, welchen Unterschied würde es machen? Keinen!
Die Angst davor bliebe, die Schmerzen auch! Die Zeit steht still. Diese Ketten bohren sich immer tiefer in unser blutrot unterlaufenes Fleisch. Die Schreie der anderen, dieses lärmende Leiden und Stöhnen meiner Gleichgesinnten, ist auch unerträglich. Es sind so unbeschreiblich viele. Wir sind so dicht aneinander gepfercht, wie wir es einst mit den Tieren taten. Und doch wurde so viel Platz gelassen, um sich nicht mit den Händen erreichen zu können. In unserer Verzweiflung würden wir uns nur gegenseitig zerfleischen. Aber noch nicht einmal das sollte uns gegönnt sein, noch nicht einmal das!
Ich kann mich kaum noch daran erinnern wie es begann. War zu sehr mit anderen Dingen beschäftig und verlor irgendwann das Licht vor meinen Augen. Jetzt gibt es für mich kein Licht mehr, außer dieser schier endlos scheinenden pechschwarzen Dunkelheit mit der immer wiederkehrenden Riesenflamme, die uns röstet.
Kaum zu Ende gedacht brach aus heiterem Himmel das nächste Feuerinferno über Michel und seine Leidensgefährten ein, immer und immer wieder, abwechselnd aus allen Richtungen.
Ihre Schreie verloren sich in der Ewigkeit. Niemand war da um sie zu hören. Sie waren allein, gefangen in ihrer Welt.
An den Geruch von Schwefel und ihrem verbrannten Fleisch hatten sie sich gewöhnen können, doch niemals an das immer wiederkehrende Feuer. Einige von ihnen hofften, ja wünschten sich sogar, dass das Feuer bleiben würde, damit sie nur noch die Schmerzen ertragen müssten und nicht mehr diese unaushaltbare Furcht, wann es wieder zuschlagen würde.
Hoffen und Wünschen?!? In dieser Welt!
Es war das einzige worüber, Michel sich noch amüsieren konnte. Er fand es erstaunlich wie einige auch nur daran denken konnten, sich hier etwas zu wünschen. Aber wenn sie es schon taten, warum gerade diesen Wunsch. Wenn er noch einen Wunsch frei gehabt hätte, nur noch einen einzigen, dann war es der, sich endlich von diesen schmerzenden Ketten zu befreien.
Zwar wusste er, dass es aus dieser Welt kein Entfliehen gab, aber allein der Gedanke sich wieder bewegen zu können, wenn auch nur um vor dem Feuer fliehen zu müssen, war besser, als an diesem Platz zu bleiben, erstarrt vor Angst und Leid. Während er versuchte, sich dieses Wunder vorzustellen, spürte er, dass die an ihm befestigten Ketten nicht mehr so schmerzten. Sie schienen sich langsam zu lockern, so dass er voller Fassungslosigkeit seine Hände befreien konnte. An seinen Füßen geschah das Gleiche. So unbegreiflich es ihm auch war, erkannte er sogleich die Chance, sein Wunder Wahrmachen zu können.
Er versuchte zu fliehen!
Dies wiederum hatten auch seine Mitgefangenen bemerkt und wollten entweder selbst befreit werden oder sie versuchten ihn an seiner Flucht zu hindern. Ein Dschungel von Armen und Beinen stellte sich ihm in den Weg. Michel hatte große Mühe sich mit seinen Ellenbogen und Fausthieben durchzuschlagen und den einen oder anderen Kopf als Sprungbrett, zu benutzen.
Währenddessen erinnerte er sich wieder an die Erde, dort hatte er gelernt sich mit Ellbogen und Fausthieben durchzuboxen, auf der Erde, wo doch nur der Stärkste überlebte!
Doch auf welche Stärke kam es an?
Diese Frage stellte sich Michel nicht, zu groß waren die Bemühungen um durch die unendlich viel erscheinenden Massen durchzukommen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen bis er es endlich geschafft hatte, auch den letzten an Ketten Gefangenen hinter sich zu lassen, um kurz darauf das zu tun, was er sich sehnlichst gewünscht und seit so langer Zeit nicht mehr getan hatte.
Er lief so schnell wie möglich und hörte gleichzeitig die Schreie der anderen, wie sie aus dem Feuer kamen, aber auch ihn holte es ein. Trotzdem lief er mit unerträglichen Schmerzen weiter durch die Flammen, bis er die anderen nicht mehr zu hören vermochte. Auf einmal ließen das Feuer und die damit verbundene Hitze hinter seinem Rücken von ihm ab. Ständig um sich blickend, weil er dem Frieden nicht traute, hielt er kurz Rast, um einen Augenblick zu ruhen. Doch dann spürte er nur umso deutlicher seine vom Feuer verbrannte Haut und das darunter zum Kochen gebrachte Blut.
Die Ruhe währte nicht lange. Seine Vorahnung sollte Recht behalten. Das Feuer kam plötzlich! Wieder begann er zu rennen, immer tiefer in die Dunkelheit eindringend.
Auch wenn es keine Hoffnung auf ein Ende gab, kräftigte ihn das Gefühl, dass sein von der langen Gefangenschaft gebrochener Wille nun wieder spürbar war.
Doch von nun an war das Feuer immer hinter ihm her. Es hatte sein Vergehen sehr wohl bemerkt. Wie ein Tier trieb es Michel eine lange Zeit vor sich her, um ihn dann doch immer wieder zu verschlingen. Seine Schreie erfüllten die Stille des Nichts.
Plötzlich ließ es wieder von ihm ab. Er blieb erst stehen, als er sich in scheinbarer Sicherheit fühlte.
Völlig außer Atem drehte er sich hastig nach allen Seiten um, weil er wusste, dass es gleich wieder zuschlagen könnte. Doch es kam nicht wieder. Als er allmählich ruhiger wurde, aber noch immer außer Atem, bemerkte er, dass ihn nichts außer dieser Finsternis umgab, aber noch viel ungewöhnlicher war die Stille um ihn herum. Völlig orientierungslos, weil ihn das Feuer nicht mehr hetzte, blieb er wie angewurzelt an dieser Stelle eine Zeitlang stehen, bis er wieder in die Richtung sah, in der er lief, als das Feuer von ihm abließ, und er fragte sich, was ihn in der Ferne erwarte, dass sogar das Inferno davor zurückwich. Ehrfürchtig und langsam schreitend machte er sich auf den Weg.
Seine Vermutung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Sehr weit vorausschauend nahm er ein schwaches Leuchten war. Das Feuer konnte es nicht sein, da war er sich sicher. Aber was sollte es sonst sein? War es vielleicht doch nur eine Falle? Seine Gedanken kreisten immer wieder über die gleichen Fragen. Wenn er sich traute dort hinzugehen, würde er es erfahren. Doch seine Angst hielt ihn zurück. Also wartete er eine geraume Zeit und betrachtete es nur aus sicherer Entfernung, aber voller Neugierde. So etwas hatte er in dieser Welt nie gesehen, selbst wenn er, dank dem Feuer, sehr weit herum gekommen war!
Über seinen wieder gefundenen Humor konnte er sich jedenfalls freuen, auch wenn dieser schwarz war.
Er zögerte noch ein wenig, doch die Gier nach etwas Neuem in dieser finsteren Welt gab ihm seinen Mut zurück. Langsam schlich er sich heran. Umso näher er kam, desto deutlicher wurde das Bild. Er sah, dass es ein auf dem Boden voll Asche und Staub bedecktes, auf der Seite liegendes, in sich verkrümmtes, leuchtendes Wesen war. Er erkannte eine weibliche Figur, doch ihr Gesicht konnte er nicht sehen. Sie hielt es mit ihren Händen bedeckt. Er beugte sich über sie und hörte ein leises Wimmern.
Vorsichtig versuchte er, ihre Hände beiseite zu schieben. Da erschrak das Wesen, das erst jetzt bemerkte, nicht allein zu sein. Sie versuchte aufzustehen, um zu fliehen, doch ihr Körper war zu schwach.
Sie fiel wieder auf den Rücken und probierte krampfhaft mit ihren Händen und Füßen, in der Asche wühlend, wegzukriechen, während sie ihr Gegenüber zu fixieren versuchte.
Doch ohne Erfolg. Sie konnte ihn nicht sehen. Ihre Augen waren dieser Dunkelheit nicht gewachsen.
Auch Michel bemerkte dies. Er hatte keine Mühe, sich ihr Gesicht anzuschauen.
Er begann sie zu umschleichen wie ein Tier seine Beute und doch wollte er ihr nichts tun. In ihrer Verzweiflung griff sie mit ihren Händen in die warme Asche und warf sie in die Richtung, in der sie ihn zu hören glaubte. Michel, der keine Mühe hatte auszuweichen, gefiel dieses Spiel. War es etwa das Gefühl der Macht, zu spüren, über jemanden zu herrschen und nicht, an das Feuer denkend umgekehrt? Vielleicht ein wenig, aber was ihn am meisten bewegte, war die Frage, woher sie wohl kam!
Was hatte sie hier verloren? Oder war es gerade sie, die von irgendwoher sich hierher verirrte? Er beschloss, sie zu fragen, doch sie antwortete ihm nicht. Im Prinzip war es Michel egal, ob sich Ihre Königliche Hoheit, so nannte er sie, weil sie nicht mit ihm reden wollte, mit ihm unterhielte oder nicht. Er hatte endlich einen Weg gefunden sich vor dem quälenden Feuer zu schützen. In ihrer Nähe konnte es ihm nichts anhaben. Schließlich hatte es von ihm abgelassen. Und da sie noch nicht einmal aus eigener Kraft fliehen konnte, entschied er, mit verschränkten Armen hinter seinem Kopf, sich auf die warme Asche zu legen und dabei über seine Schmerzen, so gut es ging, hinwegzusehen, um zumindest ein wenig zu ruhen, während seine Augen in den dunklen Himmel blickten und er ihn, mit Hilfe seiner Erinnerung vor seinem geistigen Auge blau schmückte und einige sanfte weiße Wolken vorbeiziehen sah.
Nach einer Weile erschrak er. Er hatte das Gefühl, irgendetwas gehört zu haben. Er stand auf, um es besser lokalisieren zu können. Die Möglichkeit, dass es etwas anderes als das Feuer sein konnte, war ausgeschlossen.
Als er erkannte, aus welcher Richtung das Geräusch kam, konnte er es sehen. Es war das Feuer, das diesmal sehr langsam auf ihn zukam. Er schritt einige Meter zurück, um noch näher an dem auf den Boden liegenden Wesen zu stehen, und bemerkte gleichzeitig, dass ihr Körper anfing intensiver zu leuchten.
Er versuchte sich diesen Zusammenhang zu erklären. Doch die Sorge vor dem heranschleichenden Feuer war größer, als nach einer Antwort zu suchen.
Und dann war es da: Ein riesiger Feuerball bäumte sich vor ihm auf!
Jeden einzelnen Muskel in seinem Körper anspannend und wie versteinert stehend, brannte es unmittelbar vor seinem sich schnell auf und ab bewegendem Brustkorb. Seine Augen von der Hitze zukneifend und mit dem Wissen, dass sein Körper gleich wieder brennen würde, stand er regungslos vor dem Flammenmeer.
Doch dass Feuer verschlang ihn nicht.
In seiner Lähmung und der brennenden Hitze vor ihm, neigte Michel fast unmerklich langsam seinen Kopf zur Seite und bemerkte, dass das Wesen ihn im Lichte des Feuers nun sehen konnte. Als ob sie nie zuvor so etwas wie ihn gesehen hätte, blickte sie ihn mitfühlend an, bis das Feuer sich langsam wieder zurückzog.
Die Dunkelheit kehrte wieder ein. Michel fiel, von diesem Schrecken erschöpft, auf die Asche. Auch das Leuchten ihres Körpers wurde wieder schwächer. Er hatte sogar den Eindruck, dass es jetzt schwächer schien als zu dem Zeitpunkt, an dem er sie das erste Mal sah. Wieder einmal verstand er den Zusammenhang nicht.
Doch zu erschöpft darüber nachzudenken, schloss er seine Augen und erlebte zum ersten Mal den wohligen Zustand, des Dahingleitens. Was für ein Genuss, dachte er sich. Erst nach einer langen Weile drehte er sich auf den Bauch, damit er sie, auf der warmen Asche liegend, sein Kinn auf seine Hände stützend, besser betrachten konnte.
Ihre wundervolle, jetzt immer weniger leuchtende reine Haut und ihr leicht gelocktes goldfarbenes Haar, das sie sich gelegentlich aus ihrem Gesicht strich, fand er atemberaubend. Sie musste etwas ganz Besonderes sein.
Er fing an, die Zeit, die er mit ihr verbrachte, zu genießen, auch wenn sich von nun an, in regelmäßigen Abständen, immer wieder die gleiche Szene mit dem Feuer abspielte, das ihm zu verstehen gab, ihn nicht vergessen zu haben. Doch er fürchtete sich nicht mehr so wie anfangs, schließlich war sie ja da, die ihn wie auch immer davor beschützte.
Und zur Freude Michels wurden die Abstände, in der das Feuer wiederkehrte, immer größer, so dass er noch einmal die Gelegenheit nutzte, um einen weiteren Konversationsversuch zu starten. Doch auch dieser scheiterte. Sie antwortete ihm wieder nicht. Vielleicht konnte sie gar nicht, denn ihr Zustands verschlechterte sich zusehend. Michel fing an, sich Sorgen zu machen. Ihr leuchtender Körper schien bald zu erlöschen. Auch ihre Kräfte verließen sie mehr und mehr. Michel stand auf und lief umher. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte sie nicht verlieren und außerdem würde ihn das Feuer dann wieder holen. In seiner Verzweiflung beugte er sich vor ihr nieder: Wenn Du mir sagst, wo du herkommst, oder wo es einen Ausgang aus dieser schrecklichen Welt gibt, würde ich dich mitnehmen und dich danach auch gehen lassen!"
Mit ihrer letzten Kraft, traurig den Kopf schüttelnd, sprach sie zum ersten Mal zu ihm: Du kannst mit mir nicht handeln! Erschöpft brach sie in sich zusammen.