Das schlechte Gewissen

Stephan schrieb:
P.S. Was machste eigentlich mit den ganzen sich ansammelnden "Web-miles"? :D

Was für Web-Miles? Äh? Wie kommst du da drauf?

Ich hab da mal gelesen, das manche Menschen kein Gewissen haben(sprich unrechtsbewusstsein) weil im Gehirn eine Störung vorliegt( kein abwerten - wusste jetzt nicht wie ich das anders formulieren sollte). Jedenfalls ist die Empfindung eines "schlechten" Gewissens blockiert.
 
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@JimmyVoice
ah ja, das ist etwas neues für mich, mit der gehirn-störung. danke.

sollte ein kleiner Scherz sein, mit den "web-miles" - und bezog sich auf deinen niemalsrastenden Avatar...

Liebe Grüße, Stephan
 
Hallo Jake,

Gewissen ist das Bewusstwerden von Ordnung. Wir haben ein "gutes" Gewissen, wenn die Dinge in Ordnung sind - bzw. genauer: wenn wir mit den Dingen in "guter" Ordnung sind, und ein "schlechtes" Gewissen, wenn es nicht so ist. Wenn wir selbst wissend schuldig geworden sind, wissen wir in der Regel auch ganz gut, an wem wir wodurch schuldig geworden sind - dann plagt uns ein schlechtes Gewissen, bis die Schuld ausgeglichen ist.
Es gibt auch ein systemisches Gewissen, es gibt Übernahme fremder Schuld(en) im System, dann drückt das Gewissen, ohne dass wir spüren, worum es eigentlich geht - da kann die systemische Arbeit sowohl Einsicht als auch Angebote bringen, wie solche übernommene Schuld mit Achtung und Eintreten in die eigene Verantwortung zurückgegeben bzw. ausgeglichen werden kann.

Dem kann ich aus ganzem Herzen zustimmen.
Ich denke, hier geht es den meisten um das Gefühl der Schuld, ohne tatsächlich schuldig zu sein. Da bin ich eben auch am sortieren. Musste ich mich meinen Eltern gegenüber schuldig fühlen, weil ich andere Dinge für mich anstrebte als sie für mich für gut befanden? Heute denke ich "nein", aber damals haben sie mir vorgemacht, wie sie unter meinem "schlechten Benehmen" leiden, wie undankbar mein selbstsüchtiges Verhalten sei etc. - ich fühlte mich schuldig. Ich habe gemacht, wonach mir war und hatte dabei ein schlechtes Gewissen, weil ich wusste, dass meine Eltern es nicht gutheißen würden. Das hat auch mir wieder die Freude genommen. Ein Teufelskreis und ein Verhaltensmuster, das schwer abzulegen ist.

Ich kann mich auch ehrlich schuldig fühlen, wenn ich durch mein Verhalten etwas bewirkt habe, was ich nicht hätte tun sollen. Es ist aber meine Entscheidung und ich kann damit umgehen. Dann kann ich auch um Verzeihung bitten und sagen, dass mir etwas wirklich leid tut. Früher habe ich gesagt, es tut mir leid, weil es zu dem Spiel dazu gehörte und ich dadurch wieder meine Ruhe hatte. Es war aber in mir selbst noch lange nicht in Ordnung.

Das habe ich jetzt aufgearbeitet. Ich weiß, dass meine Schuldgefühle von damals Gründe hatten und dass ich nicht schuldig war.

Mein Psychologe meint, ich könnte mich schlecht an Regeln halten, weil es keine Konkreten Vorgaben gab. Strenge Erziehung heißt nicht gleich klare Regeln. Ich hatte immer Probleme mit Ordnung. Regeln übertrete ich bis heute ganz bewusst, wenn es möglich ist. Ich schnalle mich im Auto nicht an, verzögere Rechnungen, komme zu spät, kleide mich manchmal unpassend, ziehe Schlumperluck oder Gala an, ganz wie mir ist. Ich lasse meine Haustür unverschlossen und da gäbe es noch vieles. Ich weiß nicht wirklich warum, ich mache es einfach, weil ich es will. Aber auch hier schaffe ich noch Ordnung.
Je mehr ich in meinem Leben sortiert kriege, an Lebensbereichen, desto mehr Ordnung ich schaffe, in meinem Denken und in meinem Tun, desto selbstsicherer werde ich gegenüber den Forderungen anderer, die ich nicht erfüllen will. Es ist toll.

Viele Grüße
Andrea
 
Jake schrieb:
Schuldgefühle sind Schuld, die sich nicht zuordnen lässt. Das kann individuelle Schuld sein, die wir - aus welchen Gründen auch immer - verdrängt haben und für die wir keine Zusammenhänge mehr sehen, das kann systemisch übernommene Schuld sein, die unserem forschenden Bewusstsein nicht zugänglich ist.

Lieber Jake, dies bestätigt sich sicherlich hier:

Erfahrungen aus letzter Zeit

Allerdings kenne ich acuh Fälle, in denen übermäßiges Schuldgefühl gerade das Sich-Nicht-Stellen einer persönlichen Schuld ausmachten. Die großen Schuldgefühle (und deren ständige Beteuerung) waren da der Versuch, etwas Schlimmes, das die Person selbst zu verantworten hatte, ungeschehen zu machen. Es war eine Art "Sühne". und Sühne ist immer der Versuch, etwas in gewisser Weise ungeschehen zu machen; manchmal etwas, das nicht auszugleichen ist (z.B. eine Tötung).

Zudem zu diesem Thema einige interessante Ausschnitte aus:

"Gabriele Heise im Gespräch mit Bert Hellinger
Ein Interview im Rahmen der Reihe NDR TALK auf VIER vom 14./15.Oktober 2001 ":

Hellinger schrieb:
Die wesentliche Einsicht überhaupt war, dass ich erkannt habe, dass das, was wir als unser Persönlichstes ansehen, nämlich unser Gewissen, ein Instinkt ist, der einem ganz bestimmten Ziel dient, nämlich uns in der Gruppe zu halten. Wir haben ein schlechtes Gewissen, wenn wir etwas tun, was die Zugehörigkeit zu unserer Gruppe gefährdet, und wir haben ein gutes Gewissen, wenn wir wissen, ich habe das Recht auf Zugehörigkeit bewahrt, weil ich mich so verhalte, wie es meine Gruppe von mir fordert. Also, das Gewissen ist ein Gewissen für die Gruppe. Es zwingt uns, uns an diese Gruppe anzupassen.

Hellinger schrieb:
Das Gewissen bindet uns an die Gruppe, zu der wir gehören, mit allem, was dazugehört. Ein Moslem wird in seine Gruppe gebunden als ein Moslem. Ein Mitglied einer Mafiafamilie, der wird an seine Gruppe gebunden, wenn er Verbrechen begeht. Er begeht sie also mit gutem Gewissen. Wenn er das nicht macht, hat er ein schlechtes Gewissen. In einer christlichen Familie gelten wieder ganz andere Gesetze. Also, das Gewissen unterscheidet sich von Gruppe zu Gruppe. Es ist keine übergeordnete Instanz, auf die wir uns immer verlassen können, sondern es zeigt nur, was wir tun müssen, damit wir dazugehören. Deswegen haben die Täter sich in ihrer Gruppe oft unschuldig gefühlt, genauso wie die Opfer in ihrer Gruppe sich unschuldig gefühlt haben.
Beide waren in ihrer Weise moralisch, so schlimm das klingt. Unmoralisch ist für uns nur das, was von den Werten unserer Familie abweicht. Es hat aber keine allgemeine Gültigkeit. So erklärt sich, dass wir durch das Gewissen an unsere Gruppe auf ganz besondere Weise gebunden werden mit allen möglichen Einschränkungen, zum Guten und zum Schlimmen zugleich. Denn dieses gleiche Gewissen, das uns an unsere Gruppe bindet, trennt uns von einer anderen Gruppe.

Hellinger schrieb:
Nur wer über dieses Gewissen hinauswachsen kann, kann sich auch einer größeren Gruppe anschließen und kann die Werte anderer Gruppen als gleich-gültig anerkennen.

Hellinger schrieb:
Die Gewissenhaften sind nicht friedensfähig, sie spalten. Durch dieses Gewissen kommt der Krieg in die Welt. All diese fanatisierten Gruppen sind ja äußerst gewissenhaft. Gerade in dieser äußersten Gewissenhaftigkeit verüben sie ihre Verbrechen völlig herzlos.

Viele Grüße
Christoph
 
Christoph schrieb:
Die großen Schuldgefühle (und deren ständige Beteuerung) waren da der Versuch, etwas Schlimmes, das die Person selbst zu verantworten hatte, ungeschehen zu machen. Es war eine Art "Sühne". und Sühne ist immer der Versuch, etwas in gewisser Weise ungeschehen zu machen; manchmal etwas, das nicht auszugleichen ist (z.B. eine Tötung)
Hi jake, hi Christoph,
ich schätze Eure beiträge sehr, ich habe auch im Archiv des Forums das eine oder andere dazu schon durchgeforstet von euch.
Aber etwas, das ich weder dort, noch bei Hellinger bislang (hab ja nur einen bruchteil gelesen bisher) gefunden habe und ebensowenig in euren beiträgen jetzt ist der Umgang mit nicht direkt auzugleichender persönlicher Schuld.
Man übernimmt die Verantwortung, für das was man (sich und) anderen (an)getan hat, ja? Hm, aber was heißt das konkret? Wenn du, sagen wir mal, jemanden um Jahre seines Lebens "betrogen" hast, oder ihn "angeschmiert hast", indem du eine Beziehung zu lange hast weiterlaufen lassen, hinter der du nicht (mehr) gestanden hast, wie gleichst du das aus? Wie äußert sich da "verantwortung übernehmen"? (Von Mord ganz zu schweigen...)
Vielleicht stehe ich auch nur auf der Leitung, aber ich sehe nicht, wie das praktisch vor sich gehen soll? Und meine Schuldgefühle sind nicht verdrängte Schuld, oder nicht zuordenbare - in meinem Verständnis jedenfalls -es ist schlicht nicht ausgeglichene Schuld.
Und nun?

Liebe Grüße, Stephan
 
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Stephan schrieb:
Hi evy, ich sehe gerade, ich habe mich blöde ausgedrückt, entschuldige bitte.

Mir "wahrscheinlich tut es nicht einmal der" meinte ich: wahrscheinlich löst noch nicht einmal der Sprung vom Hochhaus das Problem (für den Springenden).

Liebe Grüße, Stephan

oh... :o ....das war dann ein Missverständnis von beiden Seiten....
na macht ja nix, ist jetzt geklärt....so bleibt wenigsten die Diskussion im Fluss, auch gut - oder?
Bis zum Nächstenmal
evy :)
 
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