Hallo Werdender!
Du meinst also, ich soll mich mehr öffnen? Was soll das bringen? Wem bringt es was?
LG Nica
Ich sehe: Du fühlst hier
Dich selbst angesprochen...
In diesem Zusammenhang fällt mir etwas zur nahezu lebenslangen Ehe zwischen meinen Großeltern ein - sie waren 58 Jahre lang verheiratet. Als meine Oma noch sehr jung war - so mitte/ende der 20er -, brachte sie ihren sonst langmütigen und besonnenen Mann bei einem Streit mit einem bestimmten Satz regelmäßig auf die Palme: "So bin ich nun mal, find' dich damit ab!" - Diese Aussage war für Opa ein unmissverständlicher Hinweis:
Ich werde mich
Deinetwegen nicht ändern! Wenn wir zusammenbleiben sollen, hast
Du Dich
Mir anzupassen! - Demgemäß hat Oma auch, wenn ihr an Opa irgend eine Angewohnheit oder Charakteräußerung störte, ihn sehr oft mit Gewalt "zurechtbiegen" wollen und ihm abzunötigen versucht, "etwas sensibler" und "entgegenkommender" zu sein. - Also: Oma brauchte Opa gegenüber
nicht sensibler und entgegenkommender zu sein; sie konnte es nicht, weil sie es nicht
wollte; ihr Egoismus tönte selbstgerecht: So
bin ich nun mal, basta! - Natürlich musste auch Großvater lernen, üble Gewohnheiten abzulegen; aber hier war er - darüber ist sich das Gros der Familie und des Bekanntenkreises einig - derjenige, der immer als
erster daran arbeitete, seine Lasterhaftigkeiten in Tugenden umzuschmieden.
Nun aber es gab etwas, was ihre Ehe, so turbulent sie in der ersten Hälfte auch war, wie ein geheimes Band zusammenhielt und was im Lauf der Zeit mehr und mehr hervortrat: Ihre innige tiefe
Liebe zueinander. Und diese Liebe schließlich bewog meine Oma dazu, ihre selbstsüchtige Sturköpfigkeit nach und nach in Selbstkritik und Opferbereitschaft zu verwandeln und sich auf ihren Mann empathisch einzulassen, sein Wesen zu verstehen und ihn auch mit seinen weniger sympathischen Eigenheiten zuletzt als besonders liebenswert zu empfinden.
Von diesem Blickwinkel aus betrachtet können wir gut nachvollziehen, weshalb moderne Ehen bereits nach wenigen Jahren oder gar Monaten wiederum zerbrechen, eben, weil es an der Bereitschaft zur
Empathie mangelt, weil (oftmals) beide Seiten all zu sehr auf ihre
eigenen Bedürfnisse und Wünsche fixiert sind. Das hehre Bekenntnis "Ich liebe dich" des einen Partners dem anderen gegenüber ist leider meist nicht anders zu verstehen als die Bestätigung, dass er ihm genehm ist, weil er sich ihm fügt, seine Bedürfnisse befriedigt, seine Wünsche erfüllt - und im Übrigen ihm voll und ganz seine persönlichen Freiräume gewährt. Demgemäß gilt für die
negativen Formen jener Aussage - "Ich liebe Dich nicht (mehr!)"/"Ich
hasse Dich" etc. - das diesen Entsprechende... -
Sowohl das
gemeinsame Glück in der Partnerschaft als auch das Glück des Einzelnen hängt entscheidend vom harmonischen Wechsel selbstlosen Schenkens und dankbaren Empfangens ab. Dazu gehört auch der Mut, wohlwollend berechtigte Kritik sowohl auszuüben als auch entgegenzunehmen und daraus zu lernen, sich in der Bescheidenheit des freiwilligen Verzichts zu üben, wenn es
allein für den Partner/ für den anderen von Vorteil ist, und in Krisenzeiten konsequent füreinander da zu sein. -
Das zumindest ist
meine persönliche Lebenserfahrung.
Herzlichen Gruß!
Werdender