CO(S)MIC DREAMS oder KO(S)MISCHE TRÄUME

Buddhi ist zu Hause. Unter dem Boddhibaum. Sie schweigt. Sie lächelt. Keine Gedanken mehr. Bäume denken auch nicht. Sie haben nichts zu denken. Die Glücklichen. Uns Menschen (Menschenwesen) wurde etwas eingepflanzt, mit dem wir scheinbar denken müssen, dabei ist es bloß ein Sender, der nur empfängt, was wir zu denken, zu sagen und zu tun haben. Was ist es, das uns einredet, dass wir einen freien Willen haben? Buddhi schaltet die Schaltzentrale ab. Jetzt hat sie ihren freien Willen. Den freien Willen ganz abzuschalten.

Mirjam hat auch abgeschaltet. Auf eine andere Art. „Ihr könnt mich alle!“ ruft sie und wankt splitternackt auf die Gasse vor ihrer alten Holzhütte, die so lange ihr Heim und das ihrer Zwillinge war. Nun aber sieht die Hütte aus wie Mirjam. Morsch, undicht und alt. „Geht scheißen alle miteinander!“ schreit sie und fällt zu Boden. „Ohne euch wäre die Welt eine bessere“, wird ihr Gekreische leiser. „Ihr nutzlosen Götter, macht eine Welt ohne Menschenwesen oder wenigstens mit Menschenwesen ohne Hirn“, haucht sie und haucht damit auch ihren letzten Atemzug aus.

Menschen ohne Hirn scheint es zu Genüge zu geben – bin ich versucht zu schreiben und tu es hiermit auch. Es geht nicht alleine ums Hirn und das, was es unsichtbar und scheinbar erzeugt, nämlich Bewusstsein und die Fähigkeit bewusst wahrzunehmen. Es geht um das Dahinter.



„Ich bin das Dahinter“, flüstert Gitta.

„So kann man es auch nennen. Gut!“ lobt Gevatter Tod, der mehrmals abgelenkt ist. Zum Beispiel, als er Mirjam behutsam auf das Schiff hebt und sie mit dem alten Mann und dem kleinen Michel an die andere Seite des stillen Meeres bringt. Man kann sich ja denken (!), dass Tod multidimensional ist und zur selben Zeit gleichzeitig an allen möglichen Orten sein kann.

„Und jetzt?“ fragt Gitta und sieht sich auf dem Pooldeck um, auf dem sich nur sie und Gevatter Tod befinden.

„Was immer du wünscht“, meint Tod galant und betont es mit eine einladenden Handbewegung.

„Ich will mein Selbst erkennen.“

„Es gibt kein Selbst.“

„Ich dachte, das sei das Dahinter, das, was befielt, was ich denke, sage und tue.“

„Oh, nein! Im Grunde genommen bist es schon du – dieses Ich, das nie zufrieden ist und ständig aufbegehrt. Andererseits bist du es auch wieder nicht.“

Tod scheint zu überlegen, dann spricht er weiter: „Was sagst du dazu, wenn ich dir sage, dass es zwei verschiedene Ich gibt? Nein, nein, du brauchst nicht zu antworten. Aber überlege einmal. Das Ich, als das du dich dein ganzes Leben wahrgenommen hat, hatte immer etwas oder jemanden gegenüber. Du gegen die ganze Welt. Richtig? Ja, schön, dass du nur nickst. Manchmal gab es in deinem Leben auch ein Wir, wenn du an deine große Familie denkst. Es war ein Zusammensein, etwas ganz anderes als das einsame Ich, das sich mitunter sogar bedroht fühlte. Das Wir, von dem ich spreche, ist nicht nur das was du wahrnimmst, es ist viel mehr alles was ist.“

Tod macht eine kleine Pause und scheint wieder zu überlegen, während Gitta genau zuhört und sich bereits wie in einem Traum fühlt, in dem sie das, was Tod sagt, beinahe erlebt.

„Ich sagte schon, deine Mutter konnte ihre Gedanken fast ganz abschalten. In diesen Momenten erkannte sie dieses Wir. Ich sagte auch, hätte sie ihre Gedanken fast abgeschaltet, wäre sie nicht mehr bei euch gewesen. Deine Mutter blieb beim Wir hängen. Es gibt nämlich ein zweites Ich, wie ich dir bereits sagte. Es ist das Ich, welches das Wir mit einschließt.“

„Eine Blume ist eine Blume ist eine Blume“, haucht Gitta.

„Ja, genau! Blumen erkennen sich ganz genau. Bäume übrigens auch, weshalb es mich wundert, warum manche so alt werden. Vielleicht bringen sie den anderen Lebewesen Glück oder lösen so was wie Glücksgefühle aus“, sinniert Tod und erhebt sich würdevoll.

„Und jetzt?“ fragt Gitta abermals und erhebt sich ebenfalls, aber nicht so würdevoll wie Tod.

„Deine Wünsche, werte Lady“, haucht Tod freundlich.

„Ich weiß nicht, was ich mir wünschen soll. Vielleicht, dass ich mein zweites Ich erkenne?“

Gevatter Tod lacht laut und schaurig auf. Das Schaurige liegt am Echo, da es von allen Seiten widerhallt.

„Tust du das denn? Oder ist es, weil ich es dir sagte?“

„Du hast schon recht. Ich muss es selbst erkennen. Sagte meine Mutter auch immer.“

„Sie war schon eine sehr kluge Frau, deine Mutter.“

„War“, seufzt Gitta und spürt einen Schmerz in der Brust.

„Nicht traurig sein, kleine Gitta. Schau nur, wer dich dort drüben am Ufer an diesem herrlichen Sandstrand, unter Palmen, vor dem niedlichen Strandhaus, auf der Terrasse erwartet.“

Gitta traut ihren Augen nicht. Es ist, wie Tod sagte. Kitschiger geht es nicht mehr. Da hockt wirklich Buddhi in einem Strandkorb, auf einer herrlichen Terrasse, unter Palmen, am Sandstrand und winkt ihrer Tochter zu, als wäre nichts gewesen. Und als wäre nichts gewesen, liegen sich Mutter und Tochter lachend und weinend in den Armen.

Von Tod und dem Kreuzfahrtschiff, das eigentlich ein Segelschiff ist, ist nichts mehr zu sehen. Tod erfüllt Herzenswünsche. Man muss nicht über seine wahren Wünsche nachdenken.


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Aber was lenkt uns? Wir selbst? Das Selbst, das es nicht gibt? Werden wir es je erfahren, oder ergeht es uns wie dem Blauen, der am Ufer vergeblich auf das Segelschiff wartete, das Gitta abgeholt hat? Er hockte sich ans Ufer und hörte noch ganz leise die sanften Wellen, als das Schiff ablegte. Er sah sie auch. Und er roch das Meer, die Felsen hinter sich und den geringen Graswuchs. Er spürte den Boden unter sich, auf dem er saß und die Beine kreuzte. Der Blaue wurde müde. Sehr müde. Die Suche nach Tod, der weite Weg hat ihn erschöpft. Das spürte er jetzt.

Nach einer Weile wurde es still um ihn. Ganz still. Die Gegend um ihn herum wurde verschwommen, bis sie fast ganz verschwand und nur mehr dunkle Umrisse zu erkennen waren. Dann war ihm, als würde seine Nase nichts mehr riechen können. Die Luft wurde dünn und ihm schwanden die letzten Sinne. Er befand sich irgendwie in einem Nichts, in dem ab und zu etwas auftauchte. Etwas, das nicht wirklich zu beschreiben ist. Gedankenfetzen. Hirngespinste. Und teilweise Erinnerungen. An sein bescheidenes Leben. An seine Mutter. An sich selbst.

Der Blaue schwebte durch Nebelschwaden, bis er erkannte, dass die Nebelschwaden seine Gedanken sind. Das, was er wahrnahm, kam aus ihm selbst. Aus dem Nichts entstand nichts. Und der Blaue? Er löste sich auf. Wurde zu dem, was er schon immer war. Reiner Geist. Rein und unverwundbar. Ganz ohne Schnickschnack. Unspektakulär. Passend für einen, der einst ein zu Fleisch gewordener Gott war.



Ich glaube, so einfach wird es uns nicht ergehen. Dann schon eher so wie Gitta und ihre Mutter Buddhi (Buddha, um klar zu stellen, war kein zu Fleisch gewordener Gott, der war nur ein Prinz)? Sie sind nicht ganz Geist. Aber feinstofflicher als früher, als sie noch in ihren Träumen herum tapsten.

Das Leben am Strand sagt ihnen zu. Sie haben nichts zu tun, als nur zu genießen. Der Genuss, - Buddhis Traum und auch Gittas Traum, sonst wären sie nicht zusammen. Mutter und Tochter. Normalerweise ein Alptraum. Konkurrenzdenken bis zum Geht-nicht-mehr. Und niemals will eine Tochter wie die Mutter aussehen. Es sei denn, die Mutter ist Model. Und vielleicht dann erst gar nicht. Bei Vater und Sohn ist es ähnlich. Zumindest war es mal so. Wie es heute ist? Wahrscheinlich genauso. Was soll sich auch ändern?

Ständig stehen Lieblingsspeisen auf dem gedeckten Tisch und natürlich auch Lieblingsgetränke. Das Wetter ist immer herrlich sonnig und warm. Und auch Kleidung gibt es massenhaft in den Schränken, die sich im Strandhaus befinden, obwohl Buddhi noch immer an ihren orange- bis rotfarbenen Saris hängt.



„Was hältst du davon, wenn wir das Land ein wenig erkunden?“ fragt Buddhi eines Tages (obwohl meistens Tag ist, außer eine der beiden will mal Schlaf genießen).

„Ja, warum nicht? Sollen wir Vorrat mitnehmen?“ fragt Gitta.

„Brauchen wir sicher nicht. Anscheinend sind wir ja tot“, meint Buddhi, wie immer lächelnd.

So marschieren sie durch einen Palmenwald, bis sie zu einer hügeligen Landschaft kommen. Da sind Obstbäume aller Art, weite Felder mit allen möglichen Gemüse und einige Menschenwesen, die die Arbeit dort sichtlich genießen, denn sie singen und tanzen dabei.

Buddhi und Gitta gehen weiter und kommen in eine kleine, feine Stadt, die wie aus einem Märchenbuch aussieht. Überall ist Blumenschmuck, an den Fenstern, an den Gehsteigen, an den Brunnen, die in Hinterhöfen für Wasser der gesamten Stadt sorgen und in kleinen, angelegten Parks, in denen gemütliche Bänke stehen, auf denen man gerne verweilen mag.

Aber Buddhi und Gitta gehen weiter bis zu einer Art Vergnügungszentrum, wo immer was los ist. Ein schier endloser Park und noch prunkvoller der Blumenschmuck. Zauberkunststücke werden in den einzelnen Pavillons vorgeführt, in manchen spielen Livebands und in manchen kann man einfach nur sitzen, Kleinigkeiten zum Essen oder Trinken genießen und sich vielleicht aus den Regalen, die in manchen Pavillons stehen, ein Buch nehmen und darin schmökern.



„Und jetzt?“ fragt Gitta.


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„Jetzt sehen wir einer Mörderin (?) und Diebin beim Sterben zu“, sagt der hübsche Jüngling mit dem schwarzen Zylinder auf dem Kopf.

„You can leave your hat on“, ertönt der Song aus einem der Pavillons, denn der hübsche Jüngling trägt sonst nichts auf dem Kopf. Sollte ich mich schämen für derartige Phantasien? Mitnichten, denn Arima tut es für Mirjam, für eine alte Frau, der rein gar nichts vom Leben geschenkt wurde. Also sollte sie wenigstens in den letzten Sekunden ihres Lebens einen netten Anblick auskosten dürfen.



Wie war das damals mit Kim? Wie viele Menschen riefen ihn in ihrer letzten Stunde an wie einen Gott? Tausende! Mehrere Tausende! „Macht mich nicht zu einem lebenden Gott der Toten!“ rief er ihnen via TV zu, als er, der größte (auch in Zentimetern!) aller Rockstars, sein letztes Interview gab. Aber sie machten ihn zu einem Gott, der den Sterbenden beisteht. Denn Kim fühlte den Tod und die Sehnsucht der sterbenden Menschen. „Ich kann mich nicht zerreißen“, klagte er, da sie ihn gleichzeitig an unterschiedliche Orte riefen.

Das nenne ich mal Sensibilität! Kim fühlte Menschen auf hunderte, ja tausend Kilometer, wenn sie inbrünstig an ihn dachten und sich ihn herbei wünschten. Aber so sind sie nun mal, die Leuchtenden Wesen, wo ich mir nicht mehr so sicher bin, ob sie wirklich eine Weiterentwicklung der Menschen sind.



Die alte Frau, ausgezehrt, faltig, grau und sehr, sehr müde blickt liegend auf ihrem spärlichen Lager auf die Holzbalken nach oben. Die einfache Holzhütte. Ihr kleines, aber ihr eigenes Heim, das ihr nie jemand streitig machte. Irgendwo in der Einöde auf dem Land, wo sich Fuchs und Hase tatsächlich gute Nacht sagen. Arima steht in der Tür, mit nichts als dem Zylinder am Kopf. Und er lächelt sein schönstes Lächeln, das alles schmelzen lässt.

„Endlich“, seufzt Mirjam, als sie ihre müden Augen mühsam auf den Schönsten der Schönen lenkt. „Aber warum erst jetzt? Warum kamst du nicht in meiner Jugend?“



Das erinnert mich an das letzte Einhorn, als es zu Molly Grue kommt, die ebenso jammert: „Warum erst jetzt?“ Auch Maria erinnerte das letzte Einhorn an Kim oder Kim an das letzte Einhorn. Unschuldig, rein, ohne falsche Gedanken und vor allem die bedingungslose Liebe selbst.



„Ich war immer bei dir“, ertönt die wohlklingende, alles sanft einhüllende Stimme. „Von Anfang an bis jetzt. Auch jetzt begleite ich dich auf deinem letzten Weg. Sieh zu, dein Sohn hat es bereits geschafft. Wenn dein Geist so rein bleibt, wie er immer war, schaffst du es auch.“



Was?! Höre ich richtig?! Eine Mörderin und Diebin mit einem reinen Geist?! Kann nicht sein! Oder doch, wenn es ja nur auf sich selbst ankommt? Wie stehe ich zu mir? Und wieder Kim: „Steh dazu, dass du ein Arschloch bist.“ Die Ehrlichkeit zu sich selbst. Die Authentizität und nicht das Wie-man-sein-soll oder gar muss. Ein gefährlicher Gedanke und doch ist er wahr.

Man darf nicht allzu genau nachdenken, denn es erhebt sich ja die Frage nach dem freien Willen, die meistens verneint wurde. Wir sind Hampelmänner eines anderen Ichs, das das weltliche Ich bloß träumt. Und wenn das weltliche Ich zu sich steht und sich nicht von weltlichen Belangen und So-sein-zu-müssen, egal, worum es geht, ist das voll okay.



„Verurteile keine Krankheit, keinen Unfall, keinen Mörder, denn der Tod kommt immer zu rechten Zeit am rechten Ort“, sagte Kim damals und jetzt als Arima (Doppelwesen) sagt er es ebenso und nimmt die zarte, kleine (man schrumpft mächtig mit dem Alter!) Frau in seine Arme und schwebt mit ihr aus der Hütte in den roten Himmel. Die Sonne geht gerade unter und wieder erklingt ein wunderschöner Song (könnte Kims Stimme sein, wenn er als Frau erscheinen würde): „Oh, how I wish to go down with the sun...“



„Und jetzt?“ fragt Gitta.


 
Jetzt gibt es etwas für Logiker oder jene, die nicht glauben können (für mich!). Es kommt das Nichts nach dem Tod, obwohl das Gehirn einem vor dem Absoluten einiges vorspiegeln kann, wie etwa eine Reise auf einem Luxusdampfer, der im ewigen Paradies landet, oder einen Flug mit einem wunderschönen Jüngling in den Abendhimmel oder was auch immer. Wenn wir träumen, tut das Gehirn nichts anderes. Es verarbeitet das, was uns kümmert und vielleicht auch das, was wir uns wünschen.

Aber was ist wenn man hirntot ist? Wenn sich im Oberstübchen nichts mehr abspielt? Darum geht es gar nicht. Ich wollte nur auch eine logische Erklärung für derartiges Sterben, wie Buddhie und ihre Tochter Gitta es „erlebt“ haben. Wahrscheinlich ist da nichts, wenn man hirntot ist, oder es gibt etwas anderes als das Bewusstsein, was von so vielen gelobt und gepriesen wird, außer von mir und dem Kurs, der ebenso steif behauptet, dass es einen Unterschied zwischen Bewusstsein und Geist gibt.

Nochmal die leidigen Wiederholungen: Bewusstsein wird vom Gehirn erzeugt und alles was ist, ist Geist. Oder so. Man weiß, was ich meine. Oder? Weiß ich es auch?

Das Gehirn schafft die Welt und ist Sklave höherer Wesen. Das Gehirn als Empfänger und wir die Hampelmänner. Der Geist befreit uns von all dem, wenn wir loslassen. Alles loslassen.

Das jetzt war aber alles andere als für Logiker oder jene, die nicht glauben können...



„Und jetzt?“ fragt Gitta. „Was ist mit meinem Vater, mit Andre?“

„Um den kümmert sich Luzy“, antwortet Arima und deutet auf einen Pavillon, in dem gerade eine Liveband spielt und sich Luzy als Sänger anstrengt so zu sein wie Arima.

„Wer bist du, der du das sagen kannst?“ fragt Gitta und schaut ehrfürchtig zu dem Schönen hoch.



Es geht nicht mehr um Körperlichkeit, falls das noch jemand meinen möchte. Schönheit bedeutet hier etwas anderes, auch wenn sie stets weltlich beschrieben wird. Man muss umdenken. Herrlich athletischer Körper und schönes, fast mädchenhaftes Gesicht bedeutet hier absolut reiner und unverwundbarer Geist, auch wenn Arima und seine Welt noch immer mit Weltlichem zu tun hat. Der Park ist das wahre Paradies. Und Arima ist einer, der wartet. Kein Wächter mehr, sondern ein Wartender. Er wartet, bis sich alle einig sind und erkennen, dass alle Welten für Arsch sind und dass es nur eine wahre Welt geben kann, nämlich jene in der Quelle der Kraft, wo alles eins mit ihr ist und es nie Anfang oder Ende gegeben hat. (Genau das möchte ich glauben!)

Auch dieser Träumer, dieses Ich nach dem Wir (man erinnert sich an Tods Worte vom Ich, das zum Wir wird und wieder zum Ich, das jedoch vom Ich ersten grundverschieden ist), ist in und eins mit der Quelle, aber er/sie/es schläft und träumt einen Schwachsinn nach dem anderen, weil er/sie/es meint, es besser machen zu können als die Quelle. Geht nicht. Geht gar nicht. Und jetzt wartet Arima (was alle missverstanden haben – auch ich – und meinten, er sei derjenige, der diese Welten will), bis alle erkennen, in welch argem Schlamassel sie stecken. Sie? Der Träumer träumt Welten! Welten in denen Milliarden von Lebewesen existieren. Anders als in unseren gewöhnlichen Träumen, die sich unser Hirn und Gemüt ausdenken, besteht zwischen Träumer und Geträumten ein kleiner Unterschied. Beide existieren nicht wirklich, während wir nur unsere wirklichen Träume für unwirklich halten.



„Ich bin niemand, kleine Gitta, aber ich weiß, dass sich Luzy um deinen Vater kümmern wird, weil dein Vater Andre einer seiner Aspekte ist. Aber mach dir keinen Kopf deswegen. Es hat alles keine Bedeutung. Jede Erklärung, die man dir hier einreden will, - lass sie fahren.“

Lass auch jede Hoffnung fahren, wie es über dem Paradiestor stand – nein! - es war die Hölle, wie Dante einst schrieb. Dennoch, gut gesagt, Arima. Aber nun wirklich: Und jetzt?

„Jetzt warten wir“, sagt Arima und zwinkert der kleinen Gitta keck zu, denn schon wieder legen der alte Mann und der kleine Michel ihr Segelschiff an einer ganz bestimmten Stelle an, denn wir wollen es ja spannend und dass endlich auch mal Spannendes passiert. Oder?

Übrigens, Gevatter Tod ist nicht mehr an Bord. Er hat sich sein Pferdchen wieder geschnappt und sucht nach seinen drei Freunden, wo es dann heißt: Vier Freunde reiten durch das weite Land. Toller Westernfilmtitel. Oder?

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Nichts da! Es gibt keinen Westernfilm. Immer diese Schießerei. Und jedes Mal geht es ums Ego. Hat auch Freund Carlos (Castaneda) festgestellt, als er es aufgab, ins Kino zu gehen. In jedem Film das gleiche! Ego, Ego, Ego! Und die Jammerei, das Selbstmitleid, wenn es nicht nach dem eigenen Schädel geht. Geht doch nie nach dem eigenen Schädel. Also mal halb lang und kriegt euch wieder ein. Und haltet inne! Lasst sein, was ist. Cool man! Yeah!



Die Ebenen haben sich nicht verschoben, sie haben sich nur ein wenig geteilt – in oben und unten. Weil sich die so genannten Götter und Göttinnen verabschiedet haben. Arimas Reich ist oben. Der Kontinent „Park“ ist unterhalb. Dasselbe gilt für Pamas Landwirtschaft und Silas kleine, feine Stadt.



Dazu sei noch gesagt, dass sich die so genannten Götter und Göttinnen im neuen Universum gar nicht mehr so sehr einmischen wie im letzten. Im letzten Universum war es ja ein Graus, was sie mit allen Lebewesen anstellten. Das reinste Puppentheater! Und da sage noch einer, dass in 100 Jahren alles vorbei ist. Da kommt noch mehr! Das Puppentheater alleine wäre gar nicht so schlimm gewesen, wären da nicht die größeren Dinge und Elemente, wie etwa die Sonne, die ihren Geist aufgibt und bevor sie das tut, sich zu einem Riesen aufbläst, der alles um sich herum zu Asche werden lässt. Aber auch das ist nicht alles, denn die Galaxien kollidieren – eine nach der anderen, bis nichts mehr übrig ist als kleine Trümmer, die irgendwann verglühen. Dann ist da nichts mehr. Absolut nichts.

Und jetzt ein großer Tusch! Dieses Nichts ist alles. Dieses Nichts ist genau das, was sein soll. Man erinnert sich doch, oder? Geist braucht keinen Raum und keine Zeit. Geist ist immer und überall und vor allem rein und unverwundbar.



Aber bis dahin wird es auch im neuen Universum noch dauern, denn alle Ebenen werden plötzlich von einem gewaltigen Beben erschüttert. Es fällt nichts zusammen und auch den Lebewesen passiert nichts. Aber der Schock ist groß. So etwas hat es noch nie gegeben. Ein großer, schwarzer Stein fiel vom Himmel (!). Und genau in die Mitte von Arimas Park. Diese Größe lässt sich kaum beschreiben und auch dieses Schwarz nicht. Der rechteckige Stein (erinnert an den Monolith aus dem Film „2001 – Odyssee im Weltraum“) ist so breit, dass er den Park regelrecht teilt und ist so hoch, dass man sein Ende bis oben (und unten!) nicht sehen kann. Er ist fest. Fester als der Park und die Götter und Göttinnen.

Eine Tür erscheint im schwarzen (schwärzer als vantablack) Stein direkt vor Arima und Gitta. Die Tür öffnet sich. Sieht aus wie ein Lift. Genauso. Kleine Kabine mit Druckknöpfen, auf denen die Stockwerke nummeriert sind, in die man fahren will.

„Altmodisch“, meckert Gitta, „Unser Teleporter ist viel moderner. Und jetzt?“

Die Worte „und jetzt“ scheinen für Gitta zu einer Art nervösen Störung geworden zu sein, die sie meistens nach jedem zweiten Satz von sich gibt.

„Jetzt schauen wir mal, wohin uns dieses Ungetüm bringen will“, meint Arima und steigt in die Kabine. Klar, als Wesen, das über seine Unsterblichkeit und sein wahres Wesen Bescheid weiß, getraut er sich überall hin. Gitta ist ein wenig skeptischer. Aber nun hat sich auch Buddhi zu den beiden gesellt. Sie ahnt etwas über ihre Unsterblichkeit und ihr wahres Wesen.



Der alte Mann und der kleine Michel legen wieder ab. Sie wundern sich selbst über diese neue Lebensform. Zuerst hätte sie so etwas wie die damaligen Dinosaurier werden sollen, nur größer. Aber wie will sich so ein Riesending ernähren, um zu überleben? Steine sind da geduldiger und vor allem nicht so gefräßig. Ein immens riesiger und immens schwarzer Stein mischt das neue Universum auf. Na ja, nicht direkt. Jetzt hat er erst mal die runde Frucht, die einst „Erde“ genannt wurde, in zwei Hälften geteilt. Aber diese Größe! Er ragt sicher weit nach unten, wie auch nach oben und das in andere Galaxien. Sozusagen wie ein Raumlift der Sonderklasse. Na, da kann sich Gitta mit ihrem Teleporter ja doch verstecken!

„Und jetzt?“ fragt sie aus reiner Nervosität als sie zu Arima und ihrer Mutter in die Kabine steigt.


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Man (ich!) darf nicht vergessen, dass das neue Universum die Form eines Baumes hat. Ein Baum mit Wurzeln, Stamm, Ästen, Laubwerk und Früchte (die ehemalige Erde ist eine runde Frucht). Und nun hat steckt etwas enorm riesiges, fast so riesiges wie das Baumuniversum, fast im gesamten Baum und hat somit auch Früchte (die Erde!), Blätter und Äste geteilt.

Dieses Riesige ist ein Stein, ein schwarzer (schwärzer als schwarz) Stein – eine Art Monolith, der wie aus dem Nichts kam. Eigentlich kam er geistig vom Segelschiff des alten Mannes und des kleinen Michels uns materialisierte sich im (!) Universum. Jedes Mal wenn das gewaltige Schiff anlegt, tut sich etwas im oder am neuen Universum. Diesmal fiel ein Stein vom Himmel und spaltete das Universum.

Von wegen Evolution! Natürlich weiß ich nicht, wie es im letzten Universum war, als Darwin seine Theorie darlegte und doch einige Menschen, darunter Theologen, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und andere Außenseiter der Gesellschaft, Einspruch einlegten. Vielleicht war es doch der eine Gott, der sich Jehova oder Jahwe oder Allah nennt, aber es könnte schon damals dieses seltsame Paar gewesen sein, das ich als alten Mann und kleinen Michel beschreibe. Vielleicht handelt sich dabei um die zwei Energien (falls ich das noch nicht erwähnt habe...), die einander bedingen, um die Energie der Einen und der Anderen Seite, wie Kim es einst nannte und doch gegen Luzifer und seinen Dämonen kämpfte. Es könnte sein, denn die Energie der Anderen Seite ist uralt (der alte Mann), während sich die Energie der Einen Seite (der kleine Junge Michel - die materielle Welt der Veränderung) erst viel später entwickelte, als ein winziger Teil des Geistes zu träumen begann.

So ähnlich könnte man es beschreiben, aber wie gesagt, wissen kann man es nicht wirklich, da immer wieder Widersprüche auftauchen, die alles immer wieder zunichte machen. Da glaubt man, endlich die Weltformel entdeckt zu haben, fühlt sich gut dabei und „wumm“, alles dahin. Dann ist es auch nicht mehr wichtig, vor allem dann nicht, wenn man sich wichtig nimmt, wenn man sich um sich sorgt. Es kann vieles sein, das einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Was ist dann noch wichtig, als nur das eigene Wohlfühlen und das seiner Liebsten? Da kann mir doch jede Theorie gestohlen bleiben!



Buddhi weiß das, denn ihr geliebter Andre (obwohl sie ihn für immer verlassen hat, um Tod zu suchen!) ist schwer krank und möchte doch noch lange Zeit im Kreis seiner vielen Kindern erleben. Jetzt wäre es ihm recht, wenn Tod nicht da wäre.

„Er wäre bei dir – hier“, tröstet Arima die liebende Frau, als sie und Gitta im Fahrstuhl nach oben oder nach unten (sie spüren, dass sich etwas bewegt, aber nicht, in welche Richtung) fahren.

„Ich denke, das weiß er auch, aber ich denke, er weiß auch, dass er dann nicht mehr der Selbe ist.“

„Das sind wir nie“, philosophiert Arima. „Jeder Moment verändert etwas an oder in uns. Oder willst du sagen, deine Gitta ist dasselbe Baby geblieben, das sie war?“

„Darum geht es doch nicht. Das sind Äußerlichkeiten, du kluger Gott...“

Arima wehrt schnell mit den Händen ab. „Kein Gott, kein Gott – um Gottes Willen, ich war nie und bin auch nie ein Gott. Ich mag in einer so genannten höheren Ebene existieren, aber als Lebewesen bin ich keinen Schritt weiter als alle anderen.“

Immer noch so schön bescheiden, der Süße...

„Du hast schon recht, Buddhi“, gibt er kleinlaut zu. „Es sind aber nicht nur Äußerlichkeiten, da sich das Gehirn und somit auch seine Fähigkeiten erst entwickelt. Als Baby – so kann man sagen, war deine Gitta noch ganz...“

„Lass diese altklugen Reden. Die bringen nichts“, fährt Buddhi wieder dazwischen. „Es ist nun mal so, dass Lebewesen in dieser unterentwickelten Welt noch immer sterben und damit basta. Lass uns mal sehen, wo der Lift stehen geblieben ist, denn ich glaube, das ist er und sieh an, die Türe öffnet sich...“

Alle drei sind ein wenig erstaunt und auch ein wenig enttäuscht. Es mag schon eine andere Welt sein, eine etwas phantastischere, aber doch nichts besonderes.

„Das liegt an deiner eigenen Vorstellungskraft, Buddhi“, gibt Arima zum Besten.

„Ja, ja, ja. Wir selbst sind es, die die Welten machen. Lass den Unfug und lass uns schauen, was uns diese bizarre Landschaft zu bieten hat“, keift Buddhi, nimmt ihre Tochter an der Hand und steigt forsch aus der Kabine.


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Sie betreten eine Stadt, deren Häuser, darunter auch Hochhäuser, mit Grünzeug überzogen ist. Es ist, als hätte Natur über Beton gesiegt, dennoch scheint es gewollt zu sein, da sich Menschen auf den Straßen befinden. Menschen in seltsamen Gefährten, manche der Fahrzeuge, meist die mit vier Rädern, brummen laut und geben stinkenden Rauch von sich, - Menschen, die es auf den Gehsteigen eilig haben. Irgendwie ein Szenario aus dem alten Universum auf der Erde. Sogar eine Kirche, eher ein Dom, ist zu sehen, den schreckliche Steinfiguren, so genannte Gargoyles, zieren.

Gitta ist, als hätte sich eben so eine Steinfigur bewegt. Sie hat den Körper einer Großkatze, jedoch mit Flügeln und den Kopf eines Ungeheuers mit einem Riesenmaul, aus dem spitze Zähne ragen. Andere sehen menschlich aus, mit gedrungenem Körper, aber immer ist der Schädel, bzw. das Gesicht wie das einer unheimlichen Bestie. Einige von ihnen haben sogar Hörner am Kopf, wie Buddhi eben feststellt. Geflügelt sind alle.

„Sie bewegen sich wirklich“, flüstert Gitta und drückt sich ängstlich an ihre Mutter. Nur Arima ist ohne Angst und Scheu und winkt dem Monster in Katzengestalt lächelnd zu.

„Sie sind die eigentlichen Bewohner hier. Die Menschenwesen sind nur Beiwerk, eine Art Hologramm, um mögliche Besucher zu verwirren“, klärt er die beiden auf.

„Sie sehen angsterregend aus“, sagt Buddhi, nun etwas erleichert. „Aber woher weißt du das alles?“

Arima lächelt spitzbübisch und geht durch den Eingang eines großen Hauses, in dem sich viele Menschen (Hologramme) befinden. Buddhi und Gitta folgen ihm und sehen, wie Arima durch all die Scheinmenschen hindurchgeht. Als sie es auch versuchen, spüren sie ein leichtes Kribbeln, als hätte sie etwas ein wenig elektrisiert.

Das große Haus ist ein Kaufhaus, in dem alle möglichen Klamotten gibt. Gitta, als Teenager, bekommt leuchtende Augen.

„Kann man sich da was nehmen?“ fragt sie und blickt sehnsüchtig auf ein langes Kleid, mit buntem Blumenmuster und Rüschen und Fransen.

„Wenn du dafür bezahlst, ja“, meint Arima.

„Womit?“ fragt Gitta.

„Man nennt es Geld und es sieht aus wie kleine Papierscheine.“

„Sehr witzig“, gibt Gitta beleidigt zurück, denn so von der Rolle sind die Menschenwesen auch nicht, da sie ebenso Geld besitzen, es aber nur selten gebrauchen, weil ihnen ein Warentauschhandel lieber ist.

„Aber die Menschen hier sind nicht echt. Auch jene nicht an der Kassa“, stellt Buddhi fest.

„Außerdem würde ich das Kleid nicht für mich, sondern für Sila nehmen“, rechtfertigt sich Gitta.

Seit sie Sila in ihren Hippieklamotten gesehen hat, ist das Mädchen begeistert und möchte sich am liebsten auch so kleiden. Dass sie und ihre Mutter eigentlich tot sind, kümmert sie überhaupt nicht mehr. Das Leben scheint weiter zu gehen und das auf jeden Fall viel schöner und einfacher.

„Was tun wir hier?“ fragt Buddhi, als Arima zielstrebig in das erste Stockwerk über Stufen weiter geht.

„Schauen, was es hier alles so gibt“, antwortet Arima und Buddhi und Gitta sehen sich an, als hätte der Schönste aller Schönen den Verstand verloren.

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Sie steigen von Stockwerk zu Stockwerk immer weiter nach oben, bis sie das Flachdach erreichen, auf dem sich einige Gargoyles befinden. Buddhi und ihre Tochter zögern ein wenig, aber Arima geht zielstrebig auf eines der Monster zu.



„Wenn schon, dann nenne sie Dämonen, aber nicht Monster, denn das sind sie nicht“, schimpft Arima. Zu wem? Keine Ahnung, aber er murmelte es eben so vor sich hin. Kann ich verstehen, denn Monster finden sich nur unter Menschen.



Der Dämon, ein katzenartiges Wesen, das seine Flügel eng am schlanken Körper trägt, scheint Arima anzulächeln. Auf jeden Fall zeigt es seine spitzen Zähne. Die beiden unterhalten sich kurz, dann winkt Arima Gitta zu sich, die sich wieder nur zögernd nähert.

„Ihr beide habt eine Aufgabe“, beginnt Arima. „Gitta, dieses Dämonenwesen, namens Kanga, wird dich in deine Welt zurück bringen. Kanga fliegt noch schnell wohin, um eine Medizin für deinen Vater zu holen. Die gibst du ihm und ihr beide, wie auch deine Geschwister, werdet noch eine lange, schöne und vor allem schmerzfreie Zeit haben.“

Auch Buddhi hat sich genähert und hört ebenso erstaunt wie ihre Tochter zu und fragt abermals: „Woher weißt du das alles?“

„Ich höre auf mein Herz, wie man so schön sagt“, antwortet Arima, während sich Kanga vom Flachdach stürzt und erst ab einer gewissen Höhe seine weiten Flügel ausbreitet und urplötzlich mit enormer Geschwindigkeit in die Wolken rast.

„Wenn er das mit mir macht, kotze ich“, klagt Gitta.

„Keine Sorge, er bringt sich sicher in deine Welt zurück“, beruhigt Arima das Mädchen.

„Warum kann ich nicht zurück“, fragt Buddhi.

„Weil deine Tochter eine große Aufgabe in ihrer Welt haben wird.“

Gitta blickt erstaunt zu Arima hoch. „Welche Aufgabe?“

„Das kann ich dir nicht sagen. Das musst du selbst herausfinden. Wenn du, wie ich, auf dein Herz hörst, wirst du deine Aufgabe erkennen. Wenn nicht, dann soll es eben so sein. Mach dir keinen Kopf, denn es ist nicht einfach, eins mit der Quelle zu sein, was nichts anderes bedeutet, als auf sein Herz zu hören.“



Da ist er wieder, dieser so einfache und doch so schwer zu erfüllende Satz: „Wenn du dich der Kraft (Quelle) ergibst, führt sie dich genauso wie dich das Ich geführt hat, nur mit dem Unterschied, dass du dich nicht mehr danach fragst, was für dich herausspringt.“



„Dann musst du viel meditieren, meine geliebte Tochter, denn nur so kannst du eins mit allem werden“, drängt Buddhi.

„Quatsch“ meint Arima in seiner gewohnten Art. „Sie muss gar nichts. Gitta“, wendet er sich an das Mädchen, „du wirst schon erkennen, was deine Aufgabe ist. Davon bin ich überzeugt, denn du hast deine Aufgabe schon im alten Universum erkannt und auch vollbracht – zumindest in zwei von sechs Erddimensionen. Und das ist ja schon etwas.“



Klar, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Das Alter, die Zöpfe, der Drang, etwas tun zu wollen. Man könnte meinen, es handelt es sich um dasselbe Mädchen, das einst die Schule schwänzte und andere Schüler und Schülerinnen ebenso dazu aufforderte. Damals schien es um so etwas wie die Umwelt und das Klima zu gehen. Meinten viele, aber sie täuschten sich. Es ging um die Schule und dass sie für Arsch ist. Als dieser „Boom“ mit Schule schwänzen in Gruppen (wobei die Gruppen immer größer wurden) los ging, sprach sich das von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt und von Land zu Land, bis es nur mehr Schulverweigerer gab, weil niemand mehr mit diesem aufgesetzten Schulwissen zufrieden war. Das Mädchen, das so ähnlich wie Gitta hieß, setzte durch, dass der Lernstoff sich vollkommen änderte und auf das wirkliche (?) Leben zugeschnitten wurde, was einige Monate dauerte – in manchen Gegenden sogar über zwei Jahre. In diesen zwei Erddimensionen änderte sich übrigens einiges, auch die Menschen, wo man meinen könnte, es handelt sich doch um die Vorfahren der Leuchtenden Wesen.



Kanga kehrt zurück und übergibt Gitta mit seiner Krallenpfote ein kleines Fläschchen, dass diese sorgsam in ihrer Jackentasche verstaut. Dann kommt es zum schnellen Abschied, denn „man wird sich wiedersehen“ und Gitta hockt sich auf den Rücken des Katzenwesens und ab geht die geheimnisvolle Reise.

„Warum machst du das nicht?“ fragt Buddhi, als sie mit Tränen in den Augen winkt.

„Meine Flüge gehen bloß in eine Richtung“, antwortet Arima und denkt mit seligem Blick an Mirjam, die nicht nur eine Namenskollegin seiner große Liebe Maria ist, sondern auch einer ihrer Aspekte, die er ja in sich trägt. Aber wie immer würde Arima (Kim) sagen: „Das hat keine Bedeutung. Nichts hat Bedeutung außer die Quelle der Kraft.“


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Gittas Flug war ganz gemütlich, bis zu diesem Moment, als sie plötzlich eisige Kälte fühlte. Fühlen! Gitta fühlte wieder. Schmerz! Was war das vorhin, als sie gar nichts fühlte? Als sie nichts dachte? Plötzlich sind da wieder Gedanken. Unvorstellbar, wie es nur ohne Gedanken funktionieren konnte! Na ja, fast ohne Gedanken. Man nennt es auch Instinkt. Vor allem, wenn es Tiere betrifft.

Aber es war mehr. Auch was Tiere betrifft. Es ist etwas Natives, aber (auch wenn sich das widerspricht) nichts Angeborenes. Es ist das Wesen selbst, das erkennt, ohne darüber nachzudenken. Es weiß, so und nur so ist es. Es ist alles wie ich bin. Dem „Wir-ich“ sehr nahe. Das erste „Ich“ hatte Gitta bereits vergessen. Und jetzt, Gitta? Jetzt hast du vergessen, wie es fast ohne Gedanken funktioniert.



Gitta fiel. Sie fiel vom Himmel. Aber sie schlug nicht hart auf. Weich lag sie in einem Bett und sah besorgte Gesichter um sich. Vater Andre war da und Gitta war fast versucht, ihn Arima zu nennen, obwohl sie nicht wusste, wie sie auf diesen seltsamen Namen kam.



Dass Andre ein Aspekt Luzys war, gab ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Luzy und so auch mit Arima, was aber nur äußerlich war. Äußerlich? Kann man schon so sagen, auch wenn Äußerlichkeiten meist keine Rolle spielen. Wäre ja schön, wenn man die Bösewichte so schnell erkennen würde. Immer sehen die Bösen wie Monster aus und die Guten wie Prinzen, die gerade von Dornröschen geküsst wurden. Oder war das umgekehrt?

Wie auch immer, auf jeden Fall hat Vater Andre, wenn auch stark gealtert, ein wenig die Gesichtszüge von Arima und Luzy, da sich die beiden (einst?) bis auf das Muttermal unter dem linken Augen glichen. Feinstofflichkeit hat doch auch ein Aussehen, oder etwa nicht? Und sobald es Ebenen außerhalb der Quelle gibt, ist es nicht mehr Geist, sondern eine Projektion des Geistes, was Materie bedeutet.

„Wir stecken alle in einem Boot“, sagt Arima und hat damit definitiv recht, denn auch Götter und Göttinnen sind Projektionen des träumenden Geistes, der sich von der Quelle abgespalten hat. Und jetzt kommen wir wieder zum Kurs (in Wundern), der so wunderbar die Sinnlosigkeit dessen, was wir Leben nennen, klarlegt: „Es ist nie etwas passiert.“ Wie es auch die alten Inder der Schriften des Advaita-Vedanta belegen.



Eines hat Gitta nicht vergessen – das Fläschchen, das sie mit zitternden Händen aus ihrer Jackentasche holt und ihrem Vater entgegen hält. „Trink das. Es wird dich heilen. Aber frag nicht, woher ich es habe und warum ich all das sage, was ich sage, denn ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines, - du kannst mir vertrauen, Vater.“

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Gitta war nie weg. Sie wurde plötzlich krank und lag wochenlang nicht ansprechbar im Bett. Ihre Mutter Buddhi wurde deswegen so verzagt, dass sie vor Kummer und Sorge starb. Es war nie eine Rede davon, Tod zu finden.

„Wie kannst du nur so was denken? Tod finden, als wäre Tod eine Person“, lacht Gittas Schwester Suny.

Auch alle anderen reden auf Gitta ein, als sie das erste Mal aufsteht und immer wieder versucht, ihrem Vater das Fläschchen zu geben, damit er es endlich trinkt, denn es sieht wirklich nicht gut mit ihm aus.

„Vertrau mir, bitte“, fleht sie am Mittagstisch, als sich Andre schwerfällig niedersetzt und versucht, einige Bissen zu essen. „Es wird dir sofort besser gehen, wenn du das trinkst.“

„Vielleicht hast du selbst davon getrunken und bist deshalb so krank geworden“, schimpft einer der Brüder. „Willst du etwa unsern Vater vergiften?“

„Sieh ihn doch an“, sagt Gitta weinerlich. „Er kann sich kaum auf den Beinen halten und hat Schmerzen. Kann es denn noch schlimmer werden?“

Da wird es Andre zu viel der Streitereien um das Fläschchen, reißt es Gitta aus der Hand und trinkt es in einem Zug leer.

Man kennt doch die Wirkung des Zaubertranks aus Asterix und Obelix. Wenn der- oder diejenige trinkt und es ihm/ihr aus den Ohren raucht und sie wie Raketen in die Luft gehen, während ihnen die Muskeln schwellen.

Nein, so ist es bei Andre nicht. Aber fast so ähnlich, denn er reißt die Augen auf, erhebt sich wie ein Jüngling und fasst sich freudestrahlend an den Kopf. „Es ist weg! Das Kopfweh ist weg und die Müdigkeit und endlich auch der ewig stechende Magenschmerz. Alles ist weg!“ jubelt er und springt tanzend im Esszimmer um den Tisch herum.

„Sagte ich doch“, raunt Gitta und blickt beleidigt von einem zum anderen. „Aber ich will unsern Vater vergiften. Narren seid ihr. Ungläubige Narren.“

Andre bleibt vor seiner Tochter stehen, kniet sich nieder und nimmt ihre beiden Hände. „Verzeih mir, liebste Tochter, aber das, was du uns erzählst, ist nun mal nicht einfach zu glauben. Wir haben gesehen, wie du zusammen gebrochen bist. Du warst wochenlang ohnmächtig. Kein Arzt konnte etwas für dich tun. Wir haben die besten Ärzte des Landes kommen lassen. Uns war nichts zu teuer, was dich hätte gesund machen können.“

„Und jetzt seid ihr meinetwegen so arm, dass ihr das Haus verkaufen müsst“, ratet Gitta.

„Ach, nein! Das Geld, das wir gewonnen haben, hält noch für die zweitnächste Generation“, lacht Andre. „Aber glaub mir, wir hätten alles aufgebraucht, wenn du nur gesund geworden wärst, aber die Ärzte haben dich aufgegeben.“

„Geld gewonnen? Woher und wann?“ stößt Gitta überrascht hervor.

„Das ist schon eine Weile her. Du musst es doch wissen. Wir haben damals ein großes Fest gefeiert. Das ganze Dorf war dabei und wir haben auch jeden ein bisschen was geschenkt, weil es so viel war.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, Vater. Und Mutter? Ist sie wirklich gestorben?“

Andre nickt traurig. „Sie hatte ja schon immer ein schwaches Herz und musste Medikamente nehmen. Das mit dir hat ihr den Rest gegeben.“

„Mutter hatte schon immer ein schwaches Herz? Ihr spinnt doch alle“, fährt Gitta auf und blickt aus dem Fenster, da direkt davor der Bodhibaum stehen müsste, aber nicht da steht.

„Wo ist der Baum? Wo ist der Baum, unter dem Mutter so lange gesessen ist?“

„Welcher Baum? In unserm Garten war nie ein Baum. Wir haben einen Pool. Den haben wir uns bauen lassen, als wir das viele Geld gewonnen haben. Und das Haus haben wir auch umbauen lassen. Das weißt du alles nicht mehr, liebste Gitta?“

Gitta schüttelt traurig den Kopf und entzieht ihrem Vater die Hände.

„Entweder seid ihr verrückt geworden oder was wohl eher zutrifft, bin ich verrückt geworden. Es ist, als hätte ich früher ein ganz anderes Leben gelebt, als wäre ich ganz wo anders gewesen – in einer anderen Welt, einer Parallelwelt oder so.“

„Nicht schon wieder so verrückte Gedanken, Schwesterchen!“ ruft Suny aus, die immer ihre Lieblingsschwester war.

Dieses Dilemma von Gitta erinnert ganz schön an Maria, als sie in einer anderen Erddimension erwacht und feststellt, dass sie zehn Tage in einem Krankenhaus im Koma gelegen ist und es Kim in dieser Erddimension gar nicht gibt. Hat der Gogoyle Kanga Gitta vielleicht in eine Parallelwelt gebracht? Oder liegt es an dem Monolith, der nicht nur die winzige ehemalige Erde, sondern das gesamte Baumuniversum, gespalten hat? Auf jeden Fall muss Gitta da durch und sie scheint ihre Aufgabe bereits zu kennen: Dieses Volk ist dermaßen phantasielos und langweilig und auf Reichtum fixiert, dass sich unbedingt etwas ändern muss.

„Wisst ihr was? Ich werde ein Buch schreiben,“ sagt sie (wie es damals Maria in der anderen Erddimension tat). „Ich werde schreiben, wie ich mein bisheriges Leben erlebt habe, dann können wir ja noch immer rätseln, wer von uns wirklich verrückt ist.“

Und damit sind alle einverstanden, dass sich Gitta sofort in ihr eigenes (früher gab es die Kinderzimmer nur zu viert!) Zimmer zurückzog und zu schreiben begann. Papier und Füller waren vorhanden, aber da war noch etwas, das sie schon verwirrte, als sie in ihrem Bett erwacht war. Da stand ein seltsam aussehendes Gerät auf dem Schreibtisch.

„Kann mir wer sagen, was das für ein Ding auf meinem Tisch ist?“ ruft sie nach unten (Kinderzimmer und Schlafzimmer befinden sind im oberen Stockwerk und alle mit eigenem Balkon) und alle stürmen zu ihr hoch.

„Dein Computer!“ rufen sie gemeinsam aus. „Du hast Stunden davor verbracht, dass wir schon dachten, du seist süchtig“, setzt Andre hinzu.

„Und ich habe keine Ahnung, was ich mit diesem Ding anfangen soll.“

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