Blickstarre

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Rookhaya

Guest
Weißer Rauch stieg auf und verwirbelte leicht im bleichen Licht des Mondes, der am tiefschwarzen Himmel stand. Am Horizont begann etwas zu leuchten. Erst glomm es anscheinend nur schwach, doch bald schon grollte ein Donner durch die Nacht, und der Himmel ward erleuchtet vom seichten Schein eines orange roten Feuers, welches sich züngelnd in die laue Luft fraß, genährt vom Sauerstoff, den der eifrige Wind zuführte. Der kräftige Geruch nach brennendem Holz wehte Kilometerweit in der Dunkelheit, und eine graue Rauchsäule schob sich linkisch vor den Mond, der alles aus weiter Ferne beobachtete.

Panik brach bei den Tieren des Waldes aus. Schrille und entsetzte Schreie mischten sich unter ängstliche und ein lautes Trappeln von verschiedenartigen Beinpaaren auf dem gerade auftauenden Boden wurde laut und erklang, wie der Sturm einer Menschenarmee in einem Krieg. Knisternd stoben Funken in den Himmel. Die Tiere flohen vor dem gierigen, alles verschlingenden Feuer. Mittlerweile waren auch die Menschen in der nahen Stadt erwacht. Einige blickten fassungslos aus dem Fenster, andere zogen hastig Kleidung über, oder liefen barfuß auf die Straße. Geschäftig summte das Rolltor der kleinen Feuerwache, als es von den eilig herbei gerufenen Feuerwehrmännern nach oben geschoben wurde.

Die Lichter in der Straße flammten auf. In jedem Haus, auf der Straße und selbst die Bewegungsmelder schienen beinahe von selbst auszulösen. Das beruhigende elektrische Licht glomm durch die Dunkelheit. Kleine Tiere fanden den Weg zur Stadt, trauten sich jedoch wegen ihres Instinktes nicht über die Grenze zur so genannten Zivilisation. Augenpaare blickten panisch zwischen den näher rückenden Flammen und der Unsicherheit menschlicher Behausungen hin und her. Eine ohrenbetäubende Sirene zerriss die Luft, als sich das alte Feuerwehrauto in rasender Eile Richtung Wald in Bewegung setzte.

Der Fluss wand sich in großen Biegungen durch die Landschaft. Das hatte er immer schon so getan. Ruhig rauschte er dahin, und das fahle Mondlicht spiegelte sich auf seinen Wellen, ebenso wie das sich weiter ausbreitende Feuer und die fernen Lichter der Stadt. Einige Schatten krochen gespenstisch über den Boden und versteckten sich linkisch, mal hier, mal da. Der Geist des Waldes raschelte und es war, als spielte er Fangen mit dem alten Wind, der sanft durch das welke Laub vom Vorjahr blies.

Die ersten Menschen trafen in der Nähe des Waldes ein. Bereits unterwegs hatten sie die panisch flüchtenden Tiere gesehen. Kleine Fäustchen von eilig angezogenen Kindern winkten begeistert nach den pelzigen Leibern, die sich nah vor dem Auto über die Straße schoben. Ein weiteres unnatürliches Licht flammte auf und richtete sich auf eine sorgfältig geschminkte Dame. Jemand hielt ihr ein Mikrofon vor das Gesicht. Eins jener puscheligen Teile, die den Wind abhalten sollten. Man prüfte ihre Frisur, testete den Ton und zählte herunter 3 – 2 – 1, ehe die grell überschminkte und völlig fehl am Platze wirkende Dame zu sprechen begann.

Mehr und mehr Leute versammelten sich. Viele hatten die Hände tief in den Taschen vergraben und blickten mit eintönigen Gesichtern gebannt auf das gefräßige Feuer, in sicherem Abstand. Die Dame vor der Kamera erzählte kühl und sachlich von der sich gerade anbahnenden Katastrophe. Cut! Und fertig. Es wurde Zeit, zurück zum Übertragungswagen zu gehen, und einen heißen Kaffee in Empfang zu nehmen. Die Nacht war noch lang, auch wenn die immer mehr werdenden Lichter etwas anderes verheißen ließen. Die Menschen aus dem kleinen Städtchen standen dicht gedrängt auf der Straße. Autos versperrten den Weg. Von Fern hörte man die panischen Schreie der flüchtenden Waldbewohner. Fasziniert beobachteten sie das Geschehen.

Das alte Feuerwehrauto kam mit quietschenden Reifen vor dem Mob zum Stehen. Durchkommen unmöglich. Das Kamerateam umringte das rote Fahrzeug und verlangte lautstark nach einem Interview. In der Ferne brach laut knackend ein Baum zusammen. Zu sehr hatte das heiße Feuer dem uralten Holz bereits zugesetzt. Über dem Wald und den angrenzenden Feldern, bis hin zur kleinen Stadt zog ein großer Vogel seine Kreise und blickte traurig hinab auf das Geschehen. Die wenigen Feuerwehrmänner kämpften statt gegen das Feuer gegen die Aufdringlichkeit der Fernsehmenschen und des neugierigen Mob an. Züngelnd wie eine Schlange zeigte das Feuer seine heißen Zähne, und warf Schatten auf die gaffende Menge.

Ein kleines Kind, welches sich schon beim ersten Donnergrollen vor dem Fenster von zu Hause fortgeschlichen hatte, hatte den Waldrand beinahe erreicht. Während dort hinten die Erwachsenen noch immer Wortgefechte austrugen. Unerschrocken lief es direkt auf die Gefahr zu. Der Wind atmete tief ein, als er den Kleinen sah. Auch der Waldgeist hielt kurz inne, das Rauschen des Flusses legte sich einen kleinen Moment und der Raubvogel am Himmel blickte wissend auf den kleinen Menschen hinab. Er allein hatte sich hierher durchgeschlagen. Mit nichts als einer Decke um die Schultern. Mutig tränkte der Kleine diese im gurgelnden, schwarzen Wasser und tapste weiter und weiter in den Wald hinein auf die Flammen zu. Hier und da züngelten sie bereits um die Stämme der Bäume und das niedrige Gehölz. Beherzt schlug das Menschenkind mit der Decke darauf ein und erstickte einige Flammen darunter.

Das Kind griff nach einem Vogelnest und trug es an den Waldrand. Es kehrte zurück, unerschrocken stellte es sich allein der näher kommenden Feuerwand. Behutsam hob er ein kleines Kaninchen aus seinem Bau, trieb einen jungen Fuchs vor sich her in die sichere Freiheit. Es scheuchte und trug die jungen Waldbewohner, die verschreckt unter dem dunklen Rauch zu entkommen versuchten an den rettenden Rand. In der Zwischenzeit berichtete die überschminkte Dame bedauernd, dass es noch niemandem gelungen sei, die Flammen einzudämmen. Die Menge wurde zu Statisten und zeigte betroffene Gesichter, bedacht darauf auch gut zur Geltung zu kommen, auf diesem kurzen Weg in die bunte Medienwelt.

Die Zeit verging. Wertvolle Minuten gingen verloren, ehe es endlich gelang die Straße zu passieren und näher an den Wald zu gelangen. Die Feuerwehrmänner rollten Schlauch um Schlauch aus in der Dunkelheit, sie streiften Atemschutzgeräte über, ehe sie begannen, sich in den Wald hinein zu wagen. Der Fluss spendete sein Wasser, die Männer pumpten ausdauernd, doch genügte es bei weitem nicht. Sie waren fünf, der Wald war groß und bereits eine große Fläche stand in Flammen. Das Kind hingegen war weiter und weiter in die Dunkelheit des Waldes vorgedrungen. Der Vogel konnte es von oben nicht mehr sehen, selbst der Wind hatte die Spur des Jungen verloren. Der Wind begann zu heulen, aufzufrischen ob der vielen Wesen, die in dieser Nacht ihr Unglück fanden. Das Feuer labte sich genüsslich an diesem kurzen Aufbrausen und trug die Funken weit über die Bäume, die bislang verschont geblieben waren.

Einige Nachtschwärmer in anderen Städten schalteten müde und gelangweilt den Fernseher ein. Die ersten Nachrichten des Tages flackerten grell und unwirklich über die matt glänzende Scheibe der Geräte. Sie rissen die Augen auf, und saugten begierig die Informationen über die Katastrophe im Naturschutzgebiet in sich auf, während im Nebenzimmer die Kaffeemaschine leise gurgelte und der Toaster die fertigen Scheiben freigab. Sie setzten sich vor die Geräte und warteten auf die nächste Meldung. Niemand konnte helfen, die Flammen breiteten sich aus. Schrecklich, so murmelten sie vor sich hin, während sie sich anzogen, um müde in den Tag zu starten.

Das Kind war inzwischen müde geworden. Seine kleinen Beine trugen es nicht mehr weit, und die nasse Decke stellte ein bleiernes Gewicht dar. Der Kleine ließ sie fallen und stolperte weiter in den Wald hinein. Er begann zu husten, und zu weinen. Wie sehr wünschte er sich Hilfe, doch um ihn herum war nichts als Schwärze und beißender Rauch. Er fiel auf die Knie und robbte vorwärts. Seine Lungen rangen um jeden Atemzug, doch der Ruß verklebte ihm den Mund. Die Feuerwehrleute in der Ferne verzweifelten. Sie sahen sich machtlos den Flammen gegenüber, doch gaben sie nicht auf, während an der Straße die Menschen noch immer ein betroffenes Gesicht machten, und die Moderatorin ihre Lippen nachzog, ehe sie schön und glänzend erneut fürs Frühstücksfernsehen auf Sendung ging.

Die meisten Tiere hatten die Gefahr gleich zu Beginn gewittert und waren geflohen. Selbst der Fuchs fraß das kleine Kaninchen nicht, welches vom Menschlein so tüchtig gerettet worden war. Der Vogel kreiste noch immer über dem brennenden Wald, seiner alten Heimat. Der Wind verhielt sich ruhig und der Waldgeist verkündete eine traurige Nachricht. Bedauernd gurgelte der alte Fluss, der sich in seinem Bett noch nie so nutzlos vorgekommen war und irgendwo, weit weg in einem Menschenhaus plingte eine Mikrowelle. Erschöpft pausierten die fünf einsamen Feuerwehrleute, während die Moderatorin noch immer ihr strahlendstes Lächeln für die Kamera präsentierte. Betroffene Mienen machten sich bei den Leuten breit, wenngleich sie sich nach ihren warmen Betten zu sehnen begannen, nun da nichts Aufregendes mehr geschah. Die ersten waren schon aufgebrochen, und machten der nächsten Schicht Platz.

Das kleine Menschlein bekam von alldem nichts mehr mit. Ein letzter Atemhauch verließ seine gequälten Lungen, und das Gesichtchen presste sich in den kühlen Waldboden. Der Waldgeist begann zu jaulen, und der Wind konnte seinen Schmerz nicht unterdrücken. Er blies kräftig auf. Am Himmel hatte der große Vogel einer schwarzen Wolke Platz gemacht. Mit aller Macht begann diese sich über den Wald zu entladen. Regen prasselte, und die Feuerwehrmänner schöpften wieder neuen Mut, während die Moderatorin energisch nach einem frischen Kaffee verlangte, und sich die Menschen in der Menge das nasse Haar aus dem Gesicht strichen, jedoch hartnäckig weiter gafften, bis auch der letzte Funke des unheilvollen Feuers verloschen war.

Im Fernsehen wurde das Team als Helden gefeiert. Sie, die sie ausgeharrt hatten, bis die Gefahr gebannt war. Die Menge, die gegafft hatte statt zu helfen. Ein Spendenkonto wurde eingerichtet, für das Pflanzen einiger neuer Bäume und das Beruhigen des Gewissens. An die Feuerwehrmänner dachte niemand. Sie bekamen nicht einmal einen Händedruck. Sie, die sie versucht hatten gegen die Gefahr anzukämpfen und am Geist der Menschenmenge gescheitert waren. Es gab nichts mehr zu sehen. Die Menge löste sich auf, während noch immer der Regen niederprasselte und der Wind sein trauriges Lied pfiff. Verängstigt kehrten die Tiere nach und nach in den Wald zurück. Fanden ihre Verstecke oder suchten neue.

Eine Mutter fand das Bett ihres sechsjährigen Sohnes leer, als sie ihn in den Morgenstunden wecken wollte. Sie rief die Polizei an, in deren Bericht der Kleine erwähnt wurde. Die Moderatorin kam frisch geschminkt, um über den Ausreißer zu berichten und die Eltern lächelten wieder für die Kamera. Der Wald jedoch kümmerte sich um den Kleinen auf seine Weise. Der Wind deckte ihn sanft mit herab gefallenem Laub zu, die Vögel sangen dankbar ein Abschiedslied und der Geist des Waldes verzog sich heulend zu einer Holzbrücke am Fluss. Unter dieser saß ein alter Mann, der gemächlich an einem kalten Pfeifchen zog. Geist und Greis verschmolzen, der Kleine würde sein zukünftiges Ich nicht mehr benötigen. Was blieb war ein Quäntchen weißer Rauch, der aufstieg und dem blauen Morgen entgegen schwebte.

Niemand kann aus seiner Haut heraus. Nicht jeder ist zum Helfen geboren, und gewiss nicht jeder soll als Held von dieser Welt gehen. Doch was jeder Einzelne von uns tun kann, ist ein wenig mehr auf sein Umfeld zu achten. Im Weg herum zu stehen, und andere vom Helfen abzuhalten, kann viele Leben kosten. Die Brandursache übrigens wurde genauso wenig je gefunden, wie der Leichnam des tapferen kleinen Jungen, der noch heute als vermisster kleiner Ausreißer gilt.
 
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