Liebe Kabale, lieber Orion,
ich danke euch beiden aus ganzem Herzen für diesen Faden, denn ihr habt mir aus der Seele gesprochen und das Gespräch hat mir geholfen. Wie, das schreib ich gleich. Ich bewundere euren Umgang mit den Herausforderungen des Lebens und auch den Umgang hier miteinander. Ich möchte das Gesagte so unterschreiben - und gern etwas dazu schreiben, ich hoffe dass ich mit meinem Beitrag Kabale oder andre, die ebenfalls gerade mit dem Thema zu tun haben, noch etwas unterstützen kann, ich will nur etwas ergänzen.
Liebe Kabale, als du schriebst "Ich grüble nach, fühle mich ..." da hat es bei mir ein Aha-Erlebnis gegeben.
Es ist richtig, man kommt allein mit den Gedanken nicht weiter, doch wenn man sich hinsetzt und meditiert (vielleicht war das dein Grübeln) und dann steigen die Gefühle auf, dann kann man diese Gefühle beobachten, sie sich bewußt machen.
Falls es noch nicht gelingt die Gefühle bewußt zu machen, dann werkeln sie unterbewußt weiter und es fängt wieder an mit einer Erkrankung.
Bewußt machen, damit meine ich nicht nachdenken mit dem Verstand, sondern nur ansehen, ohne zu urteilen und ohne in die Gefühle hineinzufallen. Mit Distanz ansehen - wie im Kino.
So hab ich versucht, die hochsteigenden Gefühle anzusehen, wie einen Film, und ich versuchte, dabei nicht zu denken, sondern nur zu schauen. Ich stellte mir einen Wecker, der mich nach einer halben Stunde aus der Versenkung und der Vergangenheit herausholen sollte.
Szene um Szene ging es rückwärts in der Zeit und ich erlebte einige Schlüsselerlebnisse meines Lebens wieder und das immer gleiche Gefühl des "Übersehen-Werdens, Andere-sind-wichtiger, meine Begeisterung oder mein Kummer zählt nicht, ich darf nicht weinen" usw. - völlig irrational, wie Gefühle eben nunmal sind, und sie erinnern auch sehr an eine kindliche Wahrnehmung (was sie sicherlich auch sind) - und es ist im Grunde das Zurückgesetzt-Sein, wie du schriebst, in allen Varianten.
Ich fragte mich immer wieder: Woher kennst du das, wo hast du das schonmal gefühlt, schau nach, schau hin ... wie ein Mantra.
Die Gefühle sah ich wieder, die ich bei mehreren Beziehungen hatte, die fast alle (!) damit endeten, dass sich meine Ex-Partner mit einer Freundin oder Kollegin von mir einliessen und sich dann tatsächlich auch gern zusammen mit Bekannten gegen mich wandten. Das gleiche Gefühl tauchte aber auch auf, wenn ich im beruflichen Leben Chancen direkt vor mir hatte - und sie mir in letzter Sekunde dann weggeschnappt wurden, wie verhext.
Ich sah mich bei dramatischen Szenen und bei Alltagsszenen wieder, scheinbar unbedeutenden Ereignissen, erstaunlich, wie oft das schmerzliche Gefühl aufzuckt, ohne dass ich es .... wirklich bemerkt hatte! Nun aber sah ich es wieder. Immer wieder: ich fühlte nach und sah die Muster.
Soviele Szenen anzugucken, die schmerzhaft sind, das kann man nur wenn man sich das traut und es schafft, davon nicht umgehauen zu werden und im Selbstmitleid zu versinken, denn dann geht gar nichts mehr. Auch ist es eine große Versuchung, die Meditation fluchtartig zu verlassen, nur um diese unangenehmen Gefühle beiseitezuschieben und sich irgendeine Patentlösung mit dem Verstand zu suchen, die zwar nicht funktioniert, aber mit der man das Ego so schön in der Komfortzone belassen kann - und damit den Schmerz im Innersten weiterschleppt. Das Ego lebt aus den Mustern und den Schmerzen - die Erkenntnis habe ich bei Eckhart Tolle aufgeschnappt.
Diesmal wollte ich das nicht, wieder etwas verschleppen. Und bei mir kamen auch immer wieder die Infekte der Blase und Beschwerden im Halsbereich zusammen - ein deutliches Bild dafür, dass ich meine unguten Gefühle zu oft runterschluckte und nicht mehr damit klarkam (auch wenn die Mandeln raus sind, es kann sich ja immer noch soviel entzünden das glaubt man nicht ...) So ist es folgerichtig, dass ich auch die Erlebnisse sah, bei denen sich "bei mir die Kehle zuschnürte" - oftmals war das auch geschehen, ohne dass ich begriff, warum eigentlich. Jetzt, in dieser Gesamtschau, fragte ich nicht warum und wieso sondern schaute nur. Das gedankliche Muster war das gleiche wie bei der Blasenentzündung. Es hatte nur eine andere "Ecke" ausgesucht, um sich bemerkbar zu machen.
Ich war in der Erinnerung dann tatsächlich an den Erlebnissen angelangt, bei denen ich zum ersten Mal genau diese Gefühle hatte, die mir heute meine Beschwerden verursachen, die ich heute nicht erklären kann, wenn sie auftauchen, weil sie scheinbar so gar nichts mit der heutigen Situation zu tun haben. Diese unverständlichen Stürme in mir zu eigentlich unbedeutenden Ereignissen - aber bei meinem ersten Erlebnis der Gefühle hatten sie eine Bedeutung. Ich war an der Ur-Sache angelangt. Die Ur-Sache ist nicht das Erlebnis an sich!
Die Ursache liegt in der ersten Interpretation der Ereignisse!
Das Kind, das ich war, hatte beim ersten Erlebnis Schlussfolgerungen gezogen. Diese Schlussfolgerungen sind meine Glaubenssätze geworden (das verinnerlichte).
Natürlich sind diese Schlussfolgerungen der reinste Wahnsinn, wenn man sie aus erwachsener Perspektive betrachtet. Doch das ist für das Gefühl unbedeutend, wie logisch eine Schlussfolgerung ist. Die Gedanken mögen sich entwickeln, das Gefühl bleibt in dem Moment in der Vergangenheit irgendwie stecken.
Das Erlebnis an sich möchte ich lieber nicht schildern es hat wohl jeder was in seiner Kindheit was erstmal nicht so lustig und zweitens für den kindlichen Geist unverständlich ist. Jedoch möchte ich schildern, wie mein Gespräch in der Meditation verlaufen ist - in der Meditation hab ich mit meinem heutigen Ich das Kind von damals angesprochen, das mitten im Geschehen war. Eine mentale Zeitreise, sozusagen. Das Kind war - "aufgrund der Erlebnisse" überzeugt, es hätte kein Recht auf ein Leben wie die anderen. Es war überzeugt, nur dann überleben zu können und vielleicht sogar geliebt und akzeptiert zu sein, wenn es sich nach ganz bestimmten Verhaltensregeln richtete, auch wenn dieses Verhalten komplett gegen das innerste Empfinden und die eigenen Bedürfnisse lief. Diese Verhaltensregeln waren unter anderem: still zu sein, nie zu weinen, alles aushalten zu können, keine Schwäche zu zeigen, klug und nachgiebig allen anderen gegenüber zu sein und sich selbst möglichst weit in den Hintergrund zu schieben - nur um nicht "so eine Katastrophe nochmal zu erleben".
Als ich mein Inneres Kind diese Urteile sprechen hörte, hörte ich dabei meine Glaubenssätze und begriff, dass ich mich selbst danach unbewußt gerichtet hatte. So hab ich selbst immer wieder Situationen geschaffen, in denen ich immer wieder diese wichtige Überlebensstrategie des kleinen Kindes angewandt hatte - und mein allererstes Konzept vom Leben bestätigt fühlte. Mein kindliches Ego, ein selbstquälendes starkes Ego, hat mir das so eingeschliffen, dass ich diese Muster mit dem (ansonsten recht prima funktionierenden) Verstand überhaupt nicht antasten konnte. Es war ein Bereich in meinem Geist, der einer Diktatur glich; kein Funken Menschenverstand erleuchtete das unbewußte Dunkel.
Ich hab in Gedanken dem Kind gesagt, es könnte sich auch irren und auch die Erwachsenen von damals hätten sich sicherlich geirrt, es sei normal dass sich Menschen irren und das Leben muss gar nicht so schrecklich und grausam sein, wie es das in dem Moment gesehen hat und sich das weiterhin vorstellt. Es kann sogar sehr schön sein. Und man kann und darf ... (mir fielen noch ein paar Dinge ein, die sich das Kind aus Panik verboten hatte). Ich versuchte, die Szene von damals umzuschreiben, ich projizierte mich wie in einen Filmset hinein und änderte das Geschehen.
Dann klingelte mein Wecker, wie passend.
Man kann ja gern behaupten, dass das alles "nur in meiner Einbildung" geschah, doch das ist mir, mit Verlaub egal, denn diese "Einbildung" hat mir geholfen, mit meinen vergrabenen Gefühlen umzugehen, die mir heute Krankheiten verursachen. Oder verursachten - ich weiß nicht ob ich nun eine Auflösung gefunden habe, das wird sich zeigen. Doch ich habe den Eindruck dass es mir bereits jetzt besser geht. Ich glaube, ich konnte den Kummer so lange nicht loslassen, wie ich das Kind in mir nicht angehört hatte. Nun hab ich es angehört. Vielleicht war das ausreichend.
Und wenn ich nur einem Menschen hier eine Idee geben konnte wie er sich das Leben erleichtern kann, dann bin ich schon überglücklich.
Alles Liebe
eva