Liebe Silesia,
Ich liebe dich, obwohl ich weiß wer du bist
Ich finde, dieser Satz ist wohl eher die Version von bedingungsloser Liebe, denn wenn man davon ausgeht, dass man alles, auch das schlechteste über jemanden wissen und ihn dennoch lieben kann, dann ist das grenzenlos.
So grenzenlos begegne ich nur meinem eigen Fleisch&Blut.
naja, deshalb habe ich ja auch geschrieben, daß es die schönste Version von bedingter Liebe ist, die ich kenne.
Trotzdem ist sie noch bedingt, denn die unbedingte, bedingungslose Liebe IST.
Die Hochformen der Liebe lassen sich übrigens schön im "Hohenlied" der Liebe im Alten Testament studieren.
Die bedingungslose Liebe liebt einfach, sie ist Liebe, durch und durch, es gibt keinen Bereich, in dem sie nicht ist. Sie ist schweigende Hingabe und aus dieser Hingabe völlige, er-füllte Bewegung.
So wie die "Braut" des Geistes dann sagt in Kapitel 7 Vers 10: "Ich bin meines Geliebten und nach mir ist sein Verlangen."
Bedingungslos lieben ist sich auch bedingungslos lieben lassen. Doch es geht langsam los, durch die verschiedenen Stufen und Versionen der Liebe. Deshalb sagt sie zunächst, in der Bedingtheit noch, im Kapitel 1:
1:2 "er küsse mich". Die Liebe verlangt Zeichen.
1:3 "lieblich riechen deine Salben". Die Liebe möchte nicht jeden, nur den lieblich riechenden.
1:4 "ziehe mich": Die Liebe erwartet Anziehung vom Anderen, er muß attraktiv sein.
1:4 "wir werden dir nachlaufen": Da rennt sie ihrem Ideal hinterher. Das ist Bedingung pur.
1:5 "ich bin schwarz": ich lieb mich nicht selbst, aber du sollst mich lieben.
1:5 "aber anmutig": weil ich anmutig bin, sollst du mich lieben.
1:6 "seht mich nicht an": Überzeugung: die Menschen mögen mich nicht, ich bin nicht liebenswert. ich mag mich noch nicht mal ansehen, aber du sollst natürlich an-sehnlich sein.
1:6 "weil die Sonne mich verbrannt hat": man sucht nach Rechtfertigung für seine Fehler, und nur wenn man sich gerechtfertigt hat, glaubt man, liebens-wert zu sein
1:7 "du den meine Seele liebt": Das ist die erste Version von Liebe, sozusagen Version 1.0. Meine Seele liebt dich. Der Fokus ist hier auf dem "ich", das das "du" liebt... mit lauter Bedingungen.
1:13 "mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhe, das zwischen meinen Brüsten ruht." Version 2.0. Es geht darum, was er mir ist. Er bedeutet mir etwas. Die Bedeutung, das Zeichen, das er für mich ist, ist aber gleichzeitig die Bedingung. Ein Myrrhenbündel zwischen den Brüsten: hehe, der ist meiner und niemandem sonst. Die besitzergreifende Form der Liebe.
1:14 "eine Zypertraube ist mir mein Geliebter, in den Weinbergen von Engedi": Hier kommt der sehnsuchtsvolle Blick dazu. Er ist meiner, und mit ihm erobere ich die Welt.
2:3 "wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, so ist mein Geliebter inmitten der Söhne; ich habe mich mit Wonne in seinen Schatten gesetzt."
Da kommt die abhängige Version der Hingabe. Ich verliere mich in ihm, geb mich ganz ihm hin, lebe in seinem Schatten und finde es schön.
2:16 "Mein Geliebter ist mein und ich bin sein." Die nächste Version 3.0, die emanzipierte Form. Auf Augenhöhe, wir beide besitzen uns.
naja, und so weiter. Einfach als Anregung, möchte es jetzt nicht alles ganz genau ausführen, da könnte ich ja ein Buch drüber schreiben.
Jedenfalls im Kapitel 7 dann diese Form: "Ich bin meines Geliebten". Es ist eine hingebende Liebe, die sich als völlig geliebt empfindet: "...und nach mir ist sein Verlangen." Wer sich so empfinden kann, als bedingungslos geliebt, der strahlt es aus. Das bleibt nicht verborgen, das leuchtet durch alles hindurch. Und aus diesem Bewußtsein, durch dieses Bewußtsein, fließt dann die bedingungslose Liebe.
Es ist eine erkennende Liebe, die die Natur des Geliebten als unbedingte Liebe erkennt, und sich und alles so angenommen weiß wie es ist. Er ist nicht mehr "mein" im besitzenden Sinne, sondern im erkennenden Sinne. Ich erkenne ihn, erkenne seine Natur, und dadurch, im ER-kennen, wird es "mein" Geliebter, und doch nicht ergreifend als Besitz, sondern lieber als besessen: "ich bin meines Geliebten". Mein Sein gehört ihm.
Wie könnte ich auch anders sein? Wer sich als bedingungslos geliebt erkennt, dessen Herz fließt über vor Hingabe. Es geht gar nicht anders, ich muß antworten. Es geht nicht mehr um mein Verlangen. Ich will gar nichts. Ich bin ja sein, bin in ihm, und es geht weiter, weil immer noch höhere Vereinigung möglich ist.
Wie gehts denn weiter? Was kann noch kommen nach so einer völligen Vereinigung?
Sie singt dann: "Komm, mein Geliebter, laß uns aufs Feld hinausgehen."
Das Feld ist Sinnbild dessen, das noch keine ER-lösung gefunden hat.
Wie Paulus schreibt:
Römerbrief 8:22 schrieb:
Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt.
es ist der Weg des Bodhisattva. Wie könnte ich die bedingungslose Liebe für mich allein genießen wollen? Dann wäre es keine bedingungslose Liebe mehr, sondern höchst egoistisch. Das schöne ist, daß die bedingungslose Liebe mir das sogar erlauben würde. Ich darf hemmungslos egoistisch sein. In "Die Stimme der Stille", diesem sehr alten Sanskrittext, wird diese Wahl aufgezeigt. Bist du erleuchtet? Ja? Dann bist du ganz frei. Du darfst die Freiheit genießen, hemmungslos. Oder du darfst wählen zu dienen. Aus diesem Bewußtsein der bedingungslosen Liebe, des bedingungslos geliebt-seins und mit der Quelle dessen vereint-seins heraus aufs Feld zu gehen.
"laß uns aufs Feld gehen, wir wollen in den Dörfern übernachten."
Die "Dörfer" sind die unerlösten, und im Schatten der Nacht noch daliegenden. Der Un-bedingte wohnt bei den den Bedingungen unterworfenen und löst sie aus ihren Bindungen, sofern sie wollen.