Ich denke auch, daß es einen Unterschied gibt zwischen Wertungen, die man "im Affekt" äußert, und wirklichen Bewertungen.
Wenn beim Autofahren z. B. einer plötzlich vor mir einschert, obwohl er keine Vorfahrt hat, denke ich in dem Moment, "so ein Idiot", oder wenn in meinem Job als Telefonistin zuviel Kunden nicht so wollen, wie ich das will, und abweisend bis unhöflich reagieren, denke ich auch "Blödmann" oder "blöde Kuh" - meine aber damit im Grunde keine wirkliche Bewertung dieses Menschen, sondern nur eine Bewertung seines Verhaltens in dieser Situation.
Vielleicht ist der Autofahrer, der mir die Vorfahrt abgeschnitten hat, ja eigentlich ein ganz lieber Mensch, vielleicht war er nur in Eile oder hat nicht damit gerechnet, daß da ein anderes Fahrzeug des Weges kommt, da die Straße allgemein nicht viel befahren ist...
Und meine beste Freundin ist z. B. auch so eine Person, die bei tel. Umfragen und ähnlichen Anrufen einfach auflegt - sie wäre für mich im Job also eine klassische "blöde Kuh"-Kandidatin
Solche "Bewertungen im Affekt" finden eher deshalb statt, weil der Betreffende mit seinem Verhalten in dem Moment die eigene Ruhe, das eigene Wohlbefinden, den eigenen vorgefaßten "Plan" stört, und nicht weil man in dem Menschen generell einen "Idioten" oder ein "blöde Kuh" sieht.
"Echte" Bewertungen hingegen können entweder auf von außen übernommenen Vor-Urteilen beruhen, oder aber auf den eigenen, auch im Herzen erfaßten, ethischen Maßstäben.
Die ersteren sind korrigierbar, wenn es gelingt, das Vor-Urteil zu entkräften, aber an den anderen gibt es m. E. nichts zu deuteln.
Beispiel für die erste Form: Vor über 20 Jahren hatte ich noch gewisse Vorurteile gegen eine bestimmte kleinere Partei, da ich außer ein paar tendenzösen Negativberichten in den Massenmedien keine Informationen dazu hatte und mich zu dem Zeitpunkt auch nie mit deren Programm auseinandergesetzt hatte. Und dann lernte ich den Mann kennen, der für mich damals "der Mann fürs Leben" sein sollte - und der war ausgerechnet in dieser Partei aktiv! Erst dadurch, daß ich diesen Mann liebte, fing ich an, mich wirklich damit zu beschäftigen und nicht nur das aufzuschnappen, was die andere Seite ÜBER diese Partei verbreitete, sondern ich führte mir das zu Gemüte, was VON den Köpfen dieser Partei SELBST kam - und fand im Endeffekt etwas ganz anderes vor, als von den Medien vorgegeben wurde. Es führte sogar soweit, daß ich selber eintrat, und später aktiver wurde als es mein Mann war. Das Vorurteil - welches ein "Vorurteil mangels besseren Wissens" gewesen ist war "geknackt", durch eigene Erfahrung und Verinnerlichung revidiert.
Es gibt aber auch ethische Grundsätze, die im Herzen verankert sind, und die ebenfalls zu Wertungen führen: wenn ich zum Beispiel lesen muß (wie gestern in einem Rundbrief, den ich auf myspace bekam), daß in USA zwei jugendliche Mädchen ein Kätzchen in einen Käfig gesperrt und angezündet haben, dann frage ich mich, wie abgrundtief bösartig Menschen sein müssen, die zu so etwas fähig sind, und kann dabei wirklich nur von Abschaum sprechen. Für so etwas gibt es bei mir keine Entschuldigung, und daran gibt es nichts schönzureden und zu deuteln.
Ich denke, hier sollte man eben auch noch mal unterscheiden zwischen "anerzogenen" oder sonst übernommenen Vor-Urteilen und jenen Urteilen aufgrund von Empfindungen, die aus tiefstem Herzen kommen.