Ich persönlich finde es ziemlich schwierig, auf angemessene Weise über die tiefen Erkenntnisse aus der Aufstellungsarbeit mit Menschen zu kommunizieren. die nicht ahnen können, wovon ich schreibe (aber umso schneller eine Meinung haben) und die sich gelegentlich "auf den Schlips getreten" fühlen oder zu Empörung berufen, wo dies gar nicht gemeint und sinnvoll war.
Thesen dazu (die Reihung ist willkürlich, keine Hierarchie):
1.) Aufstellungen führen zu ganzheitlich verkörperten Erfahrungen, die durch eine Beschreibung dieser Erfahrungen nicht gleichwertig ersetzt werden können.
2.) Erfahrungen führen nicht automatisch zu Erkenntnissen.
3.) In Aufstellungen kann es zu Erfahrungen kommen, die
transverbal Zusammenhänge erschließen, die dem denkenden, verbalisierenden Bewusstsein allein so nicht zugänglich sind (vielleicht vergleichbar dem Gewahrsein in tiefer Meditation).
4.) In der Versprachlichung solcher transverbaler Beziehungen geht in der Regel das Lebendige, Vielschichtige, das eigentlich Systemische verloren - unsere Sprache ... also zumindest unsere europäischen/angloamerikanischen Sprachmuster ... ist vorwiegend von Kausalität und Linearität geprägt und ziemlich schlecht darauf vorbereitet, über Systemisches zu kommunizieren. Wittgenstein hat darauf radikal reagiert: Wovon man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.
5.) Aus dem Bedürfnis, trotzdem auch über Systemisches zu kommunizieren, haben sich Sprachcodes entwickelt, die mit dem jeweiligen Begriff Erfahrungen mitsamt ihrem Kontext meinen, die durch Nach-Denken allein nicht erschlossen werden können. Beispiel: "Die Eltern nehmen..." klingt für jemand, dem die Sprache des Familienstellens fremd ist, völlig unsinnig. Wer das in einer Aufstellung erlebt hat, weiß aus seinem Wie-Wissen und seinem Was-Wissen heraus, was dieser Sprachcode sagen will. Wer das in einer misslungenen Aufstellung erlebt hat und nur auf diese Erfahrung zurückgreifen kann, decodiert diese Formulierung völlig anders. Wer nur einen Bericht über eine Aufstellung liest, kann allenfalls die Oberfläche dieses Sprachkonstrukts nachvollziehen, der die transverbale Erfahrung der repräsentierenden Wahrnehmung fehlt.
6.) Wenn aus der hier nur oberflächlich und mangelhaft beschriebenen Vielschichtigkeit der repräsentierenden Wahrnehmung (die immer eine konkrete, in ein konkretes System eingebettete ist) Erkenntnisse gezogen werden sollen, die über diesen konkreten Kontext hinausgehen, ist
die Struktur des Erkennenden (erlernte Denkmuster, spirituelle Prägungen, soziale Bedürfnisse etc.)
nicht unabhängig von der Struktur des Erkannten - Humberto Maturana: "Was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt". Heinz von Foerster: "Was gesagt wird, wird zu einem Beobachter gesagt".
7.) "Erkenntnisse" sind also etwas, das von jemand "erkannt" wurde - nicht objektiv gegeben, sondern subjektiv als Komplexitätsreduktion (Helm Stierlin u.a.) formuliert. Nettes Beispiel aus anderen Sprachen: im Althebräischen bedeutete "eine Frau erkennen" u.a., mit ihr sexuell zu verkehren. Also nicht eine Wahrnehmung, sondern eine Wahl...
8.) Es ist also naheliegend, dass gerade bei der Kommunikation von "Erkenntnissen" die Missverständnisse tiefer gehen als bei der Kommunikation von Beschreibungen. Auch Missverständnisse können wertvolle Impulse auslösen.
9.) Rechthaberei ist ein deutliches Signal von Mittelmäßigkeit. Wenn die eigenen Formen der Komplexitätsreduktion absolut gesetzt und die Wahrscheinlichkeiten ausgeblendet werden, dass B anders versteht als A sendet, liegt die Vermutung nahe, dass hier in erster Linie Mechanismen der Selbstversicherung am Wirken sind, die einem fruchtbaren Austausch im Wege stehen. Entwicklung und Wachstum sind an Unsicherheit gekoppelt.
10.) Die beschriebenen Parameter sprachlicher Kommunikations(un)möglichkeiten betreffen nicht nur das Systemische, sondern grundsätzlich alle Fachsprachen, in denen reduzierte Sprachcodes nur dort zur Verbesserung von Kommunikation beitragen, wo Insider miteinander sprechen. Zugleich kann das leicht als Instrument der Abgrenzung missbraucht werden - etwa in scheinbar "Wissende" und scheinbar "Unwissende".
Sorry, wenn das alles ein wenig dicht daherkommt ... ich leg auch noch die (für mich) einfache Schlussfolgerung nach: Ich rechne nicht grundsätzlich damit, dass mich jemand versteht. Ich bin gern bereit, im Rahmen des Möglichen zu übersetzen - und weise darauf hin, dass nicht alles übersetzt werden kann, dass für eine gemeinsame Basis des Verstehens auch mal eine vergleichbare Erfahrungswelt erforderlich ist. Erkenntnisse ... da neige ich dazu, Sokrates abzuwandeln: ich erkenne, dass meine Erkenntnisse von beschränkter Reichweite sind. Wenn jemand etwas in Frage stellt, was ich sage, dann fühle ich mich verstanden - so kann Austausch beginnen...
So far erstmals.
Alles Liebe,
Jake