Tarbagan
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Mich stört hier, dass so viele Sachen ohne inhaltlichen Zusammenhang völlig durcheinandergeworfen werden.In Bezug auf den "Rattenschwanz an Ideen" bedient sich die Pharmaindustrie inzwischen der Universitäten, d.h. sie läßt forschen. Und das ist leider die Regel. Die Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft ist inzwischen unübersehbar, genauso wie die damit verbundenen Nachteile, wie z.b. das über seltene Krankheiten kaum geforscht wird, geschweige denn Medikamente entwickelt werden, weil damit kein Geld zu machen ist.
http://www.tagesspiegel.de/wissen/i...-wie-es-der-wirtschaft-gefaellt/11793040.html
Medikamente: 90 Prozent der Studien werden von der Pharmaindustrie finanziert
In der Medikamentenforschung werden heute etwa 90 Prozent aller veröffentlichten Studien durch die Pharmaindustrie finanziert. Es ist derzeit gängige Praxis, dass negative Studienergebnisse nicht veröffentlicht werden, so dass die Belege, auf denen unsere Entscheidungen in der Medizin basieren laut Aussagen unabhängiger Fachleute systematisch verfälscht werden, um den Nutzen der verwendeten Medikamente aufzubauschen und die Schäden zu verharmlosen. Ein Beispiel für diese fragwürdige Vorgehensweise: Im Dezember 2014 wurden in Deutschland 80 Medikamente aus dem Verkehr gezogen, denn es hatte sich herausgestellt, dass die Studien, die westliche Pharmaunternehmen bei dem indischen Forschungsinstitut GVK Biosciences in Auftrag gegeben hatten, wissenschaftlich nicht haltbare Ergebnisse zu Gunsten der bezahlenden Auftraggeber geliefert hatten. Eine Fülle von detailliert recherchierten Einzelbeispielen, die bis in die Gegenwart reichen zeigt der renommierte unabhängige Arzt und Wissenschaftler Peter Gotzsche in seinem 2015 auf Deutsch erschienenen Buch „Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität – Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert“ auf. Hier liegt wissenschaftliches Fehlverhalten in großem Stil, auf internationaler Ebene vor. Das erhöht die Gewinne der Pharmakonzerne und geht zu Lasten der Gesundheit von uns allen. Nach Schätzungen von Peter Gotzsche ist die Einnahme von Medikamenten in den USA und Europa die dritthäufigste Todesursache, dadurch sterben derzeit in den USA und Europa jeweils etwa 200.000 Menschen jährlich.
Beispiel:
- 90% der Studien werden von der Industrie finanziert. Und weiter? Ist in jeder anderen Industrie genauso. Wieso sollte das auch jemand anderes finanzieren?
- Publication Bias kann ein Problem sein, wie schon gesagt, aber an der Lösung wird schon lang gearbeitet - etwa durch das EU PAS Register. Wie groß das Problem der Publication Bias wirklich ist ist überdies natürlich schwer zu sagen, weil die entsprechenden Daten ja eben nicht vorliegen.
- Nach diesem sinnvollen Punkt driftet der Artikel aber komplett ab. GVK Biosciences hat mit der Art von Pharmaforschung, von der wir reden, nichts zu tun. Die haben nämlich Bioäquivalenzstudien für Generika gemacht. Dass die dabei massenhaft und absichtlich ungenügende Arbeit geleistet haben ist bekannt. Gleichzeitig ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein einziger Mensch durch ein einziges der betroffenen Generika zu Schaden gekommen ist. Denn diese Bioäquivalenzstudien sind nur ein quasi-formaler Schritt zur vereinfachten Zulassung von Generika. Das hat nichts mit der Entwicklung neuer Medikamente zu tun, gehört hier also auch gar nicht rein und ist ein denkbar schlechtes Beispiel. (bessere Beispiele wären etwa Vioxx, aber das ist halt auch schon wieder über 10 Jahre her)
- Dann, die Fallbeispiele von Gotzsche. Dass er einzelne Fälle von Fehlverhalten rauspickt und anprangert ist sinnvoll und lobenswert. Die Konsequenz "die ganze Industrie ist korrupt und das System ist kaputt" ist aber Unsinn. Wir haben allein in Deutschland 100.000 zugelassene Medikamente. Diejenigen unter denen, die wirklich schlecht sind - also niemals hätten zugelassen werden dürfen - kann man an einer oder zwei Händen abzählen. Und die werden auch nach und nach aus dem Verkehr gezogen - bei Vioxx etwa hat das 5 Jahre gedauert (wegen einer 0,3% erhöhten Chance von Herzinfarkten). Bei den meisten Fällen, die Gotzsche beschreibt, geht es auch gar nicht um schlechte oder gefährliche Medikamente, sondern um unethische Unternehmenspraxen. Also gerade Dinge wie off-label Marketing, wo Pharmafirmen Ärzte dazu animieren, Medikamente bei Indikationen einzusetzen, wo es zwar vielversprechende Studiendaten gibt, aber noch keine Zulassung.
- Und zuletzt "Einnahme von Medikamenten in den USA und Europa die dritthäufigste Todesursache". Diese Statistik sagt absolut überhaupt nichts aus. Vereinfacht gesagt: wenn 10 Leute an einem Herzinfarkt sterben, und mit Herzmedikament sterben 2 an Herzinfarkt und 2 an dem Medikament, ist das dann schlechter? Ist es schlechter, an einem Medikament zu sterben als an einer natürlichen Krankheit? Wenn ihr eine schwere Krebserkrankung habt und der Arzt gibt euch noch 2 Monate zu leben: würdet ihr dann ein womöglich gefährliches neues Medikament einnehmen, obwohl ihr deswegen sterben könntet? Ich lese diese Statistik immer wieder, aber der Sinn erschließt sich mir nicht.
Wieso bleibt die Unabhängigkeit auf der Strecke? Dafür, dass hier auch alles seine Richtigkeit hat gibt es doch staatliche Kontrolle durch BfArM, EMA, IQWiG, GBA und Konsorten.Das geht jetzt m.E. viel zu sehr ins Detail. Damit sollten sich Fachgremien befassen. Wir haben doch schließlich ein Wissenschafts- und Forschungsministerium. Natürlich ist es aus politischer Sicht viel angenehmer, wenn die Kosten für Forschung von der Wirtschaft getragen werden. Das dabei die Unabhängigkeit vielfach auf der Strecke bleibt, wird billigend in Kauf genommen.
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!