Die Energie, den Geist, die Personalität verliert der Tote, indem sein Leichnam verbrannt wird. Übrig bleibt dann nur noch Material. Aber ich denke, der Leichnam ist auch für Hindus noch mehr. 'Energie' ist so eine neumodische esoterische Formel (passend zur Kuschel-alles-ist-gut-wenn-es-nur-gut-ist-Kultur, sprich falsch verstandene Oberflächenharmonie).
Denn ich glaube den Eindruck zu haben, dass der Aghora jetzt nicht unbedingt soooo willkommen bei dem Bestattungsritual war. Ich hatte vielmehr den Eindruck, dass man insgeheim hoffte, ihn mit dem Umhang irgendwie doch abspeisen zu können. Ich kann mich täuschen, aber das wäre für mich ein Indiz dafür, dass den Toten doch noch ein gewisser Geist, Wert, whatever zugesprochen würde. Aber das ist vielleicht auch nur meine westliche Sicht.
Tatsache, ich habe mich etwas gewundert, dass der Aghori doch als Fremdkörper behandelt wurde, so denn mein Eindruck richtig sein könnte. Huch, bin ich vorsichtig
. In diesem Sine vielleicht auch der Tabubruch. Die Familie (der Vater kam zu Wort) des Mannes fand seinen Weg ja nun auch nicht so prickelnd, ist aber vielleicht auch eine Diskrepanz zwischen 'spirituellem Weg' (wünschte, ich könnte das anders formulieren) und gewerblichem Alltagsleben in gemeingesellschaftlicher, soziokultureller Lebensweise. Das mag ich aber evtl. in meinem mir vertrauten Autismus sowie der einhergehenden Sozialphobie nur eingeschränkt einschätzen können.
Denke, der Prozeß, das Vorgehen im eigentlichen Sinne ist bei allem das Entscheidende, das Übergeordnete. Und da wird die Durchführung des Aghora-Rituals interessant. Denn, wenn man DAS (den Glauben mit dem Gleichmutsziel) voraussetzt, dann hätte DIESE Initiation für Hindus doch gerade wenig Bedeutung. Hat sie aber doch gleichwohl! Aber es gibt wohl auch viele Abspaltungen, keine einheitliche Lehre, was mir hinduistische Schamanen wieder sehr, SEHR nahe bringt, weil es den universalen Charakter, also somit den eigentlichen Sinn betont.
Mir selbst ist das jetzt anscheinend also nicht wirklich fern. Ich wäre eher froh, wenn mein Leichnam oder der (m)eines Kindes in dieser Form angehalten würde, anstatt aufgegast auf dem Fluß zu treiben, unterzugehen. Alles wird ohnehin außerhalb meiner Macht sein, wenn ich Macht nicht als selbstverständliche Kraft (die sie eigentlich für mich ist), sondern als Kontrolle deute. Letzteres ist nicht im Hindu-Sinne (und auch nicht im meinem, denn btw. halte ich sehr viel von diesen Tugenden).
Entweder ein Mensch nimmt sich meiner (des Leichnams) an, mit all seinen Glaubensvorstellungen oder ein Tier, dass den Hunger stillt oder ich obliege letztendlich der stillen Zersetzung von Mikroorganismen (eigentlich immer). Eine Frage der Perspektive, des Standpunktes. Im Prinzip ist alles gleichgültig, ich gebe nur dem diesem oder jenem den Vorzug.
Warum sollte die Verwesung durch einen größeren Organismus moralisch verwerflicher sein als die Zerstezung durch einen kleinen. Wegen eines Anspruches?? Glaubens?? Eines Denkens? Irgendeiner Interpretation? Subjektivität im Kannibalismus?
LG Loge33
@ Frater, magst du sagen, wie du den Tod siehst? Mehr als eine Transformation? Oder eben dieses gar nicht? Individuell - was im Sinne der Humanität doch wieder sehr 'westlich' wäre?