Vor Weihnachten.
Die Wochen vor Weihnachten hatte ich ja wieder mal ein kleines Tief, auch wieder bis zur Besinnungslosigkeit getrunken und am 22. Dezember die Bremse gefunden. Gott sei Dank. In der Nacht zum 23. die üblichen Entzugserscheinungen, Zittern, Schweißausbrüche, Schwarzes Loch und alles was dazugehört. Zur Beruhigung meiner Nerven habe ich zwei Nitrazepam-Tabletten eingeworfen. Das ist ein gängiges Medikament beim Alkoholentzug, sollte allerdings nur unter ärztlicher Aufsicht angewendet werden.
Irgendwann zwischen Mitternacht und Morgen "wach" ich auf, weil ich eine fremdartige Anwesenheit spüre. Ich sehe das Zimmer, mein Zimmer, in dem ich bin, den Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem normalerweise Tag und Nacht eine brennende Kerze steht. Heute nicht, weil ich im Suff vergessen habe, welche einzukaufen. Alles ist so, wie im Wachzustand und ich denke auch wirklich, aufgewacht zu sein. Nur diese fremdartige Anwesenheit neben meinem Bett stört mich. Weil sie mir ganz einfach Angst macht, mich regelrecht lähmt, ohne etwas zu tun. Ich kann nicht sehen, was da neben mir am Bett sitzt, kann meinen Kopf nicht drehen, spüre nur, dass da Etwas ist. Vermutlich nur eine Projektion aus meinem Inneren, aber immerhin sehr energetisch auf mich zurückwirkend.
Ich liege da wie erstarrt und will auf diese Anwesenheit schimpfen, will sie fortschimpfen. "Hau ab! Verschwinde!" will ich rufen, doch kein Ton kommt über meine Lippen. Ich versuche, danach zu schlagen, doch meine Hand lässt sich keinen Millimeter bewegen. Ich bin wie gebannt. Aber ich gebe nicht auf, will nach diesem Etwas schlagen, weil ich mich bedroht fühle und irgendwann gelingt es mir, denn Bann zu durchbrechen. Mit einem Schrei drehe ich den ganzen Körper auf die linke Seite und die Faust saust auf den leeren Platz neben mir. Keiner da. Der Bann bricht, ich steh auf, geh aufs Klo und leg mich wieder nieder. Weiterschlafen.
In der Nacht vom 23. zum 24. Dezember wieder. Wieder habe ich zwei Beruhigungstabletten eingenommen und rgendwann zwischen Mitternacht und Morgen wach ich auf und wieder ist diese bedrohliche Anwesenheit da. Doch im Gegensatz zur letzten Nacht kann ich den Kopf und die Augen ein wenig nach Links drehen. Von der Bettkante zum Schreibtisch sind es ungefähr zwei Meter und in der Mitte dieser Distanz steht mein Schreibtischsessel. Eine seltsame Gestalt hockt da drauf, zeigt mir das Körperprofil und dreht mir das grinsende Gesicht zu. Hörner, wie die von einem Widder, ein dürrer menschlich-männlicher Oberkörper und das Unterteil wie von einer Ziege.
Ich sehe dieses Mischwesen ganz deutlich in meinem Zimmer sitzen und will es wieder anbrüllen. Doch weder kann ich aufspringen noch kommt ein Ton aus meinem Mund. Angst lähmt mir Glieder und Stimme. Dieses Ding berührt mich nicht physisch und tut nichts, was mir gefährlich werden könnte, im Gegenteil, es wirkt nicht einmal bösartig. Aber irgendwie ist mir nicht geheuer, was ich da sehe und ich würde es gerne vertreiben.
Plötzlich verändert sich etwas im Zimmer, was mich später vermuten lässt, dass es sich doch nur um einen Traum handelte. Das Tier springt aus der Hocke nach hinten, in die Mitte des Zimmers, wo normalerweise der Tisch steht und landet auf einem Objekt, das vorher nicht da war. Es sieht aus wie ein Totempfahl der Dakota, nur aus glänzendem Edelstahl oder Silber und es klingt wie wenn die Stäbe eines metallischen Windspieles aneinander schlagen. Dann springt das Tier wieder zurück auf den Schreibtischsessel. Noch ein Satz und weg ist es, als ob es durchs geschlossene Fenster ins Freie gesprungen wäre.
Der Bann löst sich, ich setzt mich auf und geh in die Küche. Ich hab Hunger, mach mir ein Brot und denk mir: "Die Nitrazepam-Tabletten sind der volle Scheiss, die muss ich wieder absetzen. Und überhaupt, die ganze Sauferei muss ich absetzen, sonst werd ich wirklich noch irre."
Traumbild, Wahn oder Projektion innerer Bilder, Pan der Hirtengott oder der leibhaftigeTeufel selber, was auch immer das für ein Ding war, für mich steht es symbolisch am tiefsten Punkt einer sinn und fruchtlosen Trinkerkarriere. Wie ein Wächter, den ich nicht überwinden will.