29 Jahre Trauer zu Ende

Solida

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21. Juni 2005
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Liebe Menschen,

ich habe das Bedürfnis, meine Geschichte aufzuschreiben.

Ich werde demnächst 40 Jahre alt. Als ich 10 Jahre alt war, starben innerhalb von 4 Monaten erst meine Oma, dann mein Opa. Es waren nicht meine leiblichen Großeltern, sondern die Pflegeeltern meiner Mutter. Wir wohnten in einem Haushalt und sie zogen auch mich mit groß. Ich hatte also 4 Bezugspersonen, für mich war immer klar, womit ich zu wem gehe. Da gab es für mich nie ein Problem.

Meine ersten 10 Lebensjahre waren wirklich schön. Ich war behütet, fühlte mich geborgen, war ein sonniges und fröhliches Kind. Als meine Großeltern so kurz hintereinander starben, war das für mich so schlimm. Ich konnte nicht vor meinen Eltern weinen, sogar vor meinen Freundinnen konnte ich lange den Tod verheimlichen (sie starben jeweils in den Ferien). Ich hatte das Gefühl, stark sein zu müssen. Abends weinte ich meinen Schmerz in das Kissen. In der Schule wurde ich auffällig, heute weiß ich, dass ich eine Schutzmauer um mich herum gebaut hatte.

Als ich 19 war, kam ich mit meinem Mann zusammen, wir sind jetzt also etwas über 20 Jahre zusammen. Es gab immer wieder schwere Zeiten, wo ich mir der Beziehung nicht sicher war. Und immer dann erschien mein Opa so von schräg oben (aber nicht als Bild, sondern wie ein Gefühl) und mir war, als wolle mir sagen, der Mann ist schon recht und gut für dich. Mit der Zeit nervte mich das, aber ich akzeptierte, was mein Opa meinte, denn zu Lebzeiten tat er so viel für mich und alles, wirklich alles war gut.

Mit meiner Mutter konnte ich fast 25 Jahre nicht über meinen Opa reden. Sie spürte wohl meinen Schmerz und ich ihren. Vor 4-5 Jahren kam mal kurz die Sporache auf ihn, da sagte sie leise: "Opa war gut." Da musste ich weinen und ich ging schnell raus. Ich wollte nicht, dass meine Mutter mich weinen sieht. Vor einigen Jahren sagte sie, das Grab von Oma und Opa wird nach ca. 30 Jahren geräumt. Ich glaubte, das würde ich nicht aushalten. Ich habe das Grab nur selten besucht, es war immer so schwer auszuhalten. Von diesem Moment habe ich mich jahrelang gefürchtet, ja regelrecht Panik gehabt.

Seit einigen Monaten hat sich durch einen anderen Anlass unsere Beziehung sehr verändert. Ich liebe meinen Mann nicht mehr, das habe ich jetzt auch ausgesprochen, wir leben getrennt im gemeinsamen Haus und mir geht es ziemlich gut. Vor wenigen Wochen teilte mir meine Mutter nun mit, dass wohl dieses Jahr noch das Grab geräumt wurde. Der Moment, vor dem ich mich so sehr gefürchtet hatte, war da. Und was passierte mit mir? Ich blieb ruhig, kein Weinen, keine Panik, im Gegenteil - ich spürte, wie ich aufatme, tief durchatmen konnte und es war ein so gutes Gefühl. Es ist völlig in Ordnung für mich, wenn das Grab jetzt geräumt ist.

Ich verstehe das nicht. Warum macht mir das nichts aus?

Dazu kommt, dass ich immer mehr erkannt habe, welche Übereinstimmungen es zwischen meinem Opa und meinem Mann gibt. Ich trenne mich innerlich von meinem Mann, ich habe in wenigen Monaten das Emotionale geschafft, wozu ich jahrelang nicht dazu in der Lage war. Und gleichzeitig das mit meinem Opa. Ich sehe schon den zeitlichen Zusammenhang und es müssen noch mehr Zusammenhänge da sein.

Versteht das jemand? Kann mir jemand was dazu erklären? Ich möchte so gerne verstehen, was da vorgeht. Es geht mir gut, richtig gut, obwohl ich vor einer sehr großen Umwälzung stehe.

Danke für eure Beiträge, Solida
 
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beantworten kann ich deine frage nicht.
doch ich habe festgestellt, dass alles "zu seiner Zeit" geschieht. so gesehen, bist du jetzt "reif", das alles zu verkraften, den umbruch in deinem leben, trennung vom mann, grab der großeltern. du hast das alles wohl verarbeitet, und jetzt macht es dir nichts mehr aus. warum das so ist? ich denke, dieser prozess ist einfach abgeschlossen für dich. und das ist gut so. jetzt bist du frei für entscheidungen, die dein künftiges leben betreffen und hast einen "freien" kopf.
alles gute für dich
strega
 
Hallo Solida,

man hält mehr aus, als man so denkt. Du hast Dich an den Gedanken, dass das Grab geräumt wird, allmählich gewöhnt und gesehen, dass sich Dein Leben dadurch jetzt nicht negativ beeinflusst wird; und auch vor anderen Gedanken streubst Du Dich nicht mehr, weil Du siehst, sie schaden Dir nicht.

Es ist ein wenig wie ein Weg, den man entlang geht, und man kommt an eine Pfütze. Man will weiter gehen, glaubt aber, dass es ein tiefes Wasserloch ist. Man glaubt, wenn man weiter geht, geht man unter und ertrinkt. Man zögert, streckt ein Bein vor, zieht es aber sofort wieder aus Angst zurück. Man wendet sich vielleicht sogar ab, um die Pfütze nicht zu sehen. Irgendwann betrachtet man die Pfütze aber genauer und sieht, man kann weiter gehen; das Wasser ist nur wenige cm tief... das Leben geht weiter und man kann es aushalten.

Das Grab eines Menschen ist ein Ort, wo man Abschied nehmen kann. Das konntest und kannst Du aber auch ohne ein Grab. Du wirst Deine Großeltern nie vergessen.

Und auch bei den anderen Umwälzungen in Deinem Leben merkst Du nun, dass Du weiter leben kannst.

Das sind meine Gedanken dazu. Ich hoffe, sie klingen nicht zu dumm.

Alles Gute und viele Grüße
Joey
 
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@strega
So wird es wohl sein. In Schwaben sagt man nicht umsonst "Mit 40 wird man g'scheit". Damit ist wohl so eine ganz bestimmte Reife gemeint, auch frei sein für etwas, Gelassenheit.

@Joey
Deine Beschreibung mit dem Weg und der Pfütze ist wunderbar. Du hast das genau erfasst. Deine Gedanken sind nicht dumm, sondern ich lese, du hast erspürt, wie es mir geht. Und das gut mir gut.

Mir kommt gerade der Gedanke, dass es vielleicht nur mit mir alleine zu tun hat, mit meiner eigenen Entwicklung.

Und dennoch gibt es doch Verstorbene, die Signale senden, die noch hier unten bei ihren Lieben weilen. Meinem Opa möchte ich jetzt am liebsten sagen: "Opa, du hast mir so viel gegeben. Ich bin dir unendlich dankbar dafür, dass du erkannt hast, was ich für ein Kind bin, was in mir drin ist, was gelebt werden will. Du hast mir Möglichkeiten zur Entfaltung gegeben. Auch wenn ich lange Zeit in meiner Entwicklung gehindert worden bin durch Störungen und Einflüsse von außen: das, was von dir kam, kann mir keiner nehmen. Du und Oma, ihr habt mir eine Lebensbasis vermittelt und zusammen mit meinem Eigenen ist das so viel. Nur deshalb kann ich die Widrigkeiten des Lebens aushalten, damit umgehen und trotzdem eine lebensfrohe und starke Frau sein. Ich weiss, dass ich es jetzt alleine schaffe. Du bist mir fast 30 Jahre noch zur Seite gestanden. Jetzt darfst du gehen, zu Oma, die wartet auf dich. Dort ist dein Platz. Ich werde meinen Weg alleine gehen und es wird mir gut gehen dabei. Bis später, Opa."

Solida
 
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