Was versteht man unter Zen-Krankheit

Saraswati

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Dieser Begriff taucht immer mal wieder auf in verschiedenen Threads, aber ich kann mir nicht wirklich was drunter vorstellen. Gibt es eine genaue Definition dafür? Wer durchschaut Ursache und Wirkung?
 
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fckw schrieb:
Die wohl berühmteste Beschreibung der Zen-Krankheit ist diejenige von Hakuin.

Niemand würde sagen, dass diese Meditationskrankheit auf alle Arten von Meditationen zutrifft. Wer Erleuchtung gezielt (willentlich) anstrebt, wird wahrscheinlich in einem noch größerem Zwiespalt (Frustzustand) enden.

Also: Immer gelassen bleiben und nichts bestimmtes erwarten. Vor allem mal jede Vorstellung von Erleuchtung ablegen. Am Schluss wird ja doch alles ganz anders sein ;)
 
Ein Text, den ich am 18. Sept. 2004 verfasst habe. Ob er allerdings das beschreibt, was die "Zen-Krankheit" ist, weiss ich nicht, da ich kein Zen praktiziere. Er beschreibt allerdings einige persönliche Erlebnisse vom Herbst 2003. Inzwischen würde ich manche Dinge vielleicht anders ausdrücken, trotzdem ist daraus einiges zu entnehmen. Im Thread "Selbst-Missbrauch" (unter Meditation) ist live zu beobachten, was damals in mir abging und wie sich das in Gesprächen mit Forumsteilnehmern äusserte.


Droht der irrigen Vorstellung eines Menschen, es existiere ein kohärentes Ich, das seinen Charakter und seine Persönlichkeit im Kern ausmache, die massive Gefahr der Aufdeckung oder Desillusionierung, dann gibt es eine ganze Reihe von typischen Mustern, mit welchen sich der entsprechende Mensch gegen die vernichtende Erkenntnis zu wehren versucht. Die folgenden paar kenne ich einerseits von mir selbst und kann sie auch an anderen beobachten:

Das Suchen nach logischen Gegenargumenten: Der Versuch logische Gegenargumente zu finden, welche die Nichtexistenz eines kohärenten Ichs widerlegen könnten, zeugen von einer weiterhin tiefreichenden Identifikation mit dem eigenen Verstand und Denken. Ist diese Identifikation nicht mindestens bis zu einem gewissen Grad aufgehoben, ist es ganz und gar sinnlos mit einer Person über dieses Thema sprechen zu wollen, da sie einen und die eigenen Argumente nicht im geringsten verstehen wird. Problematisch ist hier, dass offensichtlich nicht wenigen Menschen die fundamentale Bereitschaft fehlt, auch nur den geringsten Denkaufwand zu betreiben, um ein für allemal die Fundamente des eigenen Denkens blosszulegen. Fragen wie: "Was ist ein Gedanke? Wie funktioniert ein Gedanke? Was ist Bewusstsein? Was ist der Verstand?" werden nach meiner Erfahrung schlichtweg ignoriert, selbst wenn man die Menschen auffordert, diesen Gedanken nachzugehen. Es ist eine Weigerung zum weiterführenden Denken zu beobachten.
Auf logische Argumente kann der spirituelle Lehrer leicht reagieren, indem er sie ignoriert. Macht er den Fehler, sich selbst in den Verstand retten zu wollen und aus dieser Position heraus zu argumentieren, begibt er sich so aus seiner unangreifbaren Ebene in eine Position, aus welcher der Schüler ihn mit Argumenten unter gegebenen Umständen sogar widerlegen könnte. Ausserdem gibt er dadurch dem Schüler implizit Recht, dass das ganze Problem auf der Ebene des Verstandes diskutiert, begriffen und erfahren werden könne, was definitiv nicht der Fall ist. Dadurch verstärkt er den Schüler im Irrglauben und im Versuch, den Verstand zum Lösen des Problems einzusetzen. Im Zen wird durch die offen einsichtliche Unsinnigkeit des Koans sichergestellt, dass genau diese Reaktion unmöglich wird.

Die Aggression und Drohung: Werden dem Schüler nach und nach alle seine logischen Argumente entweder widerlegt oder ignoriert, so ist es nicht selten der Fall, dass dieser in eine Haltung der Aggressivität übergeht. Er sieht (unbewusst) ein, dass der Lehrer nicht widerlegt werden kann, deshalb versucht er den Lehrer durch die ganze geballte Energie, die ihm zur Verfügung steht, aus dessen unantastbaren Position herauszustossen. Hier benötigt der Lehrer viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen. Ein aufmunterndes, liebevolles Wort genügt meist, um die Situation wieder zu entschärfen. Alternativ kann sich der Lehrer auch vorübergehend zurückziehen oder in Schweigen hüllen und dadurch die Unantastbarkeit der eigenen Position noch verstärken. Dies birgt allerdings die Gefahr, dass ein Schüler an diesem Punkt den Lehrer verlässt, ohne die entsprechende Einsicht gemacht zu haben.
Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die aufkommende Wut, sofern gegen die eigene Uneinsichtigkeit gerichtet, eine grosse Schubkraft innehat und einen natürlichen Impuls darstellt, der entsprechend geschickt benutzt werden kann. Aber auch dies erfordert sehr viel an Erfahrung, Einfühlungsvermögen und Vertrauen.

Die Verzweiflung: Im Denken des Betroffenen erscheint eine schwere Verzweiflung über sich selbst und über das Leben oder den Lebenssinn. "Wenn es kein Ich gibt, was hat denn dann noch Sinn in meinem Leben? Wofür lebe ich denn Tag um Tag, wofür arbeite ich überhaupt, wofür strebe und bemühe ich mich die ganze Zeit über? Was wird mir denn überhaupt noch übrigbleiben, wenn da kein Ich mehr ist, für welches ich lebe? Welchen Sinn hat denn dann das Leben noch?"
Der Fehler in diesen Gedanken liegt darin, dass - entgegen der wohlmeinenden Ratschläge anderer - ein Leben für sich selbst zutiefst sinnlos, wertlos, absurd und hohl ist. Sinn kann man sich weder selbst wählen noch selbst geben. Sinn, das heisst aufgehoben sein im Grösseren. Fehlt die Perspektive für dieses Grössere, so fehlt automatisch der Sinn. Weil heute in unsern Breitengraden die allermeisten Menschen keiner Religion mehr anhängen, ist ihr Leben komplett sinnlos, denn da ist kein Gott mehr, dem man sich unterzuordnen hat. Aus dieser Quelle der Orientierungslosigkeit speist sich die krankhafte Idealisierung unserer Individualität. "Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!" - ungefähr dies ist, nebst dem inzwischen komplett ad absurdum geführten "carpe diem", der Leitspruch aller Generationen. Die Realität widerlegt aber die enthaltene Forderung gründlich, so gründlich sogar, dass bei uns die typischen Gesellschafskrankheiten (Übergewicht, Magersucht, Depressionen, Schizophrenie und viele andere) in einem Ausmass um sich greifen, wie das noch nie zuvor der Fall war.
Gibt es kein Ich, so ist Lustbefriedigung als höchstes zu erstrebendes Ziel unserer sogenannten individuellen Entfaltung tot.

Die Angst: Die Angst taucht meist im Gedanken auf, dass man das echte Gefühl hat, verrückt zu werden. Diese Angst ist nicht etwa gespielt. In einem fortgeschrittenen Stadium der Ich-Auflösung fragt man sich ernsthaft, ob man nicht drauf und dran sei, den Verstand zu verlieren. Das Ironische an der Sache ist, dass dies tatsächlich der Fall ist. Man verliert wirklich den Verstand, und zwar im wörtlichen Sinne. Natürlich wird man dabei nicht verrückt, diese Vorstellung wurde uns lediglich von anderen so tief eingeimpft, dass die dabei auftretenden psychosomatischen Symptome so real sind, wie jede psychische Krankheit reale Auswirkungen hat. Bei mir traten auf: Orientierungslosigkeit, Müdigkeit und Schlafstörungen, massive Stimmungsschwankungen, Probleme, normale Konversationen mit Mitmenschen zu führen und ihre Aussagen zu verstehen, Gefühl von geistiger Abwesenheit und Absorbiertheit, rasende, nicht aufzuhaltende Gedanken, Gefühle von extremem Überdruss/Langeweile/"existentiellem Brechreiz", Wut gegen sich selbst, Vertrauensverlust in den eigenen Verstand und das eigene Denken.

Das Aufschieben: "Hab noch ein wenig Geduld mit mir, es wird bald soweit sein, aber jetzt muss ich das alles zuerst mal verarbeiten, jetzt fehlt mir noch die notwendige Bereitschaft." Der Versuch, die nicht mehr zu leugnende Tatsache, dass es kein Ich gibt und man selbst somit keinen Wesenskern hat, als Erkenntnis herauszuzögern, selbstverständlich irgendwohin in eine unbestimmte Zukunft derart, dass man sich nicht auf einen Termin festlegen muss. Aber natürlich gilt auch hier, dass wenn es kein Ich gibt, diese Tatsache nicht irgendwann in der Zukunft gelten wird, sondern hier und jetzt und sofort. Man kann das nicht aufschieben. Was aufgeschoben werden kann, ist nicht wert weiter verfolgt zu werden.

Diese Muster treten nicht ausschliesslich sequentiell auf, sondern können sich überlappen und rasch abwechseln. Ich selbst habe alle hier genannten Muster mindestens einmal durchlaufen. Irgendwann kam ich dadurch an einen Punkt, an dem ich nicht mehr weiter wusste, weil ich selbst diese von mir angewandten Muster erkannte, sie aber trotzdem nicht ablegen konnte und also den Reaktionen meines Verstandes hilflos ausgeliefert war. Das ging immer weiter, bis ich in einem Anfall von hilfloser Wut mich entschloss, dass wenn ich schon hier keinen Einfluss auf mich selbst ausüben könne, ich erst recht weitermachen und mich dem irrigen Glauben an Ich/Erleuchtung und anderem ausliefern würde - bei vollem Bewusstsein und mit absoluter Klarheit um die Sinnlosigkeit meines eigenen Tuns. Man könnte sagen, ich akzeptierte die Absurdität, die die Sache angenommen hatte.
 
dieser satz ist zentral: "Hab noch ein wenig Geduld mit mir, es wird bald soweit sein, aber jetzt muss ich das alles zuerst mal verarbeiten, jetzt fehlt mir noch die notwendige Bereitschaft."

so denken fast alle, ausser einige ganz wenige auserwählte
 
fckw schrieb:
...Man könnte sagen, ich akzeptierte die Absurdität, die die Sache angenommen hatte.

Jaaaaa, dem Annehmen der Dinge wird ein viel zu kleiner Spielraum beigemessen, das ganze Loslassen führt zu nichts.

Grüße!!
 
fckw schrieb:
"Wenn es kein Ich gibt, was hat denn dann noch Sinn in meinem Leben? Wofür lebe ich denn Tag um Tag, wofür arbeite ich überhaupt, wofür strebe und bemühe ich mich die ganze Zeit über? Was wird mir denn überhaupt noch übrigbleiben, wenn da kein Ich mehr ist, für welches ich lebe? Welchen Sinn hat denn dann das Leben noch?"

Sinn, das heisst aufgehoben sein im Grösseren. Fehlt die Perspektive für dieses Grössere, so fehlt automatisch der Sinn.

Der Versuch, die nicht mehr zu leugnende Tatsache, dass es kein Ich gibt und man selbst somit keinen Wesenskern hat, als Erkenntnis herauszuzögern, selbstverständlich irgendwohin in eine unbestimmte Zukunft derart, dass man sich nicht auf einen Termin festlegen muss. Aber natürlich gilt auch hier, dass wenn es kein Ich gibt, diese Tatsache nicht irgendwann in der Zukunft gelten wird, sondern hier und jetzt und sofort.

Man könnte sagen, ich akzeptierte die Absurdität, die die Sache angenommen hatte
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Lieber Fckw!

Vielen Dank für dein Bekenntnis. Fand ich sehr anregend. Was mir besonders aufgefallen ist, habe ich oben zitiert.
Übrigens teile ich nicht die Auffassung, dass ein Fehlen des Ich die Nichtexistenz eines Wesenskerns bedeutet. Denn wir werden als Menschen doch mit gewissen Anlagen ausgestattet, die man als Begabung oder Interessensgrundlagen bezeichnen könnte. Die gilt es nicht zu verleugnen. Die Frage ist, aus welcher Motivation wir handeln. Aus Ego-Interessen oder aus Intuition und Notwendigkeit... Was tut der Lehrer, der dich Ich-Losigkeit lehrt? Er lehrt. Er wird es als sinnvoll empfinden. Und wenn er glaubwürdig sein will, dann ohne Ego-/Machtinteresse, sondern, weil er was weiterzugeben hat...
Das Akzeptieren der Absurdität ist die Lösung. Wenn der Kampf aufhört, kann die Ruhe eintreten. Warum sollte nicht alles, was möglich ist Platz finden?

Meine Ausführung führt zwar vom eigentlichen Thema Zen-Krankheit weg- aber steht doch im Zusammenhang...

Mein persönliches "Problem" ist zur Zeit eine gewisse Gleichgültigkeit durch eben die gleiche Gültigkeit, die ich widersprüchlichen Kräften gebe...
Aber der Weg zur Auflösung dieses Zustands, der mich zum Nichthandeln verführt ist: Horchen auf die Intuition. Tun, was dran ist. Die Notwendigkeiten erkennen...

lg Kalihan
 
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Kalihan schrieb:
Mein persönliches "Problem" ist zur Zeit eine gewisse Gleichgültigkeit durch eben die gleiche Gültigkeit, die ich widersprüchlichen Kräften gebe...
Aber der Weg zur Auflösung dieses Zustands, der mich zum Nichthandeln verführt ist: Horchen auf die Intuition. Tun, was dran ist. Die Notwendigkeiten erkennen...

lg Kalihan

in der einen Zeit leben, die es auf der Erde gibt.
Und allem die Gleiche Gültigkeit geben, ist die Lösung zur Überwindung unterschiedlicher Energien. Alles lieben, könnte man auch sagen.
Grüße!!
 
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