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LoneWolf

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16. Februar 2006
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Wien
Ein anderer Silberrücken sitzt jetzt auf meinem Platz.

Nicht, weil ich einen entscheidenden Kampf um die Rangordnung verloren hätte, nein, sondern weil ich meinen Platz leichtfertig verlassen, vernachlässigt und nur sehr sporadisch aufgesucht habe. Gut, ich hatte auch wenig Zeit in letzter Zeit, aber darauf kann das Leben keine Rücksicht nehmen. Es geht weiter und weiter und immer weiter...

Nachdem wir den Nachmittag am Ufer des Flusses verbracht hatten, sitzen wir in der Höhle des alten Weibchens am Küchentisch und warten. Das Weibchen steht am Herd und kocht. Wie es sich für ein gutes Weibchen gehört :) Ich spüre keine große Spannung zwischen mir und dem anderen Silberrücken. Er wirkt manchmal ein wenig nervös auf mich, ist aber ein kluges Tier und scheint im Gegensatz zu mir recht belesen und informiert über das Weltgeschehen. Keine Spannung, nur Respekt. Hoffentlich bleibt das so. Wie beiläufig erwähnt er, dass er hier nicht mehr weggeht und lacht schelmisch vor sich hin, wobei er den Kopf leicht senkt und die Hände zu Krallen formt. Er will verbal seinen Standpunkt vertreten und senkt dabei den Kopf? Ein Zeichen von Müdigkeit? Ich sage nichts und lache auch. Meister Eckehart fällt mir wieder ein... Kein Unfriede steht auf in dir, der nicht aus dem Eigenwillen kommt.

Ich brauche den Kontakt zum alten Weibchen, weil sie mich mit einer großen Kraft verbindet: der Zuversicht. Aber ich will sie nicht beherrschen. Den neuen Silberrücken gewaltsam zu vertreiben wäre vielleicht eine Möglichkeit, aber ich sehe keinen Grund dafür. Und es würde mehr zerstören als heilen und in einer Katastrophe enden. Wir sind hoch entwickelte Tiere und leben in einem von uns selbst konstruierten aber nicht ganz unsinnigem Rechtssystem. Und er ist ein hartnäckiges Tier, dass sich in seinen Ideen verkrallt.

Er ist kein schlechter Silberrücken. Ich sehe und verstehe die Verbindung zwischen ihm und dem alten Weibchen, bedanke mich für das Abendessen und reite auf meinem Drahtpferd in meine 5km entfernte Höhle. Weder Wut noch Trauer begleiten mich, nur die Zuversicht. Und die brauche ich, denn schließlich habe ich noch andere Sorgen. Mit dem großen Muttertier.

Apeman
 
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Ein Übel kommt selten allein.

Samstag Abend komm ich nach einem angenehmen Nachmittag am Flussufer und einem Abendessen beim alten Weibchen und dem neuen Silberrücken in meine Höhle zurück und sehe: der Warmwasserspeicher rinnt. Nach sieben Jahren durchgerostet. Das ist bei Geräten dieser Preisklasse zu erwarten, trotzdem kommt leichter Stress auf.

"Shit! Was mach ich, wenn man mir Mutter nächste Woche nach Hause schickt? Ich brauch zumindest Warmwasser, sonst haben wir hier Stress."

Montag früh. Ich spring von meinem Schlafplatz auf bevor der Wecker läutet. Hurtig einen Kaffee, ein paar Zigaretten, ein kurzer Chat. Dann spring ich aufs Rad und fahr ins Bauhaus. Hier bekomm ich vielleicht schnell ein Gerät von der selben Firma und Bauart, idealer Weise mit den gleichen Anbaumaßen um keine neuen Löcher in die alten Wände bohren zu müssen. Das Leben ist schwer genug.

Ein Glück, dass ich mehrere Weibchen kenne, auch welche mit Automobil. Das liebenswürdige Tier wartet im Auto vor dem Haus während ich das neue Gerät nach oben trage. Ich muss nochmal mitfahren, mein Fahrrad holen. Und neue Anschlussschläuche brauche ich auch, die Alten werden zu kurz sein. Der alte Speicher fasste 100 Liter, der neue nur 80 und ist dementsprechend niedriger gebaut.

Während ich auf der Leiter stehe und die Dimensionen der Anbaumaße prüfe läutet mein Handy. Die Stationsschwester aus dem Krankenhaus ist dran:

"Herr Apeman, ihre Mutter kommt morgen...."


"Sehr gut, noch mehr Stress..." denke ich, "...ich muss mich mit dem Warmwasserspeicher beeilen."

"...ins Pflegeheim Maimonides. Bringen sie bitte etwas Leichtes zum anziehen."

Der Stein, der aus meinem Herz bricht durchschlägt den drei Meter tiefer liegenden Boden.

Dank sei Dir, der Du da wirkst im Verborgenen.
 
Ein Übel kommt selten allein.

Samstag Abend komm ich nach einem angenehmen Nachmittag am Flussufer und einem Abendessen beim alten Weibchen und dem neuen Silberrücken in meine Höhle zurück und sehe: der Warmwasserspeicher rinnt. Nach sieben Jahren durchgerostet. Das ist bei Geräten dieser Preisklasse zu erwarten, trotzdem kommt leichter Stress auf.

"Shit! Was mach ich, wenn man mir Mutter nächste Woche nach Hause schickt? Ich brauch zumindest Warmwasser, sonst haben wir hier Stress."

Montag früh. Ich spring von meinem Schlafplatz auf bevor der Wecker läutet. Hurtig einen Kaffee, ein paar Zigaretten, ein kurzer Chat. Dann spring ich aufs Rad und fahr ins Bauhaus. Hier bekomm ich vielleicht schnell ein Gerät von der selben Firma und Bauart, idealer Weise mit den gleichen Anbaumaßen um keine neuen Löcher in die alten Wände bohren zu müssen. Das Leben ist schwer genug.

Ein Glück, dass ich mehrere Weibchen kenne, auch welche mit Automobil. Das liebenswürdige Tier wartet im Auto vor dem Haus während ich das neue Gerät nach oben trage. Ich muss nochmal mitfahren, mein Fahrrad holen. Und neue Anschlussschläuche brauche ich auch, die Alten werden zu kurz sein. Der alte Speicher fasste 100 Liter, der neue nur 80 und ist dementsprechend niedriger gebaut.

Während ich auf der Leiter stehe und die Dimensionen der Anbaumaße prüfe läutet mein Handy. Die Stationsschwester aus dem Krankenhaus ist dran:

"Herr Apeman, ihre Mutter kommt morgen...."


"Sehr gut, noch mehr Stress..." denke ich, "...ich muss mich mit dem Warmwasserspeicher beeilen."

"...ins Pflegeheim Maimonides. Bringen sie bitte etwas Leichtes zum anziehen."

Der Stein, der aus meinem Herz bricht durchschlägt den drei Meter tiefer liegenden Boden.


Dank sei Dir, der Du da wirkst im Verborgenen.

Ich glaube, den hab ich bis OÖ rumpeln gehört...:D

Ich freue mich sehr für Dich (soweit man sich darüber freuen kann), aber Du weißt schon, wie ich´s meine.
:umarmen:
 
Ich glaube, den hab ich bis OÖ rumpeln gehört...:D

Ich freue mich sehr für Dich (soweit man sich darüber freuen kann), aber Du weißt schon, wie ich´s meine.
:umarmen:

Noch ist nicht aller Tage Abend, aber da darf man sich schon ein wenig freuen. Sogar der Mutter ging es heute besser als gestern, auch wenn sie gar nicht mehr richtig mitbekommt, was da abgeht. Gestern schaffte ich es alleine fast nicht mehr, sie vom Sessel auf die WC Muschel und zurück zu bekommen. Heute sind wir sogar schon wieder drei Meter aufs Klo gegangen :rolleyes:
 
DU bist der Wahnsinn! :) ´
Deine Stärke mein Idol
Auch wenn du brichst
Inmitten wabernder Höllenufer
Zurückzufindest
Zu den klagenden Klängen aus dir
Fingerweise hochwärts klimmend
Weiß ich
Warum ich dich...

Und Dir
Vertrauen schenke.

i.L.A.
 
Donnerstag Nachmittag hat das Sozialamt für den Parteienverkehr geöffnet.

Erstmals fülle ich einen Antrag auf Sozialunterstützung aus, denn mit 400 Euro wird es nicht knapp sondern unmöglich, die Wohnung zu halten und zu existieren. Vormittag habe ich sämtliche Unterlagen kopiert und jetzt sitze ich am Amt und warte, dass ich aufgerufen werde, hoffend, dass ich nichts wichtiges vergessen habe. Es gäbe auch die Möglichkeit, den Antrag samt Beilagen in eine Sammelbox zu werfen, aber ich will wissen und nicht hoffen, also warte ich auf den Referenten.

Zusätzlich zu den geforderten Beilagen lege ich noch einen selbst geschriebenen Situationsbericht bei, denn der Fall ist nicht ganz einfach und das Antragsformular bietet keine Möglichkeit, der detaillierten Ausführung. Laut Melderegister handelt es sich nach wie vor um einen 2 Personen-Haushalt, in Wahrheit aber ist es mit Mutters Umzug ins Heim über Nacht ein 1 Personen-Haushalt geworden. Es gilt zu vermeiden, dass Mutters Bezüge in die Berechnung meines Anspruchs miteinbezogen, Miet und Energiezuschüsse geteilt werden. Das ist mit 13. Juli nicht mehr aktuell, auch wenn es laut Melderegister so aussieht. Der Referent ist nicht doof, er versteht meine mündliche Erklärung, aber die persönliche Niederschrift in meiner Aktenmappe schadet nicht.

Der Beamte prüft meine Unterlagen genau und scheint zufrieden. Sehr gut, nichts fehlt. Mir kam schon zu Ohren, dass es nicht immer einfach sei, auf dem Amt für Soziales. Bei mir scheint es zu klappen, das stimmt mich froh. Der Referent rechnet mir über den Daumen gepeilt vor, was bei mir ungefähr raus kommen wird, an Zuschussleistung. Es ist nicht viel. Weniger, als der Richtsatz, von dem ich im Internet las, aber ich will ihn jetzt nicht mit Fragen quälen, die ich in Wirklichkeit gar nicht im Kopf habe und die mich nur noch mehr verwirren würden. Ich versteh die Berechnungsmethode ohnehin nicht, lese und höre andauernd von anderen Richtsätzen für das Existenzminimum und weiß nicht, was stimmt und was Märchen ist. Mein Element sind eher Buchstaben als Zahlen. Hauptsache, ich bin mal drinnen, was tatsächlich Überwiesen wird, werde ich sehen.

Das ich in vielerlei Hinsicht fest auf die Bremse steigen muss, ist mir bewusst. Fürs erste hab ich mal begonnen, meine Zigaretten wieder selbst zu stopfen. Irgendwie empfinde ich diese neue Situation gar nicht so sehr als Plage, eher als Herausforderung, fast spannend. "werde ich untergehen oder nicht?" Der Gedanke belustigt mich im Moment sogar ein wenig und ein leichtes "Back to the Roots Feeling" macht sich in mir breit. Aber ich werde viel neues lernen müssen. Das ich ein Anrecht auf Bequemlichkeit und einen gewohnten Standard hätte, dieser Illusion bin ich zum Glück nicht erlegen. Das Internet... das würde ich mir fürs erste schon gerne behalten. Es ist mir wie ein Fenster zur Welt. Eher werde ich mich vom Fernseher trennen.

Nach dem Amt schnell nach Hause. G. kommt auf einen kurzen Kaffeeplausch und dann will ich noch kurz im Heim vorbei schauen, was es da Neues gibt. Es ist bereits 18 Uhr, als ich das Sanatorium betrete. Auf dem Weg zu Mutters Zimmer frage ich einen entgegenkommenden Pfleger, ob alles in Ordnung sei oder ob es Probleme gab. Ich denke dabei an Mutters manchmal etwas schwierige Persönlichkeit.

"Jaja.. alles in Ordnung, keine Probleme."

"Sie haben meine Nummer, rufen mich eh an, wenn Schwierigkeiten auftreten..." sag ich noch kurz und betrete das Zimmer. Was ich sehe, lässt meine erste Euphorie über den Heimplatz auf einen winzigen Punkt zusammenschrumpfen.

Sie liegt da und döst unruhig, redet unverständliche Worte vor sich hin und ist wegen der Hitze abgedeckt, das Nachthemd bis zum Nabel hochgezogen, unten rum eine echte Windel. An den Fingern ihrer rechten Hand... Scheiße, am Laken... Scheiße, am Oberschenkel.... Scheiße. Zu Hause war sie bis zum Schluss daran gewöhnt, selbst aufs Klo zu gehen. Einlagen oder gar Windel kannten wir nicht. Und selbst jetzt, wo sie nicht mehr hochkommt, wehrt sie sich, in diese Dinger zu machen. Andauernd fummelt sie mit der Hand dran rum und will sie abstreifen und richtet so einen Saustall an. Ein Jammer, ich könnte schreien. Gestern saß sie in ihrem Privatgewand im Aufenthaltsraum und wirkte lebendig und neugierig.... und heute wieder dieses Bild des Elends. Eine emotionale Berg und Tal-Bahn ist das Leben, sonst nichts. Ist das ein Bluterguss an ihrem rechten Augenlid? Sieht aus, als wär sie wo dagegen gerannt. Das einzige Auge, auf dem sie noch sieht, wenn sie es verliert... Nein, das will ich nicht denken.

Im Moment bin ich nicht in der Lage, jemanden vom Personal anzureden. Zu viele Inputs, in meinem Kopf dreht sich alles im Kreis. Wie in Trance hol ich mir einen nassen, seifigen Lappen und wasch ihr die Scheiße von der rechte Hand und vom Oberschenkel. Ohne großen Ekel, das kenn ich von zu Hause. Da gab es immer wieder kleine Missgeschicke zu beseitigen. Und im konkreten Fall verstehe ich das Warum. Mutter wehrt sich gegen die Windel, kann aber nicht mehr aufstehen und aufs Klo gehen. Wie man damit umgeht, wie man dieses Problem löst, dass müssen die Profipfleger wissen. Ich hab den Fall nicht umsonst abgegeben.

Vielleicht werde ich es morgen früher schaffen, mit der Stationsschwester reden. Sie ist die Einzige, zu der ich in der kurzen Zeit halbwegs Draht aufgebaut habe. Irgendwann wird ein Pfleger die Scheiße am Laken entdecken und Mutter die Windel wechseln, aber ich kann heute hier mit niemandem mehr reden, denn ich bin viel zu fassungslos. Erst muss ich diese für mich völlig neuen Inputs verarbeiten. So also sieht es aus, Mutters Ende im Pflegeheim.

19 Uhr. Ich verlasse das Sanatorium, weniger heiter als ich es betreten habe und denk mir: "Aus den Augen, aus dem Sinn..." Ich versuche mir vorzustellen, was anders und besser wäre, wenn ich mir den Blitzbesuch heute gespart hätte, denn irgendwann wird die Zeit kommen, wo ich nicht mehr jeden Tag vorbei schauen kann. Doch irgendwie funktioniert meine Verdrängungsmethode nicht so richtig.
 
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